Noch nie sind die Parteien, die die Bundesregierung stellen, bei Landtagswahlen gemeinsam auf so schlechte Ergebnisse gekommen. Dass das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen aus dem Stand stärker als SPD, Grüne und FDP zusammen abschneidet und die AfD dort nun fast dreimal so stark ist wie die Ampel, sagt eigentlich alles. Dass sich die Koalitionäre kurz vor den Wahlen zusammengerauft und sich in überraschend kurzer Zeit und ohne öffentlichen Streit auf Konsequenzen aus der Messerattacke in Solingen verständigt haben, hat ihnen nicht mehr geholfen.

Was machen diese Ergebnisse mit der Ampel? Kanzler Olaf Scholz hat bisher alle Wahlniederlagen an sich abperlen lassen. Als die SPD im Mai bei der Europawahl ihr schlechtestes Ergebnis bei einer nationalen Wahl seit mehr als 130 Jahren einfuhr, wandelte er durch das Willy-Brandt-Haus, machte Selfies mit den Genossen und lehnte einen Kommentar zum Wahlergebnis mit einem schlichten „Nö“ ab. Tags darauf sagte er lediglich, es gehe für die Koalition nun darum, ihre Arbeit zu machen und „sich darauf vorzubereiten, dass die Zustimmung immer größer werden wird“.

Bei den Genossen kam das gar nicht gut an. Der Frust über die (Nicht-)Kommunikation des Kanzlers in der SPD ist groß. Dass er sich bisher nicht Bahn gebrochen hat, liegt wohl an der Gewissheit, dass es der Partei mit Blick auf folgende Wahlen sicher nicht hilft, wenn sie sich selbst zerlegt.

Das dürfte auch diesmal wieder so sein. Denn in drei Wochen steht eine Wahl an, die für die SPD noch wichtiger als Sachsen und Thüringen ist. In Brandenburg stellen die Sozialdemokraten seit 1990 durchgehend die Ministerpräsidenten. Sollte die Wiederwahl des seit elf Jahren regierenden Dietmar Woidke scheitern, könnte es mit der Disziplin in der SPD vorbei sein.

Dann dürfte es auch für Scholz ungemütlich werden, der vor der Sommerpause vollmundig angekündigt hat, seine Partei in die nächste Bundestagswahl führen zu wollen. Alle Spekulationen über ein Joe-Biden-Szenario, nach dem Scholz zugunsten des deutlich beliebteren Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) einen Rückzieher machen könnte, werden von der Parteiführung bisher weggewischt. „Wir wollen und werden mit Olaf Scholz antreten bei der nächsten Bundestagswahl“, wiederholt SPD-Chef Lars Klingbeil gebetsmühlenartig. Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagte kürzlich im „Stern“ sogar trotzig: „Olaf Scholz ist der beste Bundeskanzler, den wir je gehabt haben.“

Vorgezogene Neuwahlen?

Die Debatte über vorgezogene Neuwahlen wegen der schwächelnden Ampel könnte in den nächsten Tagen und Wochen auch wieder aufflammen. Gegen einen solchen Schritt spricht weiterhin, dass alle Ampel-Parteien dabei mit einem Absturz rechnen müssten. Derzeit liegen sie in den bundesweiten Umfragen zusammen zwischen 29 und 34 Prozent im Vergleich zu 52 Prozent bei der Wahl 2021.

Bei Spekulationen über Neuwahlen wurde in den vergangenen Monaten vor allem der FDP zugetraut, die Koalition platzen zu lassen. Doch die Liberalen dürften mit Blick auf ihre bundesweiten Umfragewerte von 4 bis 5 Prozent nun am wenigsten Interesse an einer vorgezogenen Bundestagswahl haben. So macht Parteichef Christian Lindner anders als bei früheren vergeigten Landtagswahlen auch nicht die schlechte Performance der Ampel für das Desaster verantwortlich. Er verweist darauf, dass der Osten einfach ein schwieriges Pflaster für die FDP sei.

