„Ohne ihn wäre Graz möglicherweise nicht das, was es jetzt ist“, nimmt Ökonom Michael Steiner den Ball beim „Was wäre, wenn“-Spiel auf: „Eine 300.000 Einwohner-Stadt mit starker Strahlkraft in die gesamte südsteirische Region bis hin nach Ungarn und nach Slowenien. Dann hätte es nicht diese industrielle Basis, dann könnte es auch nicht diese starke Forschungsorientierung geben.“ Die Rede ist von Johann Puch, der am 27. September 1899 – also vor fast genau 125 Jahren – in Graz die nach ihm benannte „Erste steiermärkische Fahrrad-Fabriks-Actien Gesellschaft“ ins Handelsregister eintragen ließ. Der Startschuss für eine Entwicklung zur Mobilitätsstadt, als die sich Graz trotz aller Krisen nach wie vor behauptet.
Die spätere Puchwerke Aktiengesellschaft wurde 1928 mit der österreichischen Daimler-Motoren AG fusioniert, die 1934 dann zur Steyr-Daimler-Puch AG wurde, ein Mischkonzern, der eine Vielzahl von Fahrzeugen, aber auch Waffen herstellte. Teil der Firmengeschichte ist auch ein dunkles Kapitel im Zweiten Weltkrieg mit Rüstungsproduktion und dem Einsatz unzähliger Zwangsarbeiter. „Schon in den 1950ern verfügte Steyr Daimler Puch über eine komplette Fahrzeug-Entwicklungsabteilung“, sagt Steiner: Entwickelt wurde etwa der Haflinger und auch erste Schritte zu einer Allradentwicklung, man entwickelte außerdem einen Sportwagen, der sogar in den 50ern ein Rennen in Monte Carlo gewann.
1990 stieg Chrysler in Graz ein, das alte Puchwerk wurde zu den Eurostar-Werken, zur größten Automobilfabrik Österreichs, ausgebaut. 1998 übernahm Frank Stronachs kanadische Magna (seit 2001 Magna Steyr) die Aktienmehrheit.
Zum großen Jubiläum wird auf der Herbstmesse (26. bis 30. September) die Ausstellung „125 Jahre Puchwerke. Graz – Hauptstadt der Mobilität“ gezeigt. Auf mehr als 1700 Quadratmetern sind etwa rund 50 Fahrrad-, Motorrad und Automobilmodelle aus 125 Jahren Standortgeschichte zu sehen, von den ersten Fahrrädern aus Grazer Produktion bis zum Puch „Bergmeister“, vom ersten Beiwagenmotorrad bis zum legendären Puch Maxi und vom Puch-Schammerl bis zur modernen G-Klasse. Auch ein paar Raritäten sind dabei: Der Puch 700 IMP, ein Sportwagen aus den frühen 1960ern, von dem nur 37 Stück gebaut wurden, ein VW Golf II aus den späten Achtzigern mit Brennstoffzelle als Einzelstück sowie die Prototypen des Magna Mila I und Alpin (2005 und 2008): „Damit wollte Magna aufzeigen und beweisen, dass man in der Steiermark nach wie vor auch das Know-how besitzt, ein ganzes Auto zu fertigen“, sagt Peter Schaar, der mit der Werbeagentur Faschingbauer & Schaar und mehreren Partnern die Ausstellung aufgebaut hat.
Der erste Cluster Österreichs
Essenziell für die Entwicklung des heutigen Standorts sei aber die Idee in den 1990er Jahren, Cluster zu bilden, gewesen, sagt Volkswirt Steiner: Man habe bemerkt, dass man die Kooperation zwischen den Betrieben, den Lieferketten, aber auch als Austausch von Wissen brauche. Die drei Leitunternehmen AVL List, Steyr Daimler Puch Fahrzeugtechnik und das Chrysler Eurostar Werk schlossen sich 1995 zum Autocluster zusammen. „Der AC Styria war der erste Cluster in Österreich“, weiß Steiner. Damit dauerte es nicht lange, dass Graz in die europäische Dimension der Automobilindustrie vorstieß, später die kritische Größe von 100.000 produzierten Autos pro Jahr erreichte und damit auch internationale Zulieferer anzog.
Der Cluster wurde in den 2010er Jahren um die Kompetenzfelder Aerospace und Rail Systems und mit einer Kooperation mit Oberösterreich erweitert. Längst beschäftigt man sich mit Themen wie E-Mobilität und automatisiertem Fahren. „Das Auto ist nicht nur Informationsempfänger, sondern auch Informationsgeber“, sagt Steiner: „Das sind die neuen Herausforderungen: Wie beobachten wir Mobilität und welche Dynamiken stecken in der Mobilität? Welche Informationen für gesellschaftliche Entwicklungen bekomme ich aus dem Auto heraus?“
Verunsicherung in der Autobranche
Angesichts des jüngsten Fiaskos um Fisker und Job-Streichungen bei Magna ist klar, dass auch die heimischen Hersteller nicht von der Krise verschont geblieben sind – obwohl man alles dafür getan hat, um zukunftsfit zu sein. „Es ist auch eine Frage der politischen Vorgabe“, sagt Steiner. Die klare Message würde fehlen: „Wollen wir den Verbrenner abschaffen? Bis wann? Gäbe es andere Technologien? An welche Grenzen kann auch die E-Mobilität stoßen, was macht man mit der alten Batterie?“
Wie auch der Autogipfel in Deutschland gerade zeigte, sind einige große Produzenten wie Volkswagen verunsichert, in welche Richtung sie investieren sollen. Steiners Forderung: Man brauche „eine stärkere kommunikative Kooperation zwischen Politik und Wirtschaft, um zu sehen: Was ist möglich? Was ist sinnvoll? Zu welchen Kosten?“ Das natürlich auch hinsichtlich Beschäftigung und hinsichtlich Forschung. Der Ökonom dazu: „Das ist für mich immer ganz wichtig, darauf hinzuweisen. Der Industriestandort Graz ist einer, in dem Industrie- und Wissensdienstleister ganz stark verflochten sind.“