Der angeschossene slowakische Regierungschef Robert Fico ist ansprechbar, berichtete der designierte Staatspräsident Peter Pellegrini am Donnerstag. Er selbst habe mit Fico sprechen können, sagte er nach einem Besuch im Krankenhaus in Banská Bystrica, wo der schwer verletzte Politiker betreut wird. Pellegrini bestätigte, dass der Zustand Ficos „nach wie vor ernst“ sei.
Mit dem Attentat sei eine „rote Linie“ überschritten worden, erklärte der gewählte Staatspräsident. „Der Regierungschef ist dem Tod um Haaresbreite entgangen, es hätte genügt, wenn die Schusswunde oder mehrere Schusswunden ein paar Zentimeter weiter gelegen seien, und wir müssten heute vielleicht über ganz andere Dinge reden.“
Die Situation des Regierungschefs sei weiter sehr kritisch. „Ich habe mit ihm nur einige Minuten gesprochen, weil die Ärzte mich um einen kurzen Besuch gebeten haben.“ Vor Fico „liegen schwierige Stunden und Tage“, sagte Pellegrini. „Es war ein sehr persönliches Gespräch, er war sehr müde. Es war nicht möglich, mit ihm länger oder über Politik zu sprechen.“
Pellegrini, ein politischer Verbündeter Ficos, sagte weiter, er hoffe, dass der Regierungschef in den nächsten Tagen wieder Entscheidungen werde treffen können. Bis dahin werde ihn einer seiner Vizepremiers vertreten, so Pellegrini. Er übernimmt Mitte Juni das Amt des Staatsoberhaupts von der scheidenden Präsidentin Zuzana Čaputová.
Interview
Kaliňák dankte allen Medizinern im Krankenhaus. „Der Zustand ist nach wie vor sehr ernst, gerade wegen der Komplexität der Verletzungen, aber wir wollen alle daran glauben, dass wir in der Lage sein werden, die Situation zu bewältigen“, fügte der Politiker von Ficos Partei Smer hinzu. Die Regierung hatte für 11.00 Uhr eine Sondersitzung anberaumt. Zeitgleich soll auch der nationale Sicherheitsrat über die Lage beraten. Dem nationalen Sicherheitsrat gehören neben dem Regierungschef die Minister für Inneres und Verteidigung sowie weitere Minister aller drei Koalitionsparteien an.
Bereits in der Nacht hatte ein weiterer Stellvertreter Ficos, Tomáš Taraba, erklärt, dass Fico außer Lebensgefahr sei. „Soweit ich weiß, ist die Operation gut verlaufen - und ich denke, dass er am Ende überleben wird“, sagte der rechtspopulistische Umweltminister Taraba am späten Abend der BBC. Der Nachrichtendienst Aktuality.sk zitierte eine mit der Angelegenheit vertraute Person mit den Worten, Fico befinde sich nach der Operation in stabilem Zustand. Laut Medienberichten soll Fico wieder das Bewusstsein erlangt haben.
Soziologin: Slowakei extrem polarisiert
In der ZiB 2 sagte die Soziologin Anna Durnova von der Uni Wien: „Es ist sehr gefährlich, die Tat als einen reinen slowakischen Einzelfall zu sehen. Es braucht dafür auch die entsprechenden gesellschaftlichen Strukturen.“ Die Stimmung sei in vielen europäischen Ländern aufgeheizt. Sie verwies auf die Angriffe auf Politiker in Deutschland. Die politische Diskussion an sich habe sich radikalisiert. „Es gibt viel verbale und physische Gewalt, das ist nicht neu. Aber wir haben gedacht, dass wir im 21. Jahrhundert ein demokratisches Zusammenleben geschafft haben.“ Das ändere sich gerade auch durch das Attentat.
