Nach den Pressefotos zu urteilen, verlief das jüngste Treffen zwischen dem ungarischen Premier Viktor Orbán und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj durchwachsen. Die beiden Politiker trafen sich vergangenen Sonntag am Rande der Amtseinführung des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei in Buenos Aires. Ein Bild zeigt die beiden, wie sie sich gut gelaunt miteinander unterhalten, auf anderen scheint es einen grimmigen Disput zu geben.

Doch die Haltung Ungarns ist klar. Gestern wurde von der Regierungsmehrheit im ungarischen Parlament nicht nur ein weiteres kritisches Gesetz (zum „Schutz der nationalen Souveränität“ werden Geldflüsse aus dem Ausland kontrolliert), sondern auch eine Resolution verabschiedet, in der Orbán aufgefordert wird, beim heutigen Europäischen Rat ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine einzulegen. Orbán selbst sprach gestern einmal mehr davon, dass seine Regierung „überstürzte“ Aufnahmegespräche mit der Ukraine ablehne. Diese wären insofern „absurd“ und „lächerlich“, als die Ukraine noch in einen Krieg verwickelt sei, den sie obendrein „nicht gewinnen“ könne, sagte Orbán. Er sehe „keinen Grund, mit der Ukraine zu verhandeln“, sagte er auch am Donnerstag.

Ungarns Regierung hält auch trotz massiven Entgegenkommens Kiews an ihrer Haltung fest. So wurde jüngst in der Ukraine ein umstrittenes Sprachgesetz rückgängig gemacht, das seit 2019 die Verwendung von Minderheitensprachen im Bildungswesen und in öffentlichen Einrichtungen unter Verbot gestellt hatte. In der westlichen Karpatenukraine leben heute knapp 100.000 Magyaren in der Minderheit. Orbán und seine Regierung ließen sich von der Rücknahme des Gesetzes allerdings wenig beeindrucken. Ungarns Außenminister Péter Szijjártó erklärte, dass die Anstrengungen der Ukraine „noch nicht ausreichend“ seien.

Milliardensegen

Schließlich ist da noch das endlose Gezerre um milliardenschwere Fördergelder, die von der EU-Kommission gegenüber Ungarn zurückgehalten werden. Um diese Mittel zu erhalten, muss in Ungarn der Rechtsstaat wiederhergestellt werden. Dieser wurde laut EU-Kommission von der Regierung Orbáns systematisch untergraben. Am vergangenen Dienstag hat nun aber der einflussreiche Chefstratege Viktor Orbáns, Balázs Orbán, die Rücknahme des ungarischen Vetos hinsichtlich des geplanten 50 Milliarden schweren Hilfspakets für die Ukraine just von der Ausbezahlung der gesamten rund 30 Milliarden Euro an ausständigen EU-Geldern abhängig gemacht – was viele schlechthin als Erpressung sehen. Die Rechnung scheint jedenfalls, trotz heftiger Proteste auch aus dem EU-Parlament, aufzugehen: Wie sich schon in den letzten Tagen abgezeichnet hatte, gab die Kommission gestern einen Teilbetrag frei, immerhin 10,2 Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds. Damit bleiben zwar weiterhin mehr als 20 Milliarden blockiert – aber nun weiß Orbán, welcher Weg zum Erfolg führt.

Mit Blick auf seine Erdöl- und Erdgasversorgung ist Ungarn auf Gedeih und Verderb von Russland abhängig. Hinzu kommt, dass Ungarn beim kostspieligen Ausbau seines Atomkraftwerks im südungarischen Paks von Russland einen Mega-Kredit in Höhe von zehn Milliarden Euro erhalten hat und deshalb auch finanziell in der Schuld Moskaus steht.

Österreich betont Status des Westbalkans

Der Gipfel, der gestern bereits mit einem eigenen Westbalkanteil begann und heute und morgen fortgesetzt wird, birgt jedenfalls gewaltige Sprengkraft. Sicherheitshalber habe man schon bis Samstag Hotelzimmer reserviert, sagte gestern ein EU-Diplomat. Denn die Ukraine ist Dreh- und Angelpunkt auf gleich mehreren Ebenen. So hat sich selbst Österreich in Hinblick auf den Beginn von Beitrittsgesprächen zurückhaltend gezeigt, man sei gegen „Schnellverfahren“, so Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Österreich verknüpft die mögliche Erweiterung so wie Ungarn eng mit den Beitrittswünschen der Westbalkanländer. Ob Österreich eine Zustimmung zu Ukraine-Gesprächen von einer Aufnahme von Gesprächen mit EU-Kandidat Bosnien-Herzegowina abhängig macht, wollte Europaministerin Karoline Edtstadler unmittelbar vor dem Gipfel nicht kommentieren; sie war erst kürzlich zu einem Arbeitsbesuch nach Bosnien-Herzegowina gereist, das ebenfalls seit 2022 im Kandidatenstatus ist. Ratspräsident Charles Michel zeigte sich in der Frage eher zurückhaltend.

Über die „Ukraine-Bande“ wird aber auch die Revision des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) gespielt. Die weiteren Finanzhilfen für die Ukraine, im Grunde für das kommende Jahr abgesichert, sollen auch für die Folgejahre fixiert werden, gleichzeitig drängt die Kommission wegen zusätzlicher Aufgaben wie Grenzschutz auf eine Erhöhung um 66 Milliarden Euro.

Der EU-Gipfel ermöglicht für die Staats- und Regierungschefs ein Wiedersehen mit einem alten Bekannten: Donald Tusk, als Vorgänger von Charles Michel quasi einstiger „Hausherr“ im Ratsgebäude, kehrt als polnischer Premier zurück; damit sollte auch das große Land Polen wieder in den pro-europäischen Kreis Einkehr halten.