In die verfahrene Frage der europäischen Asylpolitik kommt offenbar Bewegung, nicht zuletzt, da EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Montagabend mit einem neuen Gesetzesvorschlag zur Rückführung abgelehnter Asylwerber aufhorchen ließ. Polen und Tschechien wollen die Migration auch auf die Tagesordnung beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs Ende der Woche in Brüssel setzen. Der renommierte österreichische Migrationsforscher Gerald Knaus war dazu am Dienstag im Ö1-Mittagsjournal und auch in der ZiB2 bei Armin Wolf zu Gast.

Knaus warnte im Interview mit Ö1 vor hohen Erwartungen. „Wir haben eine tiefe Krise, und leider dreht sich die Spirale der unseriösen Vorschläge immer weiter“, sagte er. Die EU schaffe es nicht einmal, Dublin-Überstellungen von Asylbewerbern innerhalb Europas durchzusetzen. Die EU schaffe es auch nicht, den Schmugglern im Ärmelkanal das Handwerk zu legen. Es gebe auch kein Land, das bereit wäre, alle Ausreisepflichtigen aus Europa auf Dauer aufzunehmen.

„Deutschland und Österreich tragen Hauptlast“

Knaus zufolge tragen Deutschland und Österreich die Hauptlast von Flüchtlingen aus Syrien und Afghanistan. In den vergangenen zehn Jahren hätten beide Länder zusammen mehr als drei Viertel aller Syrer und mehr als 50 Prozent aller Afghanen in der EU Schutz gewährt. „Solidarität ist auf einem Niedrigst-Stand“, so Knaus.

Der Migrationsforscher sieht im Gespräch mit ZiB-Moderator Armin Wolf von neuen Vorstößen zu Auffanglagern in Drittstaaten – wie etwa das Abkommen von Italien mit Albanien – „die Schlüsselfragen nicht beantwortet“. So bleibe offen, was passiere, wenn etwa Migranten aus Bangladesch auf dem Mittelmeer aufgegriffen, nach Albanien gebracht und einem raschen Asylverfahren zugeführt werden, dieses aber negativ ausgehe. Würden rasche Abschiebungen aus Albanien gelingen, dann müsste das doch auch aus Sizilien oder anderswo gehen, so Knaus.

Stichtage, klare Kommunikation und Menschenrechte

Entscheidend seien Stichtage, klare Kommunikation und Menschenrechte, so Knaus. „Erfolg haben alle Abkommen, die erstens garantieren, dass die europäischen Gerichte zulassen, wenn man Menschen für ein Asylverfahren in einen sicheren Drittstaat bringt.“ Das zweite Entscheidende sei hingegen ein Stichtag, ab dem Migranten in den sicheren Drittstaat gebracht werden, wo sie auch verbleiben sollten, wenn sie – in Verfahren unter Wahrung der Menschenrechte – Schutz bekommen. Die irreguläre Migration ab diesem Stichtag drastisch zu reduzieren, sei bisher „einmal gelungen, mit der EU-Türkei-Erklärung 2016“, die Knaus miterdachte: Die Zahl der Menschen, die sich in die Boote setzten, fiel drastisch, demnach starben auch weniger Menschen auf dem Mittelmeer.

Drittstaatenlösungen würden Aufstieg der Rechtspopulisten bremsen

Es brauche „dringend wieder eine neue Erklärung und Kooperation mit der Türkei“, um die irreguläre Migration zu reduzieren. Man müsse allerdings den betroffenen Heimatländern auch etwas anbieten; könnte mit Abkommen zum Beispiel irreguläre Migration auf die kanarischen Inseln stoppen und den westafrikanischen Ländern dafür reguläre Migrations- bzw. Mobilitätsmöglichkeiten anbieten.

Weil das derzeitige EU-Recht solche Abkommen nur sehr eingeschränkt erlaube, sei dies rasch zu ändern „die größte Herausforderung“ der neuen Kommission, insbesondere des designierten österreichischen Migrationskommissars Magnus Brunner. „Sichere Drittstaatslösungen sind die humane Alternative zum Status quo“, so Knaus, und würden auch den Aufstieg der Rechtspopulisten bremsen. Parteien der Mitte seien gefordert, denn die Reduktion der irregulären Migration – ohne Gewalt – würde auch die „Mehrheit unserer Wähler und Wählerinnen überall in Europa wollen.“