Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Österreich läuft und es gibt bislang kaum Anzeichen, dass sich daran so rasch etwas ändert. Seit Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) den zuvor von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) in Brüssel eingereichten Entwurf zu Österreichs Nationalem Energie- und Klimaplan (NEKP) wieder zurückgerufen hat, weisen sich Grüne und ÖVP wechselseitig die Schuld an der Misere zu. Mit dem Plan muss Österreich gegenüber Brüssel belegen, wie es sein Klimaziel für das Jahr 2030 von 48 Prozent weniger Treibhausgasausstoß (verglichen mit dem Stand von 2005) erreichen will.

Was in der Diskussion oft unterbelichtet bleibt: Selbst wenn sich die Regierung noch auf einen gemeinsamen NEKP-Entwurf einigt, ist das erst die halbe Miete. Denn das ursprünglich nach Brüssel geschickte Papier weist eine Lücke von 13 Prozentpunkten aus. Bedeutet: Mit den bisher umgesetzten und angekündigten Klimamaßnahmen kommt Österreich laut Umweltbundesamt bis 2030 nur auf eine Emissionsminderung von 35 Prozent. Um diese Lücke von mehr als sieben Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent zu schließen, müssen zusätzliche Maßnahmen getroffen und im endgültigen NEKP nach Brüssel übermittelt werden. Die Frist dafür läuft mit Ende Juni ab.

Ziele wären erreichbar

Politisch scheint eine Einigung zwischen Grünen und ÖVP auf neue klimapolitische Maßnahmen im erforderlichen Ausmaß derzeit weit entfernt. Um sich aus dieser Zwickmühle zu lösen, hat Gewessler bereits im vergangenen Sommer die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, Vorschläge für weitere Klimamaßnahmen einzureichen. 100 Stellungnahmen sind seither eingegangen, von den Landesregierungen über NGOs und Mobilitätsclubs bis hin zur Wirtschaftskammer. Diese wurden nun von einem Team aus 55 Forscherinnen und Forschern des Climate Change Center Austria unter die Lupe genommen. Fazit der Wissenschaftler: In Summe sind die eingelangten Vorschläge geeignet, Österreich auf Zielkurs zu bringen. „Wir haben jetzt eine gute, bewertete Basis, um die Lücke zu schließen“, sagt Karl Steininger, Ökonom am Wegener Center der Uni Graz.

Gute Basis, um Lücke zu schließen: Karl Steininger
Gute Basis, um Lücke zu schließen: Karl Steininger © APA / Georg Hochmuth

Insgesamt 1408 einzelne Maßnahmen-Vorschläge lasen die Forscher aus den Stellungnahmen heraus, die sie in 79 Bündel zusammenfassten. So ließen sich nach den Berechnungen der Experten etwa mit geringeren Höchstgeschwindigkeiten auf den Straßen (100 auf Autobahnen etc.) je nach Umfang der Maßnahme 0,2 bis 1,8 Millionen Tonnen Treibhausgas einsparen. Werden dagegen keine neuen Pkw mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen, bringe das im Jahr 2030 sogar 3 Millionen Tonnen Einsparung. Bei den Gebäuden wären etwa über erneuerbare Heiz- und Kühlsysteme zusätzlich 0,75 Millionen Tonnen Treibhausgas reduzierbar. Ein Klimaschutzgesetz mit klaren Zuständigkeiten und Sektorzielen wäre laut dem Forscherbericht ebenso erforderlich wie ein Abbau klimaschädlicher Subventionen. Beides stößt vor allem auf Widerstand der ÖVP.

Einbremsen kommt nicht gut an

Auch die Akzeptanz mehrerer der zentralen Vorschläge haben die Forscher über eine repräsentative Befragung von 1500 Personen erhoben. Ergebnis: Während Positiv-Maßnahmen wie Ausbau von Öffis und Rad-Infrastruktur überwältigende Zustimmung finden, gibt es für restriktive Maßnahmen wie strengere Tempolimits oder Verbrenner-Verbot mehrheitlich Ablehnung. Keywan Riahi, Energiewissenschaftler am IIASA-Institut in Laxenburg bleibt aber dabei: „Österreich hätte die Möglichkeit, mit Umsetzung dieser Maßnahmen auch innerhalb Europas wieder zu den Vorreiter-Ländern aufzuschließen.“