Mit dem Regierungsbildungsauftrag an Karl Nehammer sind die blauen Passionsspiele eröffnet, und man kann getrost davon ausgehen, dass Herbert Kickl sie in einer Opulenz inszenieren wird, die sogar das alle zehn Jahre im bayrischen Oberammergau veranstaltete Spektakel in den Schatten stellen wird.

Heute will bekanntlich ja ein jeder Opfer sein. Da fügt sich der FPÖ-Chef gut ins Bild, noch dazu, wo die Mär vom geraubten Wahlsieg so eingängig ist, dass er damit noch jahrelang landauf, landab erfolgreich hausieren gehen kann. 

Diese Perspektive vor Augen muss man sich schon fragen, ob es demokratiepolitisch nicht klüger gewesen wäre, hätte der Bundespräsident den Gepflogenheiten der Republik folgend Kickl als Ersten gefragt, anstatt ihm die Märtyrerpalme regelrecht aufzudrängen. 

Der FPÖ-Obmann freilich ist der Letzte, der sich darüber beklagen sollte, dass niemand mit ihm zusammenarbeiten will. Er hat hart und konsequent daran gearbeitet, indem er seine politischen Mitbewerber jahrelang verhöhnt, persönlich herabgewürdigt und als „Systemparteien“ verspottet hat. Und jetzt auf einmal will er in das von ihm verachtete „System“ eingemeindet werden und darin sogar die erste Geige spielen? 

Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken. Aber im Grunde ist es so, als ob Ihr Nachbar Sie seit Jahren Tag für Tag unflätig über den Gartenzaun hinweg beschimpft, um Ihnen eines Tages dann plötzlich mit dem Vorschlag zu kommen, ob Sie zur Rettung des Weltklimas nicht gemeinsam Carsharing machen und Sojabohnen anbauen wollen.

Wer nur verbrannte Erde hinterlässt, darf sich nicht wundern, wenn darauf nichts mehr wächst. Der FPÖ-Chef habe die Partei seit seiner Übernahme auf Konfrontationskurs mit der ÖVP gebürstet, schreibt meine Kollegin Christina Traar in ihrem heutigen Leitartikel. „Aus bisher gepflegten Freundschaften oder zumindest Kontakten auf persönlicher Ebene wurde Antipathie. Es ist unerheblich, dass sich Kickl nach der Wahl staatsmännisch und kooperationsbereit gibt, denn er war es, der sich und seine Partei zum unattraktiven Partner gemacht und damit jede Chance aufs Regieren vertan hat. Es reicht eben nicht, für Stimmenmaximierung auf Dauer-Angriff zu gehen. Politik ist Zusammenarbeit und die Bereitschaft dazu müssen sich alle Seiten erarbeiten.“

Die Wahrheit ist: Herbert Kickl ist das Opfer seiner selbst, das Opfer seiner eigenen Radikalisierung. Sie hat ihn während der Pandemie groß gemacht. Und jetzt verstellt sie ihm den Weg ins Kanzleramt auf dem Ballhausplatz. Sollte es ihm wirklich um die staatspolitische Verantwortung gehen, dann wird der FPÖ-Chef, um wieder zurück ins Spiel zu kommen, wohl einige persönliche Abstriche machen müssen. 

Auch der Weg zu einer Dreierkoalition könnte steiniger werden, als viele meinen. Es muss ja nicht gleich so lange dauern wie 2010/2011 in Belgien. Dort nahm die Bildung der Regierung geschlagene 541 Tage in Anspruch. Elio di Rupo, den König Albert schließlich zum Premierminister ernannte, war bei den föderalen Wahlen eineinhalb Jahre davor mit seinen Sozialisten übrigens nur an zweiter Stelle hinter Bart de Wevers separatistischer rechter Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) gelandet. 

Es grüßt Sie herzlich, Ihr 

Stefan Winkler