Mit gesenktem Kopf marschiert Maria Leitgeb von ihrem Wohnhaus in Gutendorf Richtung Geflügelhof Reicher. Diesen Weg kenne sie wie kaum jemand, sagt sie. Mehr als 30 Jahre lang ist sie ihn gegangen. „Schon unterwegs habe ich meine weiße Schürze angezogen, so viel Spaß hat mir mein Beruf gemacht.“ Von der Eröffnung des Unternehmens am 1. Jänner 1970 bis vor wenigen Jahren war die Pensionistin hier beschäftigt. Sie war die erste Angestellte des Familienbetriebes. Kurz vor Jahreswechsel musste der Geflügelhof nun Insolvenz anmelden.
Im Laufe der Jahrzehnte haben zahlreiche Gutendorfer im Werk gearbeitet, das den 150-Seelen-Ort geprägt hat. Aktuell kommen 23 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem angrenzenden Slowenien, der Rest der 58 Arbeitnehmer stammt aus Gutendorf und der umliegenden Ost- und Südoststeiermark. „Was uns in der Nachbarschaft so traurig stimmt, ist die Tatsache, dass ein Arbeitgeber, der zu Spitzenzeiten wohl das halbe Dorf beschäftigt hat, nun Geschichte ist“, kämpft Leitgeb mit den Tränen.
Produktion steht still
Am ersten Arbeitstag nach den Weihnachtsfeiertagen scheint in Gutendorf auf den ersten Blick vieles normal. Alle Firmenparkplätze sind belegt. Das Licht im Büro brennt wie gewöhnlich seit 5 Uhr früh. „Schlaflose Nächte habe ich einerseits, aber auch sehr viel an emotionaler Bürokratiearbeit“, erzählt Geschäftsführerin Elke Reicher-Trummer mit brüchiger Stimme. „Sie müssen verstehen, ich bin mit den meisten der Mitarbeiter hier am Hof aufgewachsen. Das tut tief im Herzen weh.“
Die LKW bleiben heute aus, die Produktion steht im Moment still. Weil sich das Unternehmen auf die Erzeugung von zerlegter Frischware (Keulen, Filets etc.) spezialisiert hat, werden in den nächsten Tagen keine Produktionsmaschinen mehr hochgefahren. „Aktuell liegt alles beim Masseverwalter und wir können wenig tun, was die Sache noch schwieriger macht“, so Reicher-Trummer weiter.
Ob die Fastfood-Kette „McDonald’s“, das Wiener Catering-Unternehmen „Do&Co“ oder Rewe Österreich: Sie alle konnten die Reichers in den vergangenen Jahrzehnten zu ihren Kunden zählen. Rewe hat Ende Dezember aber sämtliche Lieferverträge mit dem Gutendorfer Familienbetrieb gekündigt. „Dieser Umstand in Zeiten einer globalen Wirtschaftskrise würde wohl jedes Unternehmen ins Wanken bringen“, meint die Geschäftsführerin. Rewe-Österreich verweist auf Nachfrage der Kleinen Zeitung auf Neuausschreibungen, die eine Umstrukturierung der Lieferantenstruktur zur Folge gehabt hätten.
AMS berät
Nun dürfte das Ende des Geflügelhofs nahen. Die Überschuldung wird mit 2,7 Millionen Euro angegeben, 88 Gläubiger sind betroffen.
Bei den AMS Bezirksstellen Feldbach und Hartberg ist man für eine Welle an Arbeitssuchenden gerüstet. Mit kommendem Montag soll ein Konzept auf dem Tisch liegen, heißt es aus den Bezirksstellen. „Dass es den ‚Hiandl-Reicher‘ eines Tages nicht mehr geben soll, davor hatten immer alle Angst“, meint Maria Leitgeb und streicht wehmütig über die Hoftafel vor der Betriebseinfahrt.