Nach einem drastischen Gewinneinbruch im abgelaufenen Quartal steigt der Druck im Kampf um einen Ausweg aus der Krise bei der Kernmarke Volkswagen. Die Lage in der Autoindustrie spitze sich weiter zu, erklärte der Verhandlungsführer des Unternehmens bei der zweiten Gesprächsrunde mit der IG Metall zum Haustarifvertrag, Arne Meiswinkel, am Mittwoch in Wolfsburg. Die Rendite bei der Marke VW liege nach neun Monaten nur noch bei 2,1 Prozent.
Das sei nicht genug, um die nötigen Investitionen zu finanzieren. „Der Handlungsbedarf erhöht sich massiv - für uns alle.“ Die Gewerkschaft IG Metall drohte zugleich mit dem Abbruch der Gespräche, sollte das Unternehmen die angedrohten Standortschließungen und Massenkündigungen nicht vom Tisch nehmen.
„Friedenspflicht“ läuft ab
Volkswagen habe die Büchse der Pandora geöffnet, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger. Das Unternehmen müsse nun seine Bereitschaft deutlich machen, über Alternativen zu Standortschließungen und betriebsbedingten Kündigungen zu sprechen. „Ansonsten verweise ich darauf, dass am 1. Dezember die Friedenspflicht ausläuft.“
Betriebsratschefin Daniela Cavallo sagte, die Stimmung in der Belegschaft sei geprägt von Enttäuschung, dass das Unternehmen die Tarifverträge gekündigt habe. „Und natürlich muss das Unternehmen damit jetzt auch rechnen, dass die Belegschaft bereit ist, jeden Weg mit uns gemeinsam als IG Metall und als Betriebsrat zu gehen, Tarifverträge, insbesondere die Beschäftigungssicherung, wieder zurückzubekommen.“
Handgeschriebene Briefe vom Personal
VW-Finanzvorstand Arno Antlitz sagte, er sei zuversichtlich, dass eine Einigung erzielt werde, „aber ich kann Streiks nicht ausschließen, das ist klar.“ Zu Angaben des Betriebsrats über Forderungen des Unternehmens, die Löhne um zehn Prozent zu senken, wollte er sich nicht äußern. Meiswinkel kündigte an, bei der Verhandlungsrunde in der Wolfsburg Arena, wo normalerweise der von VW gesponserte Fußball-Bundesligist VfL Wolfsburg spielt, der IG Metall die Pläne des Unternehmens vorzulegen. Die Stimmung zum Auftakt der Gespräche war gedämpft. Auf den Tischen der VW-Unterhändler lagen handgeschriebene Briefe von VW-Mitarbeitern und Auszubildenden. „Die Angst ist groß“, schrieb ein Lehrling. Nach Betriebsratsangaben steht das Aus für mindestens drei Werke im Raum, zehntausende Arbeitsplätze sind demnach gefährdet.
Land stellt sich vor Arbeitnehmer
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) stellte sich auf die Seite der Arbeitnehmer und forderte einen Plan, wie der Konzern aus der Misere ohne betriebsbedingte Kündigungen und Standortschließungen herauskommt. Es sei Aufgabe des Vorstands, Konzepte zu entwickeln, wie die Werke erhalten und die Auslastung gesichert werden könnten, sagte Lies im Deutschlandfunk. Das Land Niedersachsen, das an Volkswagen beteiligt ist, lehne Werksschließungen ab. Weniger VW-Werke in Deutschland würde auch die österreichische Auto-Zuliefererindustrie hart treffen.
Hohe Fix- und Gemeinkosten sowie zu geringe Produktivität der deutschen Werke seien der größte Nachteil von Volkswagen gegenüber Konkurrenten, bekräftigte Antlitz. Die Verschärfung des Sparprogramms mit der Androhung von Werksschließungen und Entlassungen in großem Stil in Deutschland begründete der Finanzchef mit stärkerem Gegenwind vom Markt und intensiverem Konkurrenzkampf. „Wir müssen die Kosten senken und die Produktivität steigern, gerade in den deutschen Werken“, betonte er. „Wir stehen vor wesentlichen und schmerzhaften Entscheidungen.“ Das sei notwendig, damit die Kernmarke das Renditeziel von 6,5 Prozent bis 2026 erreiche und so zukunftsfähig werde. Derzeit verdiene VW zu wenig Geld, um seine notwendigen Investitionen zu stemmen.
Sparziel erhöht
Ende 2023 hatte sich Volkswagen mit dem Betriebsrat auf ein 10 Mrd. Euro schweres Sparprogramm geeinigt. Das Sparziel habe sich inzwischen erhöht, erklärte der Finanzchef, nannte wegen der laufenden Verhandlungen jedoch keine neue Zahl. Einem Bericht des „Handelsblatt“ zufolge will das Unternehmen unter anderem mit den laut Betriebsrat vorgeschlagenen Lohneinbußen insgesamt vier Milliarden Euro einsparen.
Zu schaffen machen dem Unternehmen unter anderem die schwächere Nachfrage nach Autos in Europa, die Flaute in China sowie hohe Kosten für das Aus für das Audi-Werk in Brüssel und Abfindungen. Im dritten Quartal sackte das Betriebsergebnis gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 42 Prozent auf 2,9 Mrd. Euro ab, der Nettogewinn fiel sogar um 64 Prozent. Bei einem Umsatz knapp unter Vorjahr erwirtschaftete der größte europäische Autobauer eine Rendite von 3,6 Prozent, gut zweieinhalb Prozentpunkte weniger. Die Hauptmarke des Konzerns leidet ebenso wie die wichtigsten Gewinnbringer Porsche und Audi unter dem Absatzrückgang auf dem wichtigsten Markt China.
Die Baustellen
Das Marktumfeld nannte Antlitz herausfordernd. Im dritten Quartal war der Absatz weltweit um sieben Prozent auf knapp 2,2 Mio. Fahrzeuge gesunken, in China erlitten die Pkw-Marken zweistellige Einbrüche. Der Autobauer hat dort zu wenig Elektroautos im Angebot. Die Käufer steigen überwiegend auf E-Autos heimischer Hersteller um. Die Nachfrage nach Verbrennerautos, wo die deutschen Autobauer über Jahrzehnte führend waren, schwächelt. Ein Silberstreif am Horizont ist der zuletzt verbesserte Auftragseingang in Westeuropa, der Antlitz zufolge Rückenwind für das vierte Quartal geben soll.
An der Börse notierten die VW-Aktien rund 1,5 Prozent fester. Daniel Schwarz, Analyst bei der Investmentbank Stifel, verwies darauf, dass die Zahlen besser ausgefallen seien als befürchtet. „Wo ist das Feuer?“, fragte Stephen Reitman, Analyst bei der Investmentbank Bernstein. Das Ergebnis sei zwar weit davon entfernt, wo es sein sollte, es liefere der Argumentation des Managements für ihren Sparkurs aber keine zusätzliche Munition. VW hatte Ende September seine Prognose für das Gesamtjahr zum zweiten Mal binnen weniger Monate gesenkt und rechnet mit einem rückläufigen Absatz und einer geringeren Rendite von 5,6 Prozent.