Den friedlichen Hintergrund von Viktor Orbáns selbst ernannter „Friedensmission“ erkannten nicht alle Politikerkollegen des Ungarn, wie vor allem nach seinem Besuchen bei Russlands Präsident Wladimir Putin deutlich wurde. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte mit einem Boykott: An informellen Ministertreffen unter der Leitung der derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft in Ungarn werden künftig keine Kommissarinnen oder Kommissare mehr teilnehmen, sondern nur mehr ranghohe Beamte.

Auch aus Österreich hagelte es Kritik für Ungarns Regierungschef – unter anderem von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP): „Er hat nicht im Namen der Europäischen Union gesprochen. Er hat kein Mandat, keinen Auftrag“, unterstrich Schallenberg im Ö1-Morgenjournal. Auch Kanzler Karl Nehammer spricht von einem „Tabubruch, über den man diskutieren muss“. Von einem Boykott halte er jedoch nichts.

„Orban spielt sich als Friedensengel auf“

Othmar Karas, der an seinem letzten offiziellen Arbeitstag als EU-Abgeordneter nach 25 Jahren in der ZiB 2 im „ORF“ Rede und Antwort stand, betonte, dass „niemand boykottiert wird. Es werden Gespräche auf einer Ebene geführt, die der Sache entspricht“.

Konsequenzen, zumindest auf verbaler Ebene, müsse das Verhalten von Ungarns Regierungschef für Karas aber auf jeden Fall haben, denn: „Viktor Orban setzt drei fatale Signale.“ Zum einen kämpfe er gegen die liberale, demokratische Politik und wolle sie durch eine autoritäre ersetzen. Orbán würde sich außerdem als „Friedensengel aufspielen, als wäre er der einzige Mensch, der für Frieden ist“. Karas würde keinen Menschen in Europa kennen, der nicht für Frieden wirbt, außer einen: „Ich kenne nur einen, der keinen Frieden will, nämlich Wladimir Putin.“

Karas‘ dritter großer Kritikpunkt richtet sich vor allem an Orbáns Interpretation seiner Rolle als EU-Ratsvorsitzender: „Viktor Orbán torpediert die Europäische Union, indem er die Einheit der EU gefährdet und sich überhöht. Er ist nicht der Präsident der Europäischen Union. Er erweckt den Eindruck, als würde er für die Europäische Union sprechen, tut es aber nicht.“

Dass der EU-Boykott, den Karas nicht dezidiert so bezeichnet, taktisches Kalkül von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sei, um am Donnerstag genug Stimmen für ihre Wiederbestellung zu sammeln, lässt Karas nicht gelten. Orbáns Verhalten sei nicht darauf zu reduzieren, „wie man zu welcher Mehrheit kommt“.

Karas als Österreichs EU-Kommissar?

Indess sucht Österreich noch immer nach einem EU-Kommissar für die kommende Regierungsperiode. ÖVP und Grüne konnten sich noch nicht einigen. Nun brachte ausgerechnet der kleinen Koalitionspartner und auch die Neos Othmar Karas ins Spiel. „Ich freue mich sehr, dass ich sowohl im Europäischen Parlament als auch in Österreich parteiübergreifend eine große Zustimmung genieße“, meinte der 66-Jährige darauf angesprochen.

Dass seine „eigene“ Partei, die ÖVP, ihn nicht will, wollte er nicht kommentieren. Ebenfalls nicht, ob er mit Kanzler Nehammer über eine mögliche Amtszeit als EU-Kommissar gesprochen habe. „Das ist eine Frage der Bundesregierung und keine Verhandlungsfrage von Parteien mit einzelnen möglichen Persönlichkeiten.“

Würde er trotz alledem nominiert werden, stünde er zur Verfügung, versicherte Karas, Ob die vollen fünf Jahre, ließ er jedoch offen.