Grünen-Chef Omid Nouripour hat die Ampel zwar zuletzt als „Übergangsregierung“ tituliert - dass er oder seine Partei dieser „Übergangsphase“ ein jähes Ende bereiten, ist aber nahezu undenkbar. Zu überzeugt sind die Grünen von ihrer als staatstragend empfundenen Rolle. In den Ländern, wo nun gewählt wird, seien sie die Einzigen, die sich klar abgegrenzt hätten vom BSW, das die Unterstützung für die Ukraine infrage stellt, betonen sie. Die Koalition verlassen zu einer Zeit, in der eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps im Bereich des Möglichen scheint und die Ukraine weiter kämpft? Wohl kaum.

Die K-Frage

In der Union gilt der heutige Wahlsonntag als Einstieg in die Schlussphase zur Entscheidung über die K-Frage - die laut den Chefs von CDU und CSU, Friedrich Merz und Markus Söder, im Spätsommer fallen soll - wohl nach der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September.

Merz werden in der Union allgemein die besten Chancen zugeschrieben. Trotzdem wird in der CDU befürchtet, der bayerische Ministerpräsident könnte darauf setzen, dass Merz wegen möglicher Turbulenzen in den kommenden Wochen ins Schlingern kommt. Als offenes Geheimnis gilt, dass sich Söder nach wie vor selbst für den besten Kanzlerkandidaten hält.

In der CDU wird mit schwierigen Sondierungen gerechnet - bis nach der Brandenburg-Wahl. Gut möglich, dass es trotz klarer Ansagen aus der CDU-Zentrale in Berlin den einen oder anderen gibt, der an der von Merz verbürgten „Brandmauer“ zur AfD kratzen möchte.

Schwierigkeiten für Merz könnten sich auch im Zusammenhang mit dem BSW zusammenbrauen, falls die CDU an der BSW bei einer Regierungsbildung nicht vorbeikommt. Merz hatte eine Kooperation zunächst ebenso strikt abgelehnt wie mit der AfD. Wagenknecht sei „in einigen Themen rechtsextrem, in anderen wiederum linksextrem“, sagte er nach der Europawahl im Juni. Erst nach Protest der Wahlkämpfer im Osten rückte Merz von diesem Diktum ab - und erklärte die Frage einer Zusammenarbeit zur Sache der Länder.

„Requiem auf diese Koalition“ in Berlin

Der AfD ist der doppelte Durchmarsch in beiden Bundesländern voraussichtlich zwar verwehrt geblieben. Die Parteivorsitzende Alice Weidel sprach in einer ersten Reaktion trotzdem von einem „historischen Erfolg“ und einem „Requiem auf diese Koalition“ in Berlin.

Dass sie in Thüringen erstmals seit der Parteigründung 2013 stärkste Kraft in einem Bundesland wurde, wertet die AfD nach ihren Erfolgen auf kommunaler Ebene als nächste wichtige Etappe auf dem angepeilten Weg zu mehr Einfluss in ganz Deutschland. Machtoptionen bestehen für die Bundestagswahl 2025 zwar nach jetzigem Stand nicht, da andere eine Zusammenarbeit mit der vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften Partei ausschließen. Fest im Blick habe man aber das Wahljahr 2029, sagte Co-Parteichef Tino Chrupalla schon vor einiger Zeit. Das Kalkül: Sind die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und gleichzeitig die Akzeptanz für die AfD bis dahin groß genug, könnte ihre Stunde auf Bundesebene schlagen.

Wagenknecht und ihre BSW wollen dagegen jetzt schon mitmischen - auch in der Bundespolitik. Sollte es zu Koalitionsverhandlungen kommen, will die neugegründete Partei auch Forderungen stellen, die den Bund betreffen. Die 55-Jährige hat als Voraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung des BSW in Thüringen ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, mehr diplomatische Initiativen der Bundesregierung und eine Absage an die Stationierung von US-Raketen in Deutschland genannt.