Der ehemalige Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz wurde im Prozess wegen Falschaussage in einem Punkt schuldig gesprochen, das Urteil ist nicht rechtskräftig. In anderen wurde er freigesprochen, gleiches gilt für seinen früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli. Kurz erhielt acht Monate bedingt, Bonelli sechs Monate – drei Jahre Probezeit. Der Richter holt zu einer umfangreichen Begründung aus.
Urteilsbegründung: Russen-Angaben „vollkommen weltfremd“
Der Richter begründet sein Urteil. Zwar sei die Situation in einem Ausschuss deutlich schwieriger als vor Gericht, dennoch stelle das Gesetz beides gleich. Umstände dürfen dort nicht verschwiegen werden. Schmids Aussagen würden sich im Prozess hingegen nicht nur mit seiner Kommunikation, sondern auch mit der anderer Zeugen oder der Angeklagten decken. Zu den russischen Zeugen erklärt der Richter, dass die Erschütterung von Schmids Glaubwürdigkeit mit diesem Vorgehen nicht gelungen sei. Beide hätten die Angaben in ihren Erklärungen eingeschränkt. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass Schmid vor den ihm fremden Menschen solche Angaben gemacht haben soll – er halte das für „vollkommen weltfremd“.
Eine Kombination aus unbedingter Geldstrafe und bedingter Haftstrafe hielt Richter Radasztics für nicht angebracht, auch eine reine Geldstrafe lehnte der Richter aus „generalpräventiven Gründen“ ab. Die Voraussetzungen für eine bedingte Haftstrafe seien ganz bestimmt gegeben gewesen. Mildernd wirkte sich aus, dass Kurz und Bonelli unbescholten waren.
Die ÖVP bezieht Stellung
In einer ersten Stellungnahme zeigte sich die ÖVP überrascht über den Schuldspruch, vor allem wegen der vielen entlastenden Aussagen. Generalsekretär Gerhard Stocker führte nach Anfrage aus, dass nun eine neuerliche Prüfung in der Berufung zeigen werde, wie die Beweise zu beurteilen sind. Stocker meinte zudem: „Ich hätte Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli gewünscht, dass im erstinstanzlichen Verfahren eine andere Entscheidung erfolgt wäre“.
Sebastian Kurz äußert sich
„Ich bin in zwei von drei Punkten freigesprochen worden“, beginnt Kurz sein Statement kurz nach dem Prozess. Den Schuldspruch empfindet er als „sehr ungerecht“. Er sei jedenfalls sehr optimistisch, dass er in einer zweiten Instanz Recht bekommen wird. Angesprochen auf die Russen, die zugunsten von Kurz ausgesagt haben, sagt er: „Es war keine taktische Frage, sie zu laden“. Danach kritisierte er das Vorgehen von Thomas Schmid, das er als „merkwürdig“ empfindet. Erneut kritisierte Kurz den Umgangston im U-Ausschuss: „Wenn man jedes Wort auf die Goldwaage legt, könne man viele solcher Verfahren führen“, so der Ex-Kanzler, der auf die hitzige Stimmung anspielte.
Danach versuchte sich Kurz weiter zu rechtfertigen und führte aus, dass seine Favoriten für den Öbag-Posten nicht genommen wurden. Er respektiere die Auslegung des Richters, sei aber dennoch über die Entscheidung „verwundert“. Da er nicht mehr in der Politik ist, sei das Urteil aber „nicht lebensverändernd“.
Volle Berufung angekündigt
Kurz’ Verteidiger Otto Dietrich sowie Bonellis Verteidiger Werner Suppan gaben zu Ende der Verhandlung bekannt, Berufung wegen Nichtigkeit der Schuld und Strafe anzumelden. Die WKStA gab vorerst keine Erklärung ab, das Urteil ist somit nicht rechtskräftig.