Dennoch sieht Durnova auch die Chance auf einen europaweiten Weckruf. Allerdings sei gerade die slowakische Gesellschaft besonders polarisiert, so die Soziologin. Nur Ungarn oder Polen sei noch gespaltener. Dafür sei auch die Politik maßgeblich verantwortlich. Die Soziologin wirbt dafür, das Schwarz-Weiß-Denken, das sich in der Gesellschaft auch dank der sozialen Medien immer stärker manifestiere, zu hinterfragen und sich die Sorgen und Ängste der Menschen ehrlich anzuhören. „Ich würde mir wünschen, dass wir mehr über die Ursachen und Kontexte der Ängste und Sorgen reden und diese in den Vordergrund stellen und auch einmal über die andere Position nachdenken.“
Soziologin Durnova zum Fico-Attentat in der ZiB2
Ermittlungen gegen Personenschützer
Die Behörden prüfen inzwischen, ob seine Personenschützer Fico nicht ausreichend geschützt haben. Entsprechende Ermittlungen „wegen Behinderung der Aufgaben eines Amtsträgers“ seien bereits am Mittwoch eingeleitet worden, sagte eine Behördensprecherin der Nachrichtenagentur TASR am Donnerstag. Mehrere slowakische Experten hatten Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen geübt. Sie rügten unter anderem, dass die Leibwächter unmittelbar nach dem Attentat chaotisch vorgegangen seien.
Nach dem Attentat auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico haben Experten Kritik an den Sicherheitsvorkehrungen geübt. „Wenn ich mich nicht irre, hat Fico vor wenigen Wochen selbst über die Gefahr gesprochen, dass jemand auf Politiker schießen könnte“, sagte der frühere slowakische Polizeipräsident Stefan Hamran am Donnerstag der Zeitung „Dennik N“. Er frage sich, wer dies analysiert und die Gefährdungslage beurteilt habe.
Zudem bemängelte er die Reaktion, nachdem die Schüsse gefallen waren: „Es herrschte dort Chaos, das ist offensichtlich und das ist ein Versagen.“ Auch der frühere Leiter der slowakischen Personenschutzeinheit, Juraj Zabojnik, rügte das Verhalten der Leibwächter des Ministerpräsidenten. „Wenn vier oder fünf Schüsse fallen können, dann ist jemand Schuld daran, dann ist der Personenschutz wohl nicht in Ordnung“, sagte er dem Nachrichtensender TA3. Er habe nicht gesehen, dass sich einer der Bodyguards vor den Regierungschef gestellt habe. Er rechne mit einer harten Untersuchung des Vorfalls, denn die Menge vor dem Kulturhaus in Handlova sei überschaubar gewesen.
Kommentar
Attentat hatte „politisches Motiv“
Verteidigungsminister Robert Kaliňák hatte wenige Stunden zuvor erklärt, Ficos Zustand sei außerordentlich ernst. Auch Innenminister Matúš Šutaj Eštok sprach von einer lebensbedrohlichen Situation. Laut Eštok habe der Angreifer fünf Schüsse abgegeben. Eine Kugel sei durch Ficos Magen gedrungen, eine zweite habe ein Gelenk getroffen, sagte Taraba. Man vermute ein politisches Motiv. Der Täter konnte unmittelbar nach den Schüssen überwältigt werden. Nach früheren Angaben wurde Fico bei dem Angriff in Handlová in den Unterleib getroffen.
Eine Sprecherin eines Krankenhauses in der Stadt schrieb Reuters per E-Mail, Fico sei bei der Einlieferung ansprechbar gewesen. Nach Angaben des Regierungsbüros wurde er zur weiteren Behandlung nach Banská Bystrica geflogen, da der Transport nach Bratislava angesichts der akuten Situation zu lange gedauert hätte.
Bestätigte Angaben zum Täter und dem Motiv lagen zunächst nicht vor. Nach Angaben des Nachrichtendienstes Aktuality.sk handelt es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen 71-jährigen Mann, der im Besitz eines Waffenscheins ist. Der Dienst zitierte den Sohn des Mannes mit den Worten, er habe keine Ahnung von den Plänen seines Vaters und was passiert sei. Sein Vater habe Fico nicht gewählt, mehr könne er dazu nicht sagen.
Ein Reuters-Mitarbeiter berichtete, er habe mehrere Schüsse gehört und gesehen, wie ein Mann von der Polizei festgenommen worden sei. Der Festgenommene sei von Sicherheitskräften in ein Auto gebracht und weggefahren worden. Handlová liegt rund 190 Kilometer nordöstlich von Bratislava. Der Ministerpräsident befand sich auf einer Reise durch die Regionen des Landes.
Das Attentat erschütterte das kleine mitteleuropäische Land und löste internationale Verurteilung aus. Staats- und Regierungschefs mehrerer Länder verurteilten die Tat umgehend.
Robert Fico im Porträt
Fico hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein „Klima der Feindschaft“ gegen die Regierung zu schaffen. Es sei nicht auszuschließen, dass es in einem solchen Klima irgendwann zu einer Gewalttat komme. Fico gilt - wie sein enger politischer Verbündeter, Ungarns Regierungschef Viktor Orbán - als russlandfreundlich. Als der Linkspopulist im Oktober 2023 erneut Regierungschef wurde, stoppte er die Militärhilfe der Slowakei für Kiew und stellte die Souveränität der Ukraine infrage. Orbán blockierte innerhalb der EU monatelang entscheidende Hilfe für die Ukraine.
„Das Land ist tief gespalten“
Der slowakische Autor und Journalist Michal Hvorecký sprach am Abend in der ZiB2 über das politische Klima in der Slowakei und wie es so weit kommen konnte. „Das Land ist tief gespalten“, so Hvorecký. Und nach den Massenprotesten gegen die Pläne von Fico habe sich die Lage in den letzten Monaten noch weiter zugespitzt. „Fico hat das Land noch weiter gespalten“ - auch durch die anhaltende Hetze gegen die Oppositionsparteien und „die liberalen Medien“. Die Schwäche der Opposition habe Fico geholfen, sich autoritär an die Macht zu stellen. Hvorecký fürchtet, das Attentat könnte das Land in eine tiefe Krise stürzen. Andererseits hofft Hvorecký, dass durch das Attentat, das die Nation tief geschockt hat, „die Hetze nun endlich aufhört“.
Entsetzen im In- und Ausland
Der designierte slowakische Präsident Peter Pellegrini hat den Anschlag auf Ministerpräsident Robert Fico als eine „noch nie da gewesene Gefährdung der slowakischen Demokratie“ verurteilt. „Wenn wir andere politische Meinungen mit Pistolen auf den Plätzen ausdrücken und nicht in den Wahllokalen, gefährden wir alles, was wir in den 31 Jahren der slowakischen Unabhängigkeit gemeinsam aufgebaut haben“, warnte der sozialdemokratische Politiker am Mittwoch. Pellegrini brach eine Auslandsreise ab. Er gilt als enger Verbündeter Ficos, auch wenn er vor vier Jahren die eigene Partei Hlas als Absplitterung von Ficos links-nationaler Smer gegründet hatte. Er gewann im April die Präsidentenwahl und folgt im Juni auf die scheidende liberale Präsidentin Zuzana Čaputová.
Die slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová gab sich „schockiert“ über den „brutalen Angriff“ und wünschte Fico eine baldige Genesung. Auch der tschechische Regierungschef Petr Fiala, der polnische Premier Donald Tusk und sein rumänischer Amtskollege Marcel Ciolacu zeigten sich entsetzt, wie sie auf X schrieben.
Innenminister Sutaj Estok kündigte verstärkten Polizeischutz für Politiker, aber auch Journalisten an. Zugleich rief er Medien, Politiker aller Lager und die Öffentlichkeit auf, mit der unerträglich gewordenen „Hetze gegen politische Gegner in sozialen Medien“ aufzuhören: „Es ist völlig natürlich, dass die Emotionen aufgepeitscht sind, aber es wäre sehr schlimm, diesen gefährlichen Zustand noch weiter zu verschärfen“, warnte der Politiker am Mittwoch bei Facebook. Die Schüsse auf Fico nach einer Kabinettssitzung in Handlova bezeichnete er als ein „Attentat auf die Demokratie“.
Nehammer: „Schockiert mich zutiefst“
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) schrieb auf der Plattform X (früher Twitter): „Der Anschlag auf das Leben meines slowakischen Kollegen Robert Fico schockiert mich zutiefst. Erst vor wenigen Tagen haben wir telefoniert und intensiv über Sicherheitsthemen gesprochen. Ich wünsche ihm rasche und vollständige Genesung! Hass und Gewalt dürfen in unseren Demokratien nicht Platz greifen und müssen mit aller Entschlossenheit bekämpft werden!“
Das Attentat zeige einmal mehr, „dass wir alles tun müssen, um eine Radikalisierung der Gesellschaft hintanzuhalten, dass wir gegen Radikalität auftreten, gerade auch im politischen Diskurs“, erklärte Nehammer etwas später auch bei einem gemeinsamen Pressetermin mit Innenminister Gerhard Karner in Wien. Dieser erklärte hinsichtlich möglicher Auswirkungen des Attentats auf Österreich: „Entscheidend ist, dass wir als Exekutive alles Menschenmögliche tun, dass wir in einem sicheren Land leben, dass die Menschen sicher sind, aber natürlich dass auch die obersten Organe in diesem Land sicher sind.“ Nach „so einem Ereignis“ sei es natürlich auch notwendig, „nachzujustieren“.
Nehammer: Hass und Gewalt dürfen nicht Platz greifen
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) verurteilte den Angriff auf Fico im Parlament. Die Attacke auf den slowakischen Ministerpräsidenten sei ebenso wie andere gewalttätige Übergriffe auf Politiker in Europa in den vergangenen Wochen „auf das Schärfste“ zu verurteilen und eine „Attacke auf die Demokratie“, sagte er in der Nationalratssitzung. Im Namen des Parlaments wünschte er Fico „eine baldige und vollständige Genesung“.
Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) schrieb seinerseits: „Ich verurteile das Attentat auf den slowakischen Premierminister Robert Fico aufs Schärfste und wünsche ihm eine hoffentlich baldige Genesung.“
Die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer und die außenpolitische Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic verurteilten gemeinsam den Anschlag in einer Aussendung: „Man muss nicht einer Meinung mit Fico sein, um zu erkennen, dass hier eine rote Linie überschritten wurde.“
SPÖ-Chef Andreas Babler schrieb auf X, die Nachricht „erschüttert mich zutiefst“: „Ein Alarmsignal für unser demokratisches Zusammenleben in Europa. Politik darf niemals zu Gewalt führen.“
Die außenpolitische Sprecherin der FPÖ, Susanne Fürst, betonte in einer Aussendung, physische Angriffe und Gewalt gegen Politiker seien „schärfstens zu verurteilen“. Dafür dürfe es in der politischen Auseinandersetzung „null Toleranz“ geben.
Gewalt darf nicht „zur Norm werden“
US-Präsident Joe Biden sprach von einer „schrecklichen Gewalttat“. Er und seine Frau Jill beteten für Ficos rasche Genesung, schrieb Biden in einer vom Weißen Haus am Mittwoch veröffentlichten Mitteilung. „Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk“, hieß es weiter. Die US-Botschaft stehe in engem Kontakt mit der slowakischen Regierung und sei bereit zu helfen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verurteilte das Attentat im Nachbarland aufs Schärfste. „Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit Gewalt in keinem Land, in keiner Form oder Sphäre zur Norm wird“, teilte Selenskyj via X mit. Die Ukraine sei solidarisch mit der Slowakei und wünsche Fico rasche Genesung. Russlands Präsiden Wladimir Putin ließ über Telegram wissen: „Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen.“
Ungarns Ministerpräsident Orbán gab sich auf X ebenfalls erschüttert über den „verabscheuungswürdigen Angriff gegen meinen Freund, Premier Robert Fico“ und versicherte ihn seiner Gebete.
Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis erklärte, er sei „entsetzt“ und wünsche dem Politiker aus Bratislava baldige Genesung. „Ich verurteile aufs Schärfste solche extremistischen Taten, die unsere europäischen Grundwerte bedrohen.“ Ministerpräsident Marcel Ciolacu schrieb, er sei „zutiefst schockiert“, und verlangte, dass der oder die Täter zur Rechenschaft gezogen würden. Beide Politiker äußerten sich am Mittwoch auf X (vormals Twitter).
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte ebenfalls den „abscheulichen“ Angriff. „Solche Gewalttaten haben in unserer Gesellschaft keinen Platz und untergraben die Demokratie, unser höchstes gemeinsames Gut“, schrieb sie auf X.
Die italienische Premierministerin Giorgia Meloni schrieb: „Mit großer Bestürzung habe ich vom Anschlag auf Fico erfahren. Meine Gedanken sind bei ihm, seiner Familie und dem befreundeten slowakischen Volk. Auch im Namen der italienischen Regierung möchte ich alle Formen von Gewalt und Angriffen auf die Grundprinzipien von Demokratie und Freiheit aufs Schärfste verurteilen.“
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte den Anschlag scharf: „Die Nachricht vom feigen Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Fico erschüttert mich sehr“, schrieb er am Mittwoch auf X. „Gewalt darf keinen Platz haben in der europäischen Politik. In diesen Stunden sind meine Gedanken bei Robert Fico, den Angehörigen und den Bürgerinnen und Bürgern der Slowakei.“
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich „schockiert und entsetzt“ über die Attacke gezeigt. „Ich wünsche ihm Kraft für eine schnelle Genesung“, schrieb er am Mittwoch auf X. Seine Gedanken seien bei ihm, seinen Angehörigen und dem slowakischen Volk.