Es war die Nacht der Stars: Stevie Wonder, Oprah Winfrey, John Legend, Mindy Kaling, die Dichterin Amanda Gorman sowie Kenan Thompson von Saturday Night Live, der ein dickes Buch, betitelt „Project 25“ dabei hat, das berüchtigte neoliberale Programm eines republikanischen Think-Tanks (nicht das echte Buch). Aber es sollte auch die Nacht der „People“ sein, der Menschen, die Kamala Harris ihre Sorgen vortrugen.
„People“, das war das Motto des dritten, perfekt choreografierten Abends beim Parteitag der Demokraten in Chicago. Stevie Wonder, der blinde Barde gab den Ton vor, mit seinem Song: „People, people who need people, are the luckiest people in the world.“ Oprah Winfrey, der Überraschungsgast aus Chicago, hatte bereits Barack Obama unterstützt, Hillary eher nicht, aber nun warf sie sich mit aller Energie hinter Harris. „Lasst uns die Freude wählen, lasst uns Kamala Harris wählen!“
Seitenhieb gegen Vance
Die US-Talkshow-Königin teilte aber auch gegen den republikanischen Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance aus, der zuletzt mit abfälligen Äußerungen über kinderlose Frauen im Land für Furore gesorgt hatte, die er in der Vergangenheit unter anderem als „kinderlose Katzenfrauen“ bezeichnet hatte. Winfrey sagte, die Amerikaner seien einander näher, als manche sie glauben machen wollten. Wenn ein Haus brenne, dann frage niemand nach der Religion des Hausbesitzers. „Wir fragen auch nicht, wer sein Partner ist oder wie er gewählt hat. Nein, wir versuchen einfach, unser Bestes zu tun, um denjenigen zu retten.“ Sie schob nach: „Und wenn das Haus zufällig einer kinderlosen Katzenfrau gehört, versuchen wir, auch die Katze zu retten.“
Bill Clinton gegen Trump
Nun kam Bill Clinton, mit weißen Haaren und schütterer Stimme, gerade 78 Jahre alt geworden, „aber immer noch jünger als Donald Trump“. Er nannte Harris die Präsidentin für die Menschen, „for the people“, so der frühere Präsident. „Wenn ihr es schafft, Kamala zu wählen, dann könnt ihr und eure Enkelkinder darauf stolz sein bis zum Ende eures Lebens.“ Der Opponent hingegen – Clinton vermied den Namen – interessiere sich nur für „sich, sich selber und ich“. Am Ende seines Auftritts küsste er allen Frauen auf der Bühne die Hand.
Prominente Demokraten demonstrierten Einigkeit
Auch die Menge der demokratischen Hoffnungsträger war bemerkenswert: Verkehrsminister Pete Buttegieg, der vom Familienleben mit seinen Kindern redete und den Republikanern vorwarf, sie verbreiteten Dunkelheit. Amy Klobuchar, Senatorin für Minnesota, meinte, Walz könne einen Reifen wechseln, er werde auch Benzinpreise senken. Auch Gouverneure wie Josh Shapiro und Wes Moore sangen das Loblied auf Harris und Walz. Fast alle wurden als Konkurrenten gehandelt, ihr Auftritt sollte zeigen: keine Eifersucht, kein böses Blut, nur Einigkeit und Liebe.
Diese Mischung aus volksnah und divers klang schon am Anfang des Parteitags an, als ein buddhistischer Priester und eine christliche Afroamerikanerin mit blonden Haaren ein Gebet sprachen. Danach trug eine Schulklasse aus Minnesota den Pledge of Allegiance vor, den Eid auf die Fahne, und eine Lehrerin sang die Nationalhymne.