Erste Reaktionen von der Opposition
Die Neos hatten einst Kurz wegen mutmaßlicher Falschaussage angezeigt. In einem Videostatement auf X sagt Beate Meinl-Reisinger: „In diesem Prozess ging es ja nicht nur um eine Aussage von Kurz. Es geht um den Respekt vor demokratischen Institutionen wie dem Parlament“. Der SPÖ-Abgeordnete Kai Jan Krainer bewertete das Urteil als „kleinen Schauplatz für die rechtliche Aufarbeitung des Systems Kurz“. Er fügte hinzu: „Die ‚Ära Kurz‘ wird die Gerichte noch auf Jahre beschäftigen.“
Der Prozesstag zum Nachlesen:
„Dann auf nach Moskau“ erklärt der Richter kurz nach Verhandlungsbeginn. Dort hat sich der zweite russische Geschäftsmann in der österreichischen Botschaft eingefunden, der von einem Bewerbungsgespräch mit Hauptbelastungszeugen Thomas Schmid berichten soll. In einer eidesstattlichen Erklärung hatte dieser berichtet, dass Schmid über Druck der Staatsanwaltschaft und mögliche unwahre Aussagen gesprochen habe. Am letzten Verhandlungstag hatte sich der Zeuge spontan krankgemeldet, die Aussagen seines Geschäftspartners warfen jedoch viele Fragen auf.
Mittels Übersetzer wird der ernst in die Kamera blickende Mann, Herr A., befragt. Er bestätigt, dass er Schmid (gemeinsam mit den anderen russischen Zeugen) in Amsterdam getroffen habe, um über eine „Top-Management-Position“ für ein Geschäftsprojekt in Georgien zu sprechen. Man habe Schmid dann auf die medialen Berichte zu Ermittlungen gegen ihn angesprochen, dieser habe angegeben, dass er deshalb nach Amsterdam ausgewandert sei, weil ihm die Ermittlungen „sein Leben in Österreich nicht ganz komfortabel machen“ würden. Er habe sich dort „nicht mehr wohl“ gefühlt, das habe mit Druck der Staatsanwaltschaft zu tun gehabt. Zudem habe er dort gegen seine früheren Kollegen aussagen müssen. Er habe auch den Namen Kurz erwähnt und angegeben, dass er ihn persönlich kenne.
Eindruck, dass Schmid falsch ausgesagt habe
Man könne Schmids Aussagen so interpretieren, dass es wohl „gewisse Erwartungen“ seitens der Anklage gegeben habe, zu der er sich wohl loyal verhalten habe. Das könne man „zwischen den Zeilen lesen“, sagt der Zeuge. Man sei jedenfalls zum Schluss gekommen, dass er „doch nicht der richtige Kandidat“ für das Projekt gewesen sei. Er habe jedenfalls den Eindruck gehabt, dass Schmid „sehr daran interessiert war, diesen Deal zu machen“, weil er sich von einer Kooperation erhofft habe, „dass die Probleme dann beseitigt werden“.
Dann wechselt der Richter auf Englisch und will, dass der Zeuge Schmids Worte genau nacherzählt, da die Konversation damals auf Englisch stattgefunden habe. Er wiederholt, dass dieser „Druck von der Staatsanwaltschaft gespürt habe“ und sich Besserung seiner Situation durch Kooperation erhofft habe. Doch auch auf erneute Nachfrage des Richters kann der Zeuge nicht berichten, dass Schmid klar von falschen Aussagen gegenüber der Staatsanwaltschaft gesprochen habe. Er nehme dies an durch dessen Aussagen und er habe den Eindruck, dass Schmid alles dafür tun wolle, um „aus der Sache wieder herauszukommen“.
Eidesstattliche Erklärung kam vom anderen Zeugen
Als der Richter wissen will, wie es zur eidesstattlichen Erklärung gekommen ist, die Herr A. im georgischen Tiflis abgegeben hat, berichtet dieser, dass ihn der andere Russe „gebeten“ habe, die Erklärung abzugeben. Er habe alles dann sorgfältig durchgelesen und er habe es als „moralische und menschliche Pflicht“ gesehen, alles zu tun, damit der Ruf seines Unternehmens nicht geschädigt werde.
