Die Botschaft war klar. Nach der bitteren 1:2-Niederlage im EM-Achtelfinale gegen die Türkei trat Michael Gregoritsch vor die Kamera und nutzte die Euphorie, die das ÖFB-Team zuvor entfacht hatte, für eine politische Botschaft: „Wir können alle stolz darauf sein, dass es in Österreich kaum Ausschreitungen oder negative Vorfälle gegeben hat. Ich glaube, man hat auch gesehen, dass wir alle in diesem Land für eine Sache stehen können, die gut ist. Ich glaube, dass wir weit weg von rechtem Gedankengut sein sollten und wissen, wie wichtig es ist, dass wir alle gleich sind.“
Filzmaier: Sport war immer politisch
Gregoritsch war nicht der erste Spieler, der sich bei dieser Europameisterschaft politisch äußerte. Vor dem Vorrundenspiel gegen Österreich hatte sich beispielsweise Frankreichs Superstar Kylian Mbappé gegen die Partei von Marine Le Pen positioniert, die am Sonntag die Parlamentswahlen gewonnen hatte. Der türkische Doppeltorschütze Merih Demiral wiederum bejubelte den Viertelfinaleinzug mit dem rechtsextremen Wolfsgruß und hat nun deswegen Ermittlungen der UEFA am Hals.
„Die Erzählung vom unpolitischen Sport ist Unsinn“, sagt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Das zeige schon ein Blick in die Statuten der großen Sportverbände. „Da geht es oft um Antidiskriminierung, Zusammenhalt, Frieden und gegen Rassismus – das sind zutiefst politische Ziele“, analysiert Filzmaier. Dass sich nun mehrere Fußballstars gegen Nationalismus und Diskriminierung aussprechen, überrascht den Politologen daher nicht und er sieht Sportler teilweise auch in der Pflicht, sich zu gesellschaftspolitischen Themen zu äußern.
Dass dies in der Vergangenheit nicht immer der Fall war, liegt auf der Hand. „Es gibt Millionen Gründe dafür – meist in Euro oder Dollar“, sagt Filzmaier. Die Verquickung von Sport und wirtschaftlichen Interessen habe politische Lippenbekenntnisse oft in den Hintergrund gedrängt. Sportler fürchteten um ihre Reputation, wenn sie sich politisch klar positionierten. Gleichzeitig vergaben FIFA und IOC ihre Großereignisse an autokratische Regime wie Russland, Katar oder China.
Die Breite ist gefordert
Kein neues Phänomen, wie ein Blick in die Geschichte oder auf das Finalstadion der diesjährigen Europameisterschaft zeigt. So wurde das Berliner Olympiastadion einst von den Nazis erbaut, die Olympischen Spiele 1936 verkamen in der Folge zu einer Propagandashow Adolf Hitlers. Die Projektionsfläche Sport wird von Politikern nur allzu gerne genutzt. Vor allem Regierende profitieren unweigerlich von sportlichen Großereignissen. „Regierungsmitglieder sitzen auf den Ehrentribünen und posieren kraft ihres Amtes mit den Spielern in der Kabine – leider kommen oft antidemokratische Politiker zