Der Medienandrang im Wiener Straflandesgericht war an diesem Vormittag besonders groß. Vor den elektronischen Zugangsschranken in das sogenannte "Graue Haus" haben sich Schlangen gebildet, der Große Schwurgerichtssaal ist bis auf den letzten Platz ausreserviert. Denn hier hat um 9.30 Uhr ein ehemaliger Bundeskanzler vor dem Richter Platz genommen. Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine falsche Zeugenaussage im Ibiza-U-Ausschuss 2020 vorgeworfen, in dem Kurz unter Wahrheitspflicht befragt worden war. Kurz bestreitet das und fordert einen Freispruch.
Auch die beiden anderen Angeklagten, die heute vor Gericht saßen, beteuern ihre Unschuld - die frühere ÖVP-Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner und Kurz' ehemaliger Kabinettschef im Bundeskanzleramt, Bernhard Bonelli. Für alle drei Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.
Das war der erste Prozesstag
Kurz wartet ab, bis die Kamera- und Foto-Leute aus dem Saal zitiert werden, bis er sich vor den Richter hinsetzt. Entsprechende Bilder wusste schon der ehemalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser beim Buwog-Prozess zu vermeiden. Der Richter eröffnet die Verhandlung, es geht los. Kurz hatte sich bereits vor Prozessbeginn an die anwesenden Medienvertreterinnen und -vertreter gewandt und erneut seine Unschuld beteuer. Er hoffe auf ein faires Verfahren. Sein Verteidiger, Otto Dietrich, beginnt gleich zu Sitzungsbeginn mit einem Antrag auf Befangenheit des Richters. Er unterstellt dem Richter ein Naheverhältnis zum Ex-Politiker Peter Pilz. Werner Suppan, der Verteidiger des Angeklagten Bernhard Bonelli, schließt sich dem Antrag an.
Richter Michael Radasztics entgegnet, dass er, wie jeder, „der kein Eremit ist“, persönliche Beziehungen pflege. Die Meinung von Außenstehenden tue jedoch im Prozess nichts zur Sache. Er habe auch keine persönliche Beziehung zu Pilz. Dieser reagiert einige Stunden später mit einer Klagsdrohung gegen Kurz‘ Anwalt, dieser stelle selbst falsche Behauptungen auf.
Radasztics beginnt mit der Aufnahme der Personalien von Bettina Glatz-Kremsner, frühere Casinos-Chefin und die Hauptangeklagte im Verfahren. Sie gibt an, Pensionistin zu sein, zu Einkommen und Vermögen will sie keine Angaben machen. Gleich danach tauscht sie den Platz mit Kurz, der „Unternehmer“ als Beruf angibt, Informationen über sein Einkommen übergibt er dem Richter schriftlich. Nun nimmt Kurz‘ früherer Kabinettschef im Bundeskanzleramt vor dem Richter Platz, er gibt „glücklich verheiratet“ als Familienstand an. Angaben zu den Einkünften übergibt auch er schriftlich.
Im Überblick
Anklage sieht keinen Zweifel an Schuld
Am heutigen, ersten Prozesstag stehen vor allem die Ausführungen von WKStA und den Verteidigern im Zentrum. Diese Woche Freitag und kommende Woche Montag sind weitere Prozesstermine angesetzt, dank umfangreicher Zeugenlisten dürften weitere Termine im November folgen. WKStA-Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic beginnt nun mit seinen Ausführungen und erinnert an die Wahrheitspflicht, unter der die drei Angeklagten beim Untersuchungsausschuss 2020 gestanden seien. Staatsanwalt Roland Koch führt nun die konkreten Vorwürfe aus - und beginnt mit der Hauptangeklagten, Bettina Glatz-Kremsner.
Es sei nicht glaubwürdig, dass jemand, der wie sie Schnittstelle zwischen Politik und Unternehmen gewesen sei, nicht in die Bestellung von FPÖ-Kandidat Peter Sidlo zum Casinos-Finanzvorstand involviert gewesen zu sein. Chats würden das belegen. Zudem habe die Angeklagte selbst falsche Angaben über ihren Anwalt eingeräumt. Es bestehe kein Zweifel am Vorwurf der falschen Aussage.
„Das sind keine Halbwahrheiten, sondern Unwahrheiten“
Ein kurzer Blick in den Gerichtssaal. Kurz und Bonelli haben nebeneinander vor dem Richter Platz genommen, immer wieder tauschen sie sich zu den vorgetragenen Vorwürfen aus. Glatz-Kremsner sitzt hingegen abseits mit zwei leeren Stühlen Abstand zu Kurz. Adamovic übernimmt wieder und konzentriert sich nun auf Kurz und Bonelli. Es sei immer bekannt gewesen, dass bei der Besetzung einer so wichtigen Position wie jener des ÖBAG-Chefpostens die Politik mitreden wolle. Kurz habe mit Thomas Schmid einen Vertrauten einsetzen wollen, dessen Angaben im U-Ausschuss dazu seien falsch gewesen, wie auch die bekanntgewordene Chats zeigen würden. Er habe jede Teilhabe „geleugnet“. Es handle sich hier um keine „Halbwahrheiten, das sind Unwahrheiten“, sagt Adamovic, während er die Aussagen im Detail durchgeht.
Und auch der Angeklagte Bonelli habe um die Einflussnahme durch Kurz gewusst. Es bestehe auch kein Zweifel am Vorsatz hinter den falschen Angaben, sein Motiv dahinter sei auch „eindeutig“: Er habe politische Nachteile für ihn und seine Partei vermeiden wollen, denn der Eindruck von Postenschacher wäre „in diametralen Widerspruch“ zum propagieren „neuen Stil“ der Partei gestanden. Auch Thomas Schmid habe für neue Beweise, überprüfbare Beweise gesorgt. Das gibt Adamovic wohl auch deshalb an, weil er damit rechnet, dass die Verteidiger die Glaubwürdigkeit von Schmid als Zeuge in Zweifel ziehen werden. Er steht auf der Zeugenladungsliste der WKStA.
WKStA: Kein Grund viel diskutierten „Aussagenotstand“
Und dann geht Staatsanwalt Roland Koch auf jene juristische Möglichkeit ein, die Kurz selbst vor einigen Tagen über seinen Anwalt ins Spiel gebracht hatte - jene des „Aussagenotstandes“. Mehr dazu lesen Sie hier. Damit ist gemeint, dass eine Falschaussage straffrei bleiben kann, wenn man sich mit einer Aussage selbst belasten würde. Diese Gefahr habe laut WKStA jedoch nicht bestanden. Sorge vor medialer Berichterstattung sei kein ausreichender Grund. Adamovic fasst zusammen: Kurz probiere einen „Argumentationsspagat“. Einerseits bestreite er falsche Angaben, andererseits versuche er es über den Aussagenotstand. Beides könne „offensichtlich“ nicht nebeneinander bestehen. Eine Klarstellung sei „dringend geboten, am besten hier und heute“.
Jetzt sind die Verteidiger am Wort. Lukas Kollmann, Anwalt von Glatz-Kremsner, holt über seine Mandantin aus und betont deren Leistungen für die Casinos Austria AG. Sie sein ein Vorbild für die wenigen Frauen in der Wirtschaft, „und auch Vorbilder machen Fehler“. Dafür übernehme sie auch die Verantwortung. Sie werde die Sache aufklären und sich nicht schuldig bekennnen. Jetzt ist Otto Dietrich am Wort, der Verteidiger von Kurz - und er hat eine Präsentation für den Beamer mitgebracht.
Die Aussagen seines Mandanten würden sehr wohl der Wahrheit entsprechen, sagt Dietrich. Die Anklage würde diese nur anders interpretieren, dies grenze teils „an Absurdität“. Zudem sei die Stimmung im U-Ausschuss „aggressiv“ gewesen, der zitierte „Aussagenotstand“ sei auch deshalb möglich, weil die U-Ausschuss-Themen schon strafrechtliche waren. Er beklagt mangelnde Freundlichkeit und Geduld im Ausschuss und fordert am Ende seiner Ausführungen einen Freispruch für seinen Mandanten.
Kein Strafantrag, sondern ein „Falschantrag“
Zum Schluss ist Werner Suppan am Wort, ÖVP-Anwalt und Verteidiger von Bonelli. Er legt seine Verteidigung etwas philosophischer an und zitiert Konrad Paul Liessmann, wonach Sprache immer eine „Verfälschung der Wirklichkeit“ darstelle. Er analysiert die Bedeutung hinter den im Ausschuss gestellten Fragen. Es habe sich beim Ausschuss um ein regelrechtes Tribunal gehandelt. Und beim Strafantrag der WKStA handle es sich um einen „Falschantrag - da wird versucht, einen Bären aufzubinden“. Zudem seien falsche Aussagen vorgehalten worden. Auch er forderte einen Freispruch für seinen Mandanten. Die WKStA wird hier später einen „Screenshot-Fehler“ einräumen, der laut Adamovic „ärgerlich“ sei. Am Aussagegehalt ändere das jedoch nichts.
Nach einer kurzen Pause beginnt die Befragung der Angeklagten, Glatz-Kremsner macht den Anfang. Sie beginnt mit einem Statement, in dem sie ausführt, sie wollte nie „in der ersten Reihe“ stehen, also auch nie Ministerin werden. Das Ibiza-Video habe für Wirbel gesorgt bei den Casinos, erinnert sie sich, Postenschacher wurden thematisiert, Sidlo wurde beurlaubt.
Die Einvernahmen im Anschluss habe sie unterschätzt und Dinge gesagt, die sie hätte sagen sollen. Am Ende ihrer Ausführungen beginnt Richter Radasztics mit seinen Fragen. Er bohrt nach bei der Bestellung von Sidlo und ihrer Rolle dabei. Sie wollte „den Menschen Sidlo spüren“ und habe ihn getroffen, „aktives Lobbying habe ich für Herrn Sidlo nicht betrieben“.
Diversion für Glatz-Kremsner
Eigentlich wäre im Anschluss die Staatsanwaltschaft mit Fragen dran, doch Glatz-Kremsners Anwalt stellt klar: Seine Mandantin wird keine Fragen der WKStA beantworten. Und das tut sie auch nicht, Oberstaatsanwalt Koch stellt sie trotzdem, die Angeklagte schweigt. Richter Radasztics überrascht am Ende mit dem Vorschlag einer Diversion für Glatz-Kremsner, ihr Verfahren soll von jenem gegen Kurz und Bonelli getrennt werden. Die beiden könnten gehen, bleiben aber im Saal.
Nach einer kurzen Beratung mit der Staatsanwaltschaft spricht sich diese jedoch gegen eine Diversion aus. Da bei diesem Verfahren großes öffentliches Interesses besteht, könne man trotz Reue und tadellosem Lebenswandel der Angeklagten nicht zustimmen - „aus generalpräventiven Gründen“. Der Richter verliest nun „zusammenfassend“ den Akteninhalt zu Glatz-Kremsner und kommt zum Schluss: Sie bekommt eine Diversion - wenn sie binnen zwei Wochen 104.060 Euro - also 160 Tagessätze - an das Landesgericht als Bußgeld überweist. Dann bleibt sie unbescholten, das Verfahren gegen sie wird nicht fortgeführt. Die WKStA können dagegen Einspruch einlegen, ihr Verfahren wird damit auf unbestimmte Zeit vertagt.
Der erste Prozesstag endet damit nach mehr als sieben Stunden (vorerst) mit einer Diversion für Glatz-Gremsner, für sie ist der Prozess erledigt. Für Kurz und Bonelli geht es am Freitag weiter, zumindest Kurz dürfte dann befragt werden.
Danke fürs Mitlesen!