Hat sich Friedrich Felzmann – zum Tatzeitpunkt 66 Jahre alt – irgendwo in einem Felsloch in unwegsamem Gelände oder einem Stollen des aufgelassenen Silberbergwerkes verkrochen und Selbstmord begangen? Oder lebt er in einem sicheren Versteck? Eine Frage, die nicht nur die Kriminalisten beschäftigt, sondern auch die Öffentlichkeit immer noch bewegt. Beantwortet werden können sie nicht – auch Jahre nach den Todesschüssen im steirischen Stiwoll. Just am Tag nach dem Amoklauf eines mutmaßlichen Jägers in Oberösterreich, der erstaunliche Parallelen zum Stiwoller Fall aufweist, jährt sich die Tragödie in der Steiermark zum siebenten Mal.
Der Fall an sich zählt zu den rätselhaftesten Kriminalfällen in Österreich. Am 29. Oktober 2017 hat Felzmann in der steirischen Gemeinde zwei seiner Nachbarn erschossen und eine weitere Person schwer verletzt. Nach der Tat floh der Verdächtige und blieb bis heute verschwunden, was in der Region eine anhaltende Verunsicherung zur Folge hatte. Während der Aufenthaltsort des mutmaßlichen Täters unklar ist, gilt das Motiv für die Todesschüsse als geklärt. Felzmann hatte offenbar Ärger mit seinen Nachbarn – es ging um die Durchfahrt durch sein Anwesen, das er zum Tatzeitpunkt allerdings schon den Töchtern übergeben hatte. Die Anrainer hatten für den Weg das Nutzungsrecht. Unklar ist bis heute, woher der Mann die Tatwaffe, ein Kleinkalibergewehr (K. K. 22) mit Zielfernrohr, hatte.
Friedrich Felzmann und sein Hass gegenüber den Behörden
Felzmann galt schon zuvor als streitlustig und soll über Jahre hinweg Personen in seinem Umfeld bedroht haben, weshalb er polizeibekannt war. Die Polizei richtete nach den Morden eine Sonderkommission („Soko Friedrich“) ein und durchsuchte ein weitläufiges Waldgebiet. Sein Fluchtfahrzeug wurde rasch gefunden, aber Spuren von Felzmann selbst konnten nicht ausgemacht werden. Die Fahndung blieb bis 2018 aktiv, dann wurde die Sonderkommission eingestellt; Hinweise werden seither nur noch nach Einlangen bearbeitet.
Zuvor entwickelte Felzmann, im Brotberuf Imker, offenbar einen immer größeren Hass auf die Justiz, auf Ämter, Anwälte und auch Medien. Grund waren mehrere Auseinandersetzungen mit Polizei und Richtern, aber auch der Politik. So soll er Flugblätter auf die Abgeordneten im Parlament geworfen haben, um auf die „Ungerechtigkeiten“ aufmerksam zu machen. Er war Fahrer jenes Traktors, der mit der Aufschrift „Heil Hitler“ vor dem Straflandesgericht vorfuhr. Das wiederum rief den Verfassungsschutz auf den Plan. Er wurde damals zum Psychiater geschickt.
Die Exekutive prüfte jedenfalls Berichte über mögliche Sichtungen Felzmanns, unter anderem in anderen europäischen Ländern sowie Übersee – bisher verliefen alle Spuren im Sand. Angesichts der Tatsache, dass Felzmann in der heutigen digitalaffinen Gesellschaft bislang unentdeckt blieb, halten einige Fachleute wie der Gerichtspsychiater Reinhard Haller es für wahrscheinlich, dass er nicht mehr am Leben ist: „Dafür, dass er tot ist, spricht einfach die Tatsache, dass er nicht erwischt worden ist. Das ist in der heutigen Zeit extrem schwierig, nicht entdeckt zu werden. Da wird man erpresst, da wird man verfolgt, da kann man am elektronischen Leben nicht teilnehmen“, meinte Haller bereits vor zwei Jahren gegenüber dem ORF.
530 Hinweise auf Felzmann binnen fünf Jahren
530 Hinweisen sind die Mordermittler und Fahnder des steirischen Landeskriminalamtes in den ersten fünf Jahren nachgegangen. Dutzende Hütten, leer stehende Gebäude, ganze Wälder, sogar Bergwerksstollen wurden durchsucht. Doch von Friedrich Felzmann fehlt jede Spur, er ist wie vom Erdboden verschluckt.
Die letzte gesicherte Spur endete mitten im Wald, dort, wo das Fluchtfahrzeug abgestellt war – unweit eines aufgelassenen Gasthauses, neun Kilometer vom Tatort entfernt. Rund 20 bis 30 Hinweise gehen nach wie vor pro Jahr ein.
Dennoch bleibt Friedrich Felzmann auf der Liste der „Most Wanted“ des österreichischen Bundeskriminalamtes geführt. Die Chancen, ihn zu finden, sinken Jahr für Jahr. Nur bei neuen Erkenntnissen könnte das Verfahren wieder aufgenommen werden. Auf internationalen Fahndungslisten steht Felzmann hingegen nicht mehr.
Felzmann-Einsatz in Stiwoll so teuer wie kein anderer
Wie es mit dem Steirer weitergeht, ist offen: Theoretisch könnte er nach den österreichischen Gesetzen offiziell für tot erklärt werden. Bei vermissten Personen, die sich wie Felzmann zum Zeitpunkt ihres Verschwindens nicht im Bereich unmittelbarer Lebensgefahr befunden haben, kann eine solche Todeserklärung erst nach mehr als zehnjähriger Abwesenheit und nicht vor Erreichung des 25. Lebensjahres durchgeführt werden. Während der Abwesenheit darf von der entsprechenden Person kein Lebenszeichen – etwa durch Nachrichten – bekannt sein. Zuständig dafür ist das Bezirksgericht der zuletzt gemeldeten Wohnadresse.
Die Suche nach dem mutmaßlichen Täter kostete bisher jedenfalls mehr als dreieinhalb Millionen Euro. Noch nie zuvor hatte es in Österreich nach einem Doppelmord einen so personalintensiven und teuren Polizeieinsatz gegeben. Bis zu 400 Polizeibeamte waren in der Region wochenlang unterwegs. Sogar das Bundesheer war mit eingebunden. Neben Hunden wurde die modernste Technik eingesetzt: Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Wärmebildkameras, Drohnen.