Im Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli wegen möglicher Falschaussage kam es am Mittwoch zu einer besonders ungewöhnlichen Befragung. Richter Michael Radasztics sollte die beiden geladenen Zeugen, die nach dem einstigen Hofer-Chef Günther Helm geladen waren, nicht im Verhandlungssaal des Wiener Straflandesgerichtes, sondern über einen digitalen Zoom-Anruf befragen. Die beiden sollten sich in der österreichischen Botschaft in Moskau eingefunden haben, um dort vor allem zu einem Mann befragt zu werden: Thomas Schmid. Aber: Nur einer der beiden erschien in der Botschaft, wie erst während der Befragung bekannt wurde.
Kommentar zum Prozess
Um Schmids Glaubwürdigkeit als Zeuge zu mindern, hatte die Verteidigung die beiden russischen Geschäftsleute als Zeugen vorgebracht. Mit diesen hätte Schmid in Amsterdam ein Bewerbungsgespräch gehabt und dort von „Druck“ seitens der Staatsanwaltschaft und dementsprechend falschen Angaben gesprochen. Das wiederholte der Zeuge A. auch bei seiner Befragung. Er habe Schmid für den idealen Kandidaten für eine Führungsposition in einem Öl-Unternehmen gehalten, aber gemerkt, dass dieser sein Team verrate, um sich selbst zu schützen. In der Befragung wurde auch bekannt, dass Kurz-Anwalt Otto Dietrich mit dem Zeugen die eidesstattliche Erklärung, die dieser abgegeben hatte, aufgesetzt habe. Warum sich dieser bei ihm gemeldet hat, konnte der Geschäftsmann nicht sagen.
Der elfte Prozesstag zum Nachlesen
Die Befragung beginnt in wenigen Minuten, die Leinwand leuchtet bereits, Staatsanwälte und Richter sind anwesend, ebenso wie zahlreiche Medienvertreterinnen und -vertreter. Eine Russisch-Dolmetscherin hat neben dem Richter Platz genommen, die Angeklagten sind da, es geht los. Auf der Leinwand erscheinen Mitarbeiter der Botschaft und Herr A., der zuerst befragt wird. Er bestätigt, dass er eine eidesstattliche Erklärung in Tiflis abgegeben hat, in der er Schmids Aussagen ausgeführt hat.
Er sagt auch, dass er sich im August 2023 mit Schmid in Amsterdam getroffen habe, um mit ihm über eine CEO-Position für ein Projekt in Georgien zu sprechen. Schmid sei ein geeigneter Kandidat gewesen, und weil man, „wie Sie wissen, heute nicht so frei in der Welt herumreisen kann“, habe man sich in Amsterdam getroffen, erklärt der Russe. Er habe sich beraten lassen, nicht weiter auszuführen, worum es bei dem Projekt genau gegangen sei. Es sei aber ein großes Projekt gewesen, das mit der Förderung von Öl zu tun habe. Leises Gelächter im Saal und bei den Staatsanwälten. Warum man dafür genau Schmid nimmt, der weder Georgisch noch Russisch spreche und der keine Erfahrung mit Öl-Geschäften habe, will der Richter wissen. Sprachkenntnisse seine nicht wichtig gewesen, zudem könne Schmid perfekt Englisch, Georgisch sei nicht wichtig und Russisch spreche man dort nicht mehr.
Zeuge: Schmid klagte über „großen Druck“ von Staatsanwaltschaft
Der Lebenslauf, den er von Schmid von einem alten Freund, den er noch aus Russland kenne, weitergeleitet bekommen habe, sei überzeugend gewesen, er habe „hervorrage Erfahrung“ für die Stelle gehabt, sagt der Zeuge. Er sei ein „sehr hoher Manager“ gewesen, mit „sehr vielen Kontakten in Europa, was für uns sehr wichtig ist“. Er habe Schmid dann angerufen und wollte ihn in Georgien treffen, doch Schmid habe ihn nur im EU-Raum sehen wollen – deshalb Amsterdam. Man habe sich auf Englisch unterhalten. Beim ersten Treffen sei man zu zweit gewesen, am zweiten Tag habe er einen Geschäftspartner mitgenommen, um ihm gleich den neuen Geschäftsführer präsentieren zu können.
Er habe damals auch sein Team gebeten, zu Schmid im Internet zu recherchieren. Man habe erfahren, dass Schmid zwar „der perfekte Kandidat“ gewesen sei, aber man habe vom Gerichtsverfahren erfahren und da habe der Geschäftsmann wissen wollen, was es damit auf sich hat. Schmid habe erklärt, dass er „zur Gruppe von Kurz gehört hat“, und erwähnt, dass er von diesen Leuten „enttäuscht“ sei und ihn „für alles Schlechte verantwortlich gemacht hat“, und so schlecht, wie ihn diese Freunde behandelt haben, wolle er sie nun auch behandeln. Und weil die Staatsanwaltschaft „sehr starken Druck“ ausgeübt habe, habe er beschlossen, entsprechend auszusagen.
Schmid wollte, dass Staatsanwaltschaft „zufrieden“ ist
Man habe das „ziemlich locker“ besprochen. Aber Schmid habe erklärt, dass er mit der WKStA zusammenarbeiten und „Hilfe leisten will, damit die Staatsanwaltschaft befriedigt ist“, auch, wenn das nicht wirklich die Wahrheit sei, übersetzt die Dolmetscherin die Angaben des Russen. Der Richter erinnert ihn, dass er vor einem österreichischen Gericht aussage und entsprechend unter Wahrheitspflicht stehe. Er verstehe das sehr gut, antwortet er. Dann wechselt der Richter auf Englisch und bittet den Zeugen, auf Englisch auszuführen, was genau er mit Schmid besprochen habe.
Er habe berichtet, „unter großem Druck“ zu stehen, sagt der Zeuge jetzt auf Englisch, er habe versucht, so auszusagen, dass die Staatsanwälte „zufrieden“ mit ihm sind. Neben Kurz habe Schmid auch Eva Dichand erwähnt, die sehr schön, sehr gefährlich und keine gute Person sei. Sein Eindruck war, dass er das nicht unbedingt mit wahren Angaben gemacht habe. „Hat er Ihnen gesagt, dass er gelogen hat?“, fragt der Richter. Nein, das sei sein Eindruck gewesen, „es wäre wohl seltsam gewesen, wenn er mir das so gesagt hätte“. Schmid sei ja „ein kluger Kerl“.
„Da ist mein Vertrauen zu Schmid verschwunden“
Er habe im Gespräch einen „sehr guten Eindruck“ von Schmid gehabt, aber es sei für ihn „sehr komisch gewesen“, dass Schmid gegen sein Team agiert und „da ist mein Vertrauen zu Schmid verschwunden“. Er könne keiner Person vertrauen, die „zu allem fähig ist, um sich selbst zu retten“. Dann habe man Schmid per SMS eine Absage erteilt. Aber wie kommt es nach diesem Ende dann zur eidesstattlichen Erklärung, will der Richter wissen. Das habe er natürlich gar nicht vorgehabt, aber die Rechtsanwälte von Kurz hätten ihn dann kontaktiert und zu einer Mail von ihm an seinen Geschäftspartner befragt, in der er über Schmid geschrieben habe. Dann habe man ihn gebeten, die Erklärung abzugeben und das habe er gemacht. Woher die Anwälte die Mail hatten, wisse er nicht. Auf Nachfrage des Richters erklärt er: Er habe dafür kein Geld bekommen.
Dann ist die Staatsanwaltschaft mit ihren Fragen an der Reihe. Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic will wissen, wie der Zeuge zur angeblichen Öl-Firma steht. Er sei „leider nicht berechtigt“, Fragen zum Projekt zu beantworten, weil dies noch laufe und er es „nicht beschädigen“ wolle. Fremdsprachen außer Englisch hätten ihn damals bei Schmid nicht interessiert, dessen internationale Erfahrung habe er in Schmids Lebenslauf „gefunden“. Dass Schmid selbst im Verfahren eingeräumt hat, über keine solche zu verfügen, will Adamovic dem Zeugen vorhalten. Er sehe das anders, Schmid und ein Kollege hätten ihm gezeigt, dass er international arbeite. Für ihn und seine Partner sei es „sehr wichtig gewesen, dass er Ausländer ist“, und entsprechend andere Märkte erschließen könne.
Keine Erinnerung an Schmid-Recherche
Auf Anfrage der Staatsanwaltschaft, ob A. seine damaligen Online-Recherchen zu Schmid noch habe und diese übermitteln könne, erklärt A., sich nicht mehr erinnern zu können, wo diese Informationen seien, das liege doch schon einige Monate zurück und man habe Schmid ja abgesagt. Er könne sich auch nicht mehr erinnern, wie er die Recherche übermittelt bekommen habe und was dort genau ausgeführt wurde, er habe sich dafür nach der Absage nicht mehr interessiert.
Er könne sich auch nicht mehr genau erinnern, was er damals genau gelesen habe, „irgendetwas mit Kronzeuge“. A. habe nichts gegen Schmid, er habe ihm nach dessen Aussagen zu seinem alten Team schlicht nicht mehr vertraut und gemerkt: „Wenn man sehr viel Druck auf Herrn Schmid ausübt, kann er nicht ganz ehrlich werden.“ Er habe nicht gewusst, dass Schmid geständig war, sondern, dass er die Öbag-Stelle hatte und „irgendwelche Probleme damit gehabt hat“. Das habe ihn nicht sonderlich gestört, er wisse, wie es in der Welt laufe. Aber Vertrauen sei „in unserem Geschäft das Allerwichtigste“. Man sei auch noch immer auf der Suche nach einem CEO, es gebe noch „bestimmte bürokratische Probleme“ mit dem Projekt. Mit Schmid habe A. damals nicht über Details, aber über sein mögliches Gehalt gesprochen. Sonst hätte er sich wohl gar nicht mit mir getroffen, sagt A.
Kurz-Anwalt Dietrich habe sich bei ihm gemeldet
Als der Richter mahnt, auf die Zeit zu schauen, da die Botschaft mit Blick auf die Zeitverschiebung nicht ewig offen halten könne, antwortet Adamovic: Er bitte um Verständnis, dass man nur mit Detailfragen eruieren könne, „was zumindest für mich offensichtlich ist“. Die WKStA will wissen, welcher Anwalt an ihn herangetreten sei und ob es dazu Korrespondenzen gebe. Es sei Otto Dietrich gewesen, der Anwalt von Ex-Kanzler Kurz, das sei alles über Telefonate passiert, Unterlagen dazu gebe es keine. Er habe „aus allgemein menschlichen Gründen“ zugestimmt, die eidesstattliche Erklärung abzugeben. Das habe er in Tiflis getan, weil er zu dieser Zeit in Georgien war und er Zeit hatte. Das hätte er in jeder Botschaft machen können.
Auf die Nachfrage nach strukturellen und formalen Ähnlichkeiten zwischen den Erklärungen der beiden Geschäftsleute erklärt A., dass man das mit einem Rechtsanwalt gemacht habe, er sei ja kein Experte, wie man solche Erklärungen abgibt. Dieser sei Otto Dietrich gewesen. Auch ein zweiter Anwalt habe ihn kontaktiert, an dessen Namen könne er sich jedoch nicht mehr erinnern. A. wird kurz unruhig, er habe auch nicht damit gerechnet, hier noch aussagen zu müssen und die Befragung dauere schon zwei Stunden und er sei viel beschäftigt.
Staatsanwalt will Kurz-Anwalt Dietrich als Zeuge, zweiter Russe sagt ab
Die WKStA fragt unbeirrt weiter und will Details zu A.s Kontakten zu Kurz‘ Anwälten. Dietrich habe ihn kontaktiert, weil er diese Mail verfasst habe. Und ich habe ihm das bestätigt. Woher Dietrich die Mail gekannt habe? Keine Ahnung, sagt A. Adamovic wiederholt, dass er Anwalt Dietrich als Zeugen befragen will. A. erklärt auch, dass er das Gespräch mit Schmid nicht aufgezeichnet habe. Gefragt zu Details zum vermeintlichen „Druck“ der WKStA, von der Schmid berichtet haben soll, sagt der Zeuge, liefert A. keine, er habe sich nicht für Einzelheiten zum Gerichtsverfahren interessiert.
Dann geht ein Raunen durch den Saal. Der Richter liest eine Mail der Botschaft in Russland vor, wonach der zweite Zeuge telefonisch abgesagt habe, er sei erkrankt. A. wird danach gefragt und wirkt sichtlich überrascht, er habe ihm noch in der Früh gesagt, dass er komme.
Schmids fehlende Russland-Verbindungen waren attraktiv
Nach einer kurzen Pause geht es weiter, der Zeuge wirkt alles andere als begeistert. Nun ist der bereits erwähnte Kurz-Anwalt Dietrich am Wort mit seinen Fragen – die kurz ausfallen. Er will wissen, von wem er Schmids Kontakt bekommen hat – von einem Herrn S., sagt A. Zudem gibt der Zeuge auf die Frage nach Schmids Auslandserfahrungen an, dass es aktuell schwer sei in Russland, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Deshalb sei Schmid so interessant gewesen: „Weil er keine Verbindungen zu Russland hat.“
Dann ist Bonelli-Anwalt Werner Suppan an der Reihe, der mit dem Zeugen Schmids Lebenslauf durchgeht. Die dort aufgelisteten Tätigkeiten seien sehr beeindruckend gewesen, dieser habe gezeigt, dass Schmid „Ziele erreichen“ könne. Er wolle ihn mit diesen Fragen nicht langweilen, sagt Suppan. A., dem das übersetzt wird, zuckt mit den Schultern und blickt betont auf seine Uhr. Bei einer von Schmid aufgelisteten Qualität habe er „wohl leider geschwindelt“, da sei Schmid nur Pressesprecher gewesen. Der Zeuge wird entsprechend aufgeklärt, es ging um die Freilassung von Geiseln im Jemen.
Dann meldet sich die Staatsanwaltschaft mit zwei ergänzenden Fragen. Sagt ihm der Name Bernhard Bonelli etwas? Er könne sich nicht erinnern und das nicht mehr sagen. Und die WKStA will wissen, warum er bei der Befragung ein, zwei Mal aufs Handy geschaut habe. „Sie haben mich genau beobachtet“, sagt A. und lacht. Er habe nur auf die Zeit geschaut, mehrere Termine seien heute verfallen dank der langen Befragung. Dann bittet ihn der Richter um die Mail des zweiten Zeugen, bedankt sich bei A. und verabschiedet sich. Die Übertragung nach Moskau wird beendet.
Staatsanwaltschaft will Schmid erneut befragen
Die Staatsanwaltschaft will wissen, ob das Gericht Schmid zum Gesagten nun ergänzend befragen will. Der Richter erklärt, dass Schmid schon gefragt wurde, ob er unter Druck gesetzt wurde und er habe das verneint. Man werde sich einen entsprechenden Antrag überlegen, heißt es von den Staatsanwälten. Der Richter erklärt, dass der Prozess eigentlich nur noch einen avisierten Termin am 23. Februar hat. Dietrich will ihn dennoch befragen, man solle versuchen, ihn für 23. in der Früh zu bekommen. Falls er nicht kommt, sei ein weiteres Vorgehen noch unklar, der Richter überlegt, auch einfach seine Erklärung vorzulesen.
Um der Zeitverschiebung beizukommen, wolle er am 23. bereits um 8.30 Uhr den Prozesstag starten. Die WKStA stellt noch einen Antrag, Schmid erneut über die Gespräche zum Öl-Projekt und zu den Gesprächen mit A. zu befragen, durchaus auch per Video, denn er lebt im Ausland. Nach einer kurzen Beratung erklärt der Richter, dass dem Antrag stattgegeben wird. Schmid habe keine Gelegenheit gehabt, zum Gespräch in Amsterdam Stellung zu nehmen. Er werde nun versuchen, am 23. eine Zoom-Konferenz mit Schmid einzurichten und den zweiten russischen Zeugen erneut in die Botschaft in Moskau laden. Weil dies alles Zeit brauche, werde man nun einen eventuellen Zweittermin mit den Parteien anstreben. Damit könnte der Prozess am 23. Februar nicht, wie eigentlich geplant, zu Ende gehen.
Damit ist der Verhandlungstag beendet. Danke fürs Mitlesen!
Kurz-Prozess
Kurz vor der heutigen Mittagspause wurde übrigens der gestrige Antrag der Verteidigung, die Schmid-Chats aus dem Akt zu löschen, vom Richter abgelehnt. Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, die für eine Handydaten-Beschlagnahme künftig eine richterliche Genehmigung vorsieht, gelte nicht rückwirkend und damit nicht für dieses Verfahren.