Genauso sorgfältig ausgesucht waren die Bürger und Amtsträger. Da war Aquilino Connell, ein Polizist aus Washington, DC, der sich dem Aufstand vom 6. Januar 2020 entgegengestellt hat und nun schimpfte, Trump sei ein Verräter – dazu Bilder von der Stürmung des Kapitols, angefeuert von Trump. Dann Aftab Pureval, der indischstämmige Bürgermeister von Cincinnati, der sich über Joe Bidens Infrastrukturprogramm freute. Maura Healey, die lesbische Generalstaatsanwältin von Massachusetts, die sagte, ihren Ehering müsse man ihr von ihren toten, kalten Fingern zerren. Die texanische Abgeordnete Veronica Escobar, die meinte, Trump wisse nichts über Immigration, und der Kongress habe seit Jahrzehnten keine Reform hinbekommen. Kamala hingegen werde die Situation an der Grenze in Ordnung bringen – eine steile These angesichts von deren bisherigen Bilanz.
Und, mittendrin, ein israelisch-amerikanisches Paar aus Chicago, das seinen Sohn Hersch an die Hamas verloren hat. Hersch wird noch immer als Geisel gehalten, zusammen mit 109 Menschen aus 23 Ländern, davon acht Amerikaner.
Gazakrieg weiterhin kein Thema
Der israelische Krieg in Gaza kam aber nicht auf die Tagesordnung, trotz eines vorsichtigen Versuchs von Keith Ellison, Generalstaatsanwalt von Minnesota und lange Zeit der einzige muslimische Abgeordnete der USA. Derweil hatte die Polizei am Vorabend fast 60 Demonstranten vor dem israelischen Konsulat verhaftet, darunter drei Journalisten. Vor dem United Center stand, kaum beachtet, ein kleines Trüppchen von Aktivisten, die Namen der toten Kinder in Gaza verlasen.
Großer Auftritt von „Coach Walz“
Bevor Tim Walz nun endlich auftrat, kamen erst einmal ein gutes Dutzend Spieler aus Footballteams, die er gecoacht hatte, in ihren Trikots. Tim, so sagte seine Frau Gwen, sei einer, der mit Teams arbeite – auch ein versteckter Hieb auf den eher solitären Baulöwen aus New York. Dann trat Walz selbst unter lauten Tim! Tim! Tim!-Rufen auf die Bühne.
In Minnesota, sagte Walz, respektierten wir unsere Nachbarn und kümmerten uns um unsere eigenen Angelegenheiten. Dann sprang er in die aktuellen Kontroversen. „Andere bannen Bücher in Schulen, wir haben kostenlose Schulmahlzeiten eingeführt“, sagte er, und: „Wir wollen Freiheit. Aber Freiheit für unsere Kinder, nicht in der Schule erschossen zu werden, nicht die Freiheit für die Regierung, unsere Ärzte zu kontrollieren und uns Vorschriften zu machen.“
Walz ist der Mann, der die weiße Arbeiterklasse wieder zu den Demokraten bringen soll, und er tat sein Bestes, seine Wurzeln im Mittelwesten vorzuführen. „Wir sind in der vierten Halbzeit, wir liegen ein Tor zurück, aber wir spielen offensiv und haben den Ball“, sagte er. „Und wir haben das richtige Team.“ Es wirkte fast so, als wolle er selber Präsident werden.
Kennedy endgültig aus dem Rennen
Aber noch sind die Messen nicht gesungen. Da ist noch Robert Kennedy Jr., der eine hart umkämpfte Kampagne als unabhängiger Kandidat hingelegt hat, deren Ende er am Freitag bekannt geben wird, in Phoenix, Arizona. Dort ist auch, was für ein Zufall, Donald Trump, der seinerseits einen Überraschungsgast angekündigt hat. Kennedy, ein Umweltanwalt und geschworener Feind der Pharmaindustrie, hatte Harris seine Unterstützung angeboten, falls die ihm einen Job in ihrer Verwaltung anbieten würde. Das hatte die abgelehnt. Werden sich Trump und Kennedy einig?
Zwölf Prozent hatte Kennedy zu seinen besten Zeiten. Nun sind es – nach Skandalen um einen Gehirnwurm und einen toten Bären – noch fünf Prozent, nicht viel, aber genug für das Zünglein an der Waage. Hillary Clinton ist unter anderem daran gescheitert, dass sie Bernie Sanders nicht eingebunden hat. Trotz einer gefühlten Siegeswelle könnte Harris noch zwischen Kennedy und Gaza zerrieben werden.