Er habe die Erklärung also nicht selbst geschrieben, sondern sie wurde ihm von anderen Zeugen fertig vorgelegt und er hat nur unterschrieben, will der Richter wissen? Die beiden Staatsanwälte im Gerichtssaal schütteln amüsiert den Kopf. Zur Erinnerung: Der andere Zeuge hatte angegeben, dass ihm Kurz-Anwalt Otto Dietrich beim Verfassen seiner Erklärung geholfen habe. „Ja, es war so“, sagt der Zeuge, er wisse aber nicht, von wem seinem Geschäftspartner das Dokument angeboten worden sei. Er habe jedenfalls sein Unternehmen schützen wollen.
Wirbel um Russisch-Übersetzung
Staatsanwalt Georg Adamovic will nun vom Zeugen wissen, warum er eine Erklärung unterschreibt, in der steht, dass Schmid von Druck gesprochen habe, heute jedoch nur von einem entsprechenden Eindruck spricht. Aufgrund seines Alters und seines Berufes könne er sehr wohl erkennen, wenn jemand die Wahrheit sagt bzw. was jemand „zwischen den Zeilen“ sage.
Dann Wirbel um den Übersetzer: Kurz-Anwalt Dietrich beklagt, dass nicht ausreichend übersetzt wurde – es stellt sich heraus, dass er eine eigene Dolmetscherin in den Saal mitgebracht hat. Erneut wird versucht, den Zeugen auf den Widerspruch zwischen „Schmid sagte“ und „wir hatten den Eindruck“ anzusprechen. A. wiederholt, dass er zwischen den Zeilen lesen könne. Kurz wirkt aufgebracht, berät sich immer wieder mit seinem Anwalt. Schmid habe zwar alles „blumig“ ausgedrückt, aber daraus habe er geschlossen, dass Schmid unbedingt einen Deal angestrebt habe. Er sieht keinen Widerspruch. Zu weiteren interviewten Kandidaten will der Zeuge nichts sagen – Geschäftsgeheimnis.
Wieder Verwirrung um die Übersetzung, der Richter holt Anwalt Dietrich neben sich auf die Richterbank, um Fragen auf Englisch zu stellen, „sonst sind wir Lost in Translation“, sagt Radasztics. Ja, Schmid habe von Druck der Staatsanwaltschaft gesprochen, wiederholt der Zeuge, Schmid habe auch versichert, dass man sich um ihn keine Sorgen machen müsse. Und ja, die Angaben in seiner Erklärung decken sich mit seinen Erinnerungen an das Gespräch. Nach zwei Stunden wird der Zeuge entlassen und dem Saal in Wien eine kurze Pause gegönnt.
Schmid: „Ich bin ja ein offenes Buch“
Nach einer kurzen Pause geht es weiter mit der Befragung von Schmid, der via Zoom zugeschaltet ist und im Anzug vor seinem Laptop sitzt. Er berichtet, dass er über die Empfehlung eines Bankers aus London auf das Jobangebot der Geschäftsmänner gekommen sei. Dieser habe dann seine Kontakte weitergeben, daraufhin habe sich Zeuge V. bei ihm „sehr schnell gemeldet“, der auch „sehr, sehr schnell“ ein Treffen wollte. Das Gespräch sei „freundlich“ gewesen, aber unkonkret, was Details zum Projekt betroffen habe. Bei einem weiteren Treffen am Folgetag seien beide Geschäftsmänner anwesend gewesen, „über Inhalte ist einfach nicht gesprochen worden“.
Er habe damals berichtet, dass er dank politischer Debatten und aus privaten Gründen ins Ausland gegangen sei, „ich bin ja ein offenes Buch, über mich ist viel geschrieben worden“, damit sei er auch offen umgegangen. V. habe ihn das gefragt, ob sie (also wohl die Anklage) zu ihm gekommen sei oder er zu ihnen. Er habe das nicht ganz verstanden und schlicht angegeben, dass er kooperiere. Zudem sei Geschäftsmann A. „in meiner Erinnerung ständig weg und am Telefon gewesen“. Er habe auch keine Fragen gestellt. „In meiner Erinnerung ist nicht über das Verfahren geredet worden.“
„Staatsanwaltschaft hat keinen Druck auf mich ausgeübt“
Und dann wird Schmid klar: „Die Staatsanwaltschaft hat in keiner Situation Druck auf mich ausgeübt“, das habe er bei den Russen auch nicht angegeben. „Wenn, dann habe ich Druck auf die Staatsanwaltschaft ausgeübt“, da er kooperieren wollte. Er schließe auch aus, dass er laut Russen gesagt habe, dass er gut zu jenen sei, die gut zu ihm sind. Kurz könne er zwar erwähnt haben, aber keine Details zu den Verfahren. „Diese Herren haben die Unwahrheit gesagt“, sagt Schmid. Warum das so ist, könne er nicht erklären, aber mutmaßen, wenn man bedenke, wer diese als Zeugen vorgebracht habe, sagt er.
Dietrich ist mit seinen Fragen an der Reihe und will Details zu dessen Lebenslauf wissen, den Schmid damals den Russen zukommen hat lassen. Von der Jobabsage habe er wohl über WhatsApp von Zeuge V. erfahren, er könne sich jedoch nicht genau erinnern. Bonelli-Anwalt Werner Suppan will im Anschluss erneut Details zu russischen Nummern wissen, die Schmid angeblich in Job-Unterlagen gefunden habe. Dieser kann jedoch keine liefern. Kurz zeigt sich auch während Schmids Angaben immer wieder verärgert, gestikuliert, schüttelt den Kopf. Dann schweift man weit ab zu anderen Themen, um Schmids Glaubwürdigkeit zu prüfen. Unter anderem geht es um die Themen Staatsfonds und B&C-Stiftung. Dann ist auch Schmid entlassen und verabschiedet sich in die Laptopkamera.
Anklage will Kurz-Anwalt als Zeuge, der winkt ab
Dann kurzes Murmeln im Saal: Die WKStA beantragt Kurz-Anwalt Dietrich als Zeuge, um seine Rolle in den eidesstattlichen Erklärungen der beiden Russen zu klären. Der Angesprochene spricht sich dagegen aus, „mangels Relevanz und Durchführbarkeit“. Aus „Kollegenkreisen“ habe er von einer Mail erfahren zwischen den beiden russischen Zeugen, wonach er den Aussagen der beiden zu Schmid nachgehen wollte – für die Verteidigung seines Mandanten. Es gebe kein Gesetz, das dieses Nachgehen eines möglichen Hinweises untersage. Es sei auch unmöglich, weil ihm als Anwalt Verschwiegenheit zustehe, „daher werde ich auch nicht aussagen“. Daraufhin zieht die WKStA ihren Antrag zurück, nun habe Dietrich Klarheit geschaffen.
Dann meldet sich Kurz erneut mit einer Stellungnahme zu Schmids Aussagen zu Wort. Dass „Menschen immer wieder ihre eigenen Interessen verfolgen“, habe man in der Bestellung der Öbag gesehen. Auch andere hätten Ideen für die Staatsholding gehabt. Er habe auch das Gefühl, es gehe um ganz genaue Formulierungen, die „vier, fünf Jahre“ her seien. Dass Schmid bei seinem CV von einer „Schlamperei“ gesprochen habe, sei wenig nachvollziehbar. Vor der Mittagspause will der Richter im Anschluss klären, was verlesen werden soll. Wieder wird um die Miteinbeziehung von Chats gestritten, der Richter will die betroffenen Nachrichten trotzdem vor Urteilsverkündung verlesen.
Staatsanwaltschaft: „Selten war eine Falschaussage so klar gelagert“
Nach der Mittagspause geht es weiter mit Verlesungen, das wird jetzt etwas trockener. Es geht um Ordnungsnummern und Chats. Die ohnehin gut gefüllten Reihen im Gericht werden voller, laut Zeitplan stehen vor einer Urteilsverkündung jedoch noch die Plädoyers von Anklage und Verteidigung und etwaige Abschlussstatements. Der Richter arbeitet dicke Ordner und in rosa Mappen gehaltene Papierstapel durch und reicht diese weiter. Denn: Was heute verlesen wird, ist Teil der öffentlichen Hauptverhandlung. Zwei Stunden hat das in Anspruch genommen.
Nach einer kurzen Pause geht es mit dem Schlussvortrag der WKStA weiter. „Selten war eine Falschaussage so klar gelagert“, erklärt Oberstaatsanwalt Adamovic. Für die Anklage bestehe kein Zweifel, dass die beiden Angeklagten falsch ausgesagt haben. Und auch ein Aussagenotstand liege nicht vor. Zur Erinnerung: Dabei wäre eine falsche Aussage nicht strafbar, wenn man diese aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung getätigt hat. Die falschen Angaben seien aus PR-Gründen getätigt worden, sagt der Staatsanwalt. Kurz habe sich auch in der ÖVP ein Durchgriffsrecht gesichert, personelle Entscheidungen seien ihm also wichtig gewesen.
Kurz versuche Chats „umzudeuten“
Er und Bonelli hätten auch dort „die Message kontrolliert“. Das letzte Wort habe immer Kurz gehabt, was die Bestellung der ÖBAG betrifft. Der eigentlich zuständige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) sei nur noch „informiert“ worden. Zudem sei Schmid immer wieder als fixer Kandidat gehandelt worden. Das alles bestreite Kurz gar nicht, er versuche die Bedeutung hinter Chats wie „kriegst eh alles, was du willst“ schlicht umzudeuten. Es sei auch gar keine direkte Einflussnahme auf Aufsichtsräte nötig gewesen, jeder habe gewusst, was von ihm erwartet wird“.
Schmid verweise „sehr nachvollziehbar“ darauf, dass man einen solchen Posten nicht ohne entsprechende Unterstützung bekomme. Seine Aussagen würden im Einklang mit vielen Aktenstellen stehen. Auch Bonelli habe zugegeben, dass der Kanzler informiert seien müsse. Es sei also „eine Lüge“, dass Kurz erst im Nachhinein informiert worden sei. Schmid habe „ruhig, gelassen, inhaltlich am Punkt“ ausgesagt und „keinerlei Widersprüche“ geliefert. Die Aussagen der beiden Angeklagten seien jedoch in großen Teilen nicht nachvollziehbar gewesen.
Russen „Groteske“ und Falle
Die angeblichen Entlastungszeugen für Kurz, Löger und Ex-Finanzminister Gernot Blümel, hätten falsche Angaben gemacht oder, vor allem im Fall von Löger, „ein Erinnerungsdilemma“ bemühen müssen. Dass die anderen Aufsichtsräte von keiner Beeinflussung zu berichten wussten, sei klar, weil ohnehin alles über Löger gelaufen sei, sagt Adamovic. Auch der mehrfache Verweis auf die lang zurückliegende Zeit durch Kurz sei eine Schutzbehauptung, er sei ein gesunder, junger Mensch, der zu Dingen aus dem Jahr 2020 befragt werde. Während dieser „keine einzige Frage der WKStA“ beantwortet habe, gebe er „draußen“ Pressekonferenzen. Sein Motiv sei klar: Man wollte den Eindruck von Postenschacher vermeiden.
Die Sache mit den Russen sei zudem eine „Groteske“ und Falle gewesen, die man Schmid im vergangenen Sommer habe stellen wollen. Dies sei Teil der Inszenierung, wie abfotografierte Nachrichten und aufgenommene Telefonate. Auch die Aussagen würden nicht zur angeblichen Angst passen, die Kurz im Ausschuss vor Strafverfolgung gehabt haben will. Kurz hätte im Ausschuss schlicht zugeben können, dass er mitgeredet habe - das wäre nicht strafbar gewesen, also kein Grund für Angst. Würde man hier mit einem „Putativnotstand“ argumentieren (eine Straftat in angenommener Notwehr), dann würde das de facto eine Aufhebung der Wahrheitspflicht in U-Ausschüssen bedeuten. Die WKStA beantrage also für beide Angeklagten einen Schuldspruch.
Anklage will Freiheits- und Geldstrafe
Kurz sei seiner Vorbildwirkung nicht nachgekommen, sein bisheriger Lebenswandel sei „auch schon der einzige Milderungsgrund“, ergänzt Staatsanwalt Roland Koch. Erschwerend sei, dass Kurz in drei Punkten falsch ausgesagt habe. Eine unbedingte Freiheitsstrafe wäre ein „Promi-Malus“, den es ebenfalls nicht geben dürfe, aus Präventionsgründen spreche sich die WKStA für eine bedingte Freiheits- und eine unbedingte Geldstrafe aus. Die Lage von Bonelli sei differenziert zu betrachten, dieser sei unter Druck wegen seiner Loyalität zu Kurz gestanden, was seine Schuld mildere. Für ihn will die Anklage eine „etwas moderatere Strafe“ in Form einer ebenfalls bedingten Freiheits- und einer unbedingten Geldstrafe. Auch hohe Beamte müssen Konsequenzen falscher Handlungen spüren. Berufsverbot soll es keines geben.
Nun ist Kurz-Anwalt Dietrich an der Reihe. „Sebastian Kurz hat im Untersuchungsausschuss nicht falsch ausgesagt“, erklärt er, das Beweisverfahren habe nichts anderes ergeben. Durch Interpretation verschiebe sich lediglich die Wahrnehmung. Laut Kurz‘ Angaben liege sehr wohl ein Aussagenotstand vor, da dieser sehr wohl strafrechtliche Verfolgung für die Postenbesetzung zu befürchten hatte. Schmid habe sich auch deshalb im Ausschuss entschlagen, das habe man dann, im Gegensatz zu Kurz, akzeptiert. Zudem habe man im Ausschuss wahrheitsgemäß und nicht vollumfänglich auszusagen.
„Eine Interpretation kann Tatsachen nicht ersetzen“
Auch Schmids Behauptung, wonach er zum „inner Circle“ von Kurz gehört habe, sei falsch. Das habe auch niemand in der Verhandlung bestätigt. Es sei auch nicht Kurz‘ Plan gewesen, dass Schmid ÖBAG-Vorstand werden. Er sei darüber informiert geworden. „Eine Interpretation kann Tatsachen nicht ersetzen“, es habe keine entsprechenden Beweise für die Vorwürfe gegeben. Und: Eine Mitteilung des Kabinetts an Schmid sei keine Mitteilung des Kanzlers. Zudem könne er sich an manche Details genau, andere große Dinge hingegen gar nicht erinnern. Am Ende: „Sebastian Kurz ist daher freizusprechen.“
Es folgen die Schlussworte von Bonelli-Anwalt Suppan, „ich habe die Rolle des Festredners, bevor es zum Buffet geht“ erklärt er zu Beginn. Dann holt er aus, spricht von Erinnerungen, die sich verändern, wenn man mit anderen spricht. Für die Anklage sei alles klar und eindeutig, das könne er nicht nachvollziehen. Warum habe man dann 26 Monate Ermittlung und 108 angestrebte Zeugen gebraucht, um eine simple Falschaussage zu klären? Es gebe „kein Substrat“. Man versuche, eine andere Wirklichkeit zusammenzubauen, die Vorwürfe würden „in sich zusammen fallen“. Auch unvollständige Aussagen seien keine falschen. „Selbstverständlich“ habe auch Bonelli Grund zur Furcht vor Strafverfolgung gehabt, deshalb fordere er einen Freispruch.
Kurz: „Extrem befremdlich“
Vor der Urteilsverkündung wird den Angeklagten noch Schlussworte eingeräumt, die Möglichkeit nimmt Kurz an. Er habe im Prozess gelernt, dass es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen zur selben Sache geben könne. Die Atmosphäre im U-Ausschuss sei anders, als es die WKStA glaube, das höre man auf den Tonbändern nur nicht. Er sei froh, „dass die Sache langsam ein Ende findet“. Er könne sich nicht mehr an jedes Detail erinnern, aber er sei „mit dem Vorsatz in den U-Ausschuss gegangen, nicht hier zu landen“.
Kurz hätte sich sicher besser vorbereiten können und Dinge besser machen können. Aber er sehe nicht ein, dass die Anklage Aussagen anders interpretiert und als Fakt darstelle. Dies sei „extrem befremdlich“, er fühle sich „ziemlich wehrlos“. Er hätte wohl, wenn er mitgesprochen hätte bei der ÖBAG-Besetzung, jene Aufsichtsräte bestellt, die er gewollt habe. Dass er Pressestatements gebe, liege am großen Interesse der Medien, sagt er und zeigt auf die Journalistenreihen hinter ihm. Das sei, „ich weiß nicht, ob man mir das glaubt, nicht angenehm“.
Schuldsprüche für Kurz und Bonelli
Auch Bonelli will ein Schlussstatement abgeben, die Plädoyers zu hören seien eine der „erniedrigendsten Situationen, die ich in meinen Leben erlebt habe“. Er berichtet von Wahlfahrten, bei denen er von Verfahrensschritten erfahren habe, und von seiner kleinen Tochter, die ihn gefragt habe, ob er jetzt ins Gefängnis müsse. Der Sohn habe eine Karte mit dem Richter und dem lieben Gott gezeichnet, der auf ihn schaue. Der Prozess habe ihm gezeigt, was wichtig ist.
Nach einer Unterbrechung finden sich alle Beteiligten für die Urteilsverkündung ein. Kurz wird vom Richter schuldig gesprochen, er habe vor dem Ausschuss falsch zu seiner Rolle in der ÖBAG-Bestellung ausgesagt, er habe sich dort aktiv eingebracht. Freigesprochen wird er in den anderen Anklagepunkten. Gleiches gilt für Bonelli. Er bekommt sechs Monate bedingt, Kurz acht Monate. Beide reagieren nicht erkennbar auf die Urteile, Kurz tippt nun auf sein Handy, Bonelli hat die Arme verschränkt.
Kurz-Prozess
Mehrere Rechtsmittel möglich
Schmid wird – wohl auch digital, weil er im Ausland lebt – zu Details des angeblichen Treffens in Amsterdam befragt werden. Mit einem Urteil ist damit wohl erst in den späten Nachmittag- bis Abendstunden zu rechnen.
Wie auch immer die Urteile ausfallen, endgültig ausgestanden dürfte die Sache damit noch länger nicht sein. Nachdem in diesem Verfahren ein Einzelrichter die Urteile spricht, stehen Anklage wie Verteidigung mehrere Rechtsmittel offen. Berufen werden kann beispielsweise wegen Nichtigkeit, wenn Verfahrensfehler oder unzulässig abgewiesene Beweisanträge vermutet werden. Bei Berufung wegen Strafe geht es um die Strafhöhe und auch eine wegen Schuld ist in diesem Fall möglich. Dieser liegt die Vermutung zugrunde, dass der Richter einem Zeugen nicht ausreichend geglaubt haben könnte. Der Fall würde damit zum Oberlandesgericht Wien wandern.