Volkswagen, zusammengefasst: Das Ergebnis sinkt weiter, die Marktanteile gehen zurück. Die wichtigsten Absatzmärkte in den USA und Westeuropa brechen weg. Im selbst ausgerufenen Jahr des Übergangs lasten zudem ein starker Euro und unkalkulierbare politische Risiken auf dem Konzern.“

Nein, das ist keine aktuelle Berichterstattung über Volkswagen und den Volkswagen-Konzern. Diese Sätze stammen aus dem Manager Magazin aus dem Jahre 2003. Über 20 Jahre ist es jetzt her, dass sich Volkswagen neu erfinden musste. Bernd Pischetsrieder, einer der großen Automanager der Wirtschaftsgeschichte (BMW-Vorstand, VW-Konzern-Lenker und zuletzt Aufsichtsratschef bei Mercedes-Benz) war damals in der Rolle Volkswagen aus der Krise zu führen.

Dabei kämpfte er mit ähnlichen Vorgaben, Herausforderungen und Problemen, wie der aktuelle Konzernchef Oliver Blume und VW-Markenchef Thomas Schäfer.

Manager arbeiten sich an Volkswagen ab

Die aktuellen Ankündigungen mehrere Werke zu schließen und die in den Raum gestellte Entlassung Tausender Mitarbeiter ist ein letzter, wohl auch von Verzweiflung getragener Versuch, sich von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien. Blume und Schäfer kennen die Geschichte. Seit Jahrzehnten arbeiten sich Manager wie auch Wolfgang Bernhard oder Herbert Diess an diesem Thema ab. Und scheiterten. Aber egal, wer am Chefposten saß: Jede VW-Krise führt immer wieder auf den selben Ausgangspunkt zurück: Die Gründung der VW AG im Jahre 1960.

Das Management muss sich seitdem Jahr für Jahr im gleichen Spagat üben. Gut ein Fünftel der VW-Mitarbeiter ist in Niedersachsen tätig, also gut 120.000 der 600.000 insgesamt. Niedersachsen kann nicht ohne VW. Aber Volkswagen könnte besser ohne die Fesseln seines größten Einzelaktionärs Niedersachsen, der jede Entscheidung des weltumspannenden Konzerns mit dem Betriebsrat blockieren und nichtig machen kann. Niedersachsen und Betriebsrat sitzen im Aufsichtsrat und bilden immer wieder eine Allianz, an der selbst große Manager zerschellen. Die Allianz der beiden spielt ihre Macht auch im Aufsichtsrat aus.

Im letzten Jahrhundert liegen die Wurzeln der Krise bei Volkswagen

Auch anno 2024 muss man sich mit einem Gesetz herumschlagen, das 1960 vielleicht seine Berechtigung hatte. Das staatliche Unternehmen Volkswagen wurde privatisiert, die Volkswagen AG ward geboren. Bund und Land Sachsen behielten aus taktischen Überlegungen knapp über 20 Prozent der Aktien (heutiger Stand), und halten seitdem de facto eine Sperrminorität. Was einst als .Sicherheitsschranke gegen die Verlagerung von Werken gedacht war, entpuppt sich als das eigentliche Problem, das bis heute verschleppt wurde. Keine betriebswirtschaftliche Entscheidung der Manager wird gut genug sein, wenn sie nicht ins politische Spiel passt.

Das Land Niedersachsen wird immer für seine Wähler stimmen. Die öffentliche Rundfunkanstalt ARD analysierte einmal trocken: „VW steht für mehr als die Hälfte der erwirtschafteten Wertschöpfung der 50 größten niedersächsischen Unternehmen, wie eine NordLB-Studie ergab. VW aber ist nicht nur größter Arbeitgeber in Niedersachsen. Das Land profitiert als Großaktionär auch von den Dividenden. Und: Volkswagen ist ein großer Steuerzahler. Das haben in der Krise viele Städte mit VW-Werken gespürt – als die Gewerbesteuerzahlungen einbrachen.“ Am Tropf von VW hängen Zulieferer, genauso Gemeinden mit ganzen Infrastrukturen wie Schulen oder Universitäten. Das Land ist um Wolfsburg aufgebaut. Die Tageszeitung „Die Welt“ schrieb einst sogar: „Tatsächlich ist Niedersachsen Volkswagen, und ohne Volkswagen ist Niedersachsen nichts.“

Volkswagen: Schwierig zu regieren

Die Zentrale in Wolfsburg wird in der Branche wenig respektvoll mit einem Beamtenstaat verglichen. Als eigener Staat im Konzern. Bei den Mitarbeitern genauso geliebt wie gefürchtet. Man besitzt Privilegien, die es heute so in der Autoindustrie nicht mehr gibt. Das Gehaltsniveau bewegt sich klar über dem Schnitt.

So lange das Geschäft rennt, ist alles eitel Wonne. Stottert der Motor, spielt sich immer das gleiche Spiel ab. Nur ein paar Beispiele: Der damalige VW-Chef Wolfgang Bernhard dachte im Jahr 2005 die Produktion eines VW-Geländewagens in Portugal an, galt als harter Sanierer. Bernhard überlebte die vielen Kämpfe mit den Gewerkschaftern von IG Metall und Land Niedersachsen nicht. Der Vorgänger von Blume und Schäfer, Herbert Diess sprach genauso von Werksschließungen, der Reduzierung der Mitarbeiteranzahl und ließ sich auf Scharmützel mit Land und Gewerkschaften ein, die eine ziemlich bruchfeste Allianz gebildet haben. Auch Diess verlor den Rückhalt im Aufsichtsrat und ist seit 2022 nur noch ein Teil der VW-Geschichte. In diesem Licht erscheint Volkswagen als unregierbar.

Volkswagen, wie Phönix aus der Asche

Wer Volkswagen aber jetzt abschreibt und Abgesänge ausruft, hat aus der Geschichte aber nichts gelernt. Volkswagen stieg immer wie ein Phönix aus der Asche, die Flächenbrände machten den Konzern, die Marke immer noch stärker. Einst schickte man sich an der größte Autobauer der Welt zu werden, der legendäre Ferdinand Piech schuf ein Weltreich, nachdem Volkswagen vor der Pleite gestanden war. Er war der Letzte, der die Klaviatur der Macht auch im Spannungsfeld mit Gewerkschaften und Land Niedersachsen bis in die frühen 2000er-Jahre meisterhaft ausspielte. Aber auch seine Ära besitzt blinde Flecken, die Affären um Betriebsräte und Verstrickungen in Lustreisen perlten an ihm zwar ab, aber es blieb ein bitterer Nachgeschmack.

Heute sind die Betriebsräte stärker denn je. Es läuft alles auf einen Showdown hinaus. Mit dem großen Unterschied: Die Welt ist nicht mehr so einfach wie sie einmal war. Software- und Antriebsdiskussionen lassen sich nicht politisch lösen. Deshalb setzen Blume und Schäfer alles auf eine Karte. Mit vollem Risiko, weil sie auch die Rückendeckung der Eignerfamilien Porsche/Piech, die knapp über 50 Prozent der Anteile halten, besitzen.