Hat Sebastian Kurz (ÖVP) im Ibiza-Untersuchungsausschuss vor drei Jahren falsch ausgesagt? Dieser Frage will die Justiz im mehrtägigen Prozess gegen den ehemaligen Bundeskanzler klären. Am heutigen zweiten Verhandlungstag im Wiener Straflandesgericht hatte er vor dem Richter Platz genommen.

Das geschah am zweiten Prozesstag

Der Richter erinnert ihn vor Sitzungsbeginn, dass ein Eingeständnis der Schuld „einen erheblichen Minderungsgrund darstellen würde“. Kurz bekennt sich dennoch „nicht schuldig“ – und beginnt mit einer Erklärung. Er wolle nun seine Sicht des Ausschussablaufes darstellen.

Er beklagt, dass einem dort „die ganze Zeit Korruption unterstellt wird“. Er sei zudem „auf den U-Ausschuss nicht super vorbereitet“ gewesen, es habe viele andere Dinge zu tun gegeben als Kanzler. „Ich habe auch sehr schnell geantwortet.“ Er habe sich nie etwas zuschulden kommen lassen, „aber ich wusste auch, dass seit Ibiza alles anders war“. Nach kurzer Zeit sei die Stimmung im Ausschuss „gekippt“. „Sie wollten mich einfach zerstören.“ Dennoch sei er der Meinung, dass „meine Aussagen nicht falsch sind“. Dinge, die ihn entlasten, würden in der Anklage „nicht einmal erwähnt“. Neos-Mandatar Helmut Brandstätter habe seine Antwort, wonach er nichts mit der Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Chef zu tun hatte, zudem falsch zusammengefasst.

„Ich habe mich immer bemüht, allen ein gutes Gefühl zu geben“, erzählt er, als er über die damalige Zeit spricht, als er den ÖVP-Chefsessel frisch übernommen hatte. Viele Personen hätten damals etwas von ihm gewollt. Zudem sei auch Schmid nicht glaubwürdig. Dieser ist für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein zentraler Zeuge – nicht nur in diesem Verfahren. „Wenn jemand das System beherrscht hat, dann war es Thomas Schmid“, sagt Kurz.

Sebastian Kurz wird vor Gericht befragt
Sebastian Kurz wird vor Gericht befragt © APA/HELMUT FOHRINGER

„Ich habe kein Hirn wie ein Nudelsieb“

Und seine Stimme wird lauter. Er sei damals 33 Jahre gewesen und könnte sich nicht an jede Entscheidung von vor drei Jahren erinnern, aber wenn er Vorstände für die Öbag bestellt hätte, wüsste er das. „Ich hab kein Hirn wie ein Nudelsieb.“ Der damalige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) sei damals zuständig gewesen, er habe auch entschieden.

„Ich komme aus keiner Königsfamilie“, er komme aus „normalen Verhältnissen“, führt Kurz aus. Er sehe den U-Ausschuss auch als ein wichtiges Kontrollinstrument, aber nun werden seine Aussagen von der Anklage falsch interpretiert. Er habe sein Jus-Studium zwar nicht abgeschlossen, aber er habe mitgenommen, dass vor dem Recht alle gleich sind. „Ich will nicht jammern“, aber er fühle sich von der WKStA nicht so behandelt.

„Keine Lemminge“

Damit ist Kurz am Ende seiner Ausführungen, nun ist der Richter mit seinen Fragen dran – und beginnt mit dem Abspielen einer Tonaufnahme aus dem U-Ausschuss. Ihm werden seine Aussagen bzw. seine Antworten auf Aussagen der Abgeordneten vorgespielt. Er erklärt zu jeder, was er damit gemeint hat. Er habe jedenfalls nicht auf die Öbag-Aufsichtsräte eingewirkt und angerufen à la, „nehmt‘s den Schmid“. „Das sind doch keine Lemminge.“

Richter Michael Radasztics fragt Kurz, warum er in seinen Ausführungen immer wieder auf die Aggressivität der Fragestellung durch die Ausschuss-Abgeordneten hinweist, wenn seine Aussagen der Wahrheit entsprochen haben. Es gehe ihm um ein „ehrliches Gesamtbild“, sagt Kurz. Was hätte er anders ausgesagt, wäre er besser vorbereitet gewesen? Er hätte mehr Details geliefert, sagt der frühere ÖVP-Chef.

Richter Michael Radasztics hat viele Fragen an Kurz
Richter Michael Radasztics hat viele Fragen an Kurz © APA / Helmut Fohringer

Widersprüche bei viel zitiertem „Aussagenotstand“

Jetzt geht es um den bereits viel zitierten „Aussagenotstand“. Damit ist der Umstand gemeint, dass falsche Aussagen unter Wahrheitspflicht zulässig sind, wenn man sich damit einer strafrechtlichen Ermittlung aussetzen würde. Der Richter zeigt einen Widerspruch auf: Wenn die Aussagen wahr sind, warum bezieht sich Kurz‘ Verteidigung dann darauf? Er habe Angst vor einem möglichen Strafverfahren gehabt. „Das alles macht was mit einem, mit mir hat es etwas gemacht, mir hat es die Freude an der Politik geraubt“, sagt Kurz.

Nach einer kurzen Pause will der Richter mit seiner Befragung fortsetzten, doch Kurz „fände es komisch“, nichts zum überraschenden Tod von Ex-Justizsektionschef Christian Pilnacek zu sagen. Er habe „gestern noch mit ihm telefoniert“. Dann wird die Befragung fortgesetzt. Kurz bekräftigt weiter, nicht in die Bestellung von Schmid involviert gewesen zu sein. Seine Stimme überschlägt sich immer wieder, er gestikuliert und orten beim Staatsanwalt eine Grimasse. „Ich versteh’ schon die Emotion, aber tuma nicht kommentieren, wer wie dreinschaut“, mahnt Richter Radasztics. Kurz entschuldigt sich.

Richter zu Kurz: „Warum die Bussi-Smileys?“

Dann geht es um die inzwischen berühmten SMS von Kurz an Schmied: „Kriegs’ eh alles, was du willst.“ Er habe damit „Bitte krieg einmal den Hals voll“ gemeint – also, dass sich Schmid einbremsen solle. „Und warum die drei Bussi-Smileys am Ende“, will der Richter wissen. Kurz antwortend ausweichend, er habe seine Mitarbeiter nie angeschrien, wenn die „irgendeinen Scheiß gemacht“ haben.

Ex-Kanzler Kurz beteuert in der Befragung seine Unschuld
Ex-Kanzler Kurz beteuert in der Befragung seine Unschuld © APA / Helmut Fohringer

Nach einer Stunde Mittagspause setzt der Richter die Befragung fort. Es geht erneut um Chats und ihre Bedeutung, Kurz bestreitet mehrfach, was die WKStA in ihrem Strafantrag „behaupte“. Kurz hatte den Unternehmer Siegfried Wolf als Aufsichtsratschef der Öbag sehen wollen, Schmid habe dagegen angekämpft. Denn dieser habe gewusst, dass Wolf mit ihm „Schlitten gefahren wäre“. „Und das lassen Sie sich aufs Aug‘ drücken?“, entgegnet der Richter. Kurzes und leises Gelächter im Saal. Für ihn sei die Entscheidung nicht weltbewegend gewesen – „so what“. Es sei auch nicht sein Führungsstil gewesen, darauf zu bestehen.

Kurz beantwortet keine Fragen der WKStA

Nach längerem Hin und Her schließt der Richter seine Befragung ab und will nach einer kurzen Pause an die Staatsanwaltschaft übergeben. Doch Kurz‘ Verteidiger Otto Dietrich mischt sich ein: Sein Mandant wird keine WKStA-Fragen beantworten – er habe „nicht das beste Verhältnis“ zur Anklagebehörde. Außer, der Richter findet diese auf die Aufklärung wichtig. WKStA-Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic erhoffe sich dennoch, dass Kurz über seinen Schatten springen und antworten werde. Doch gleich bei der ersten Frage hat er kein Glück, Kurz schüttelt den Kopf, auch der Richter findet die Frage auch nicht essenziell.

Weitere Fragen werden gestellt, Kurz schweigt und macht sich Notizen. Nach einigen weiteren Versuchen gibt Adamovic auf, das Schweigen sei „sehr bedauerlich“. Kurz-Anwalt Dietrich bringt im Anschluss einen Antrag ein: Schmid solle als Hauptbelastungszeuge zuerst befragt werden – der Richter stimmt zu. Zuerst steht aber freilich noch die Befragung des dritten Angeklagten Bernhard Bonelli am kommenden Montag am Programm. Weitere Prozesstermine stehen noch aus. Damit endet der zweite Prozesstag.

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Diversion für Glatz-Kremsner

Am ersten Prozesstag am Mittwoch kam Kurz nur bei der Aufnahme seiner Personalien zu Wort, die eigentliche Erstangeklagte Bettina Glatz-Kremsner wurde vom Richter befragt. Dieser gewährte ihr im Anschluss überraschend eine Diversion - mehr dazu und einen ausführlichen Bericht zur ersten Verhandlung finden Sie hier.

Für Wirbel sorgte hingegen ein „Screenshot-Fehler“ der WKStA in ihrem Strafantrag, der Zank zwischen den Koalitionsparteien ÖVP und Grüne zur Folge hatte. Mehr dazu lesen Sie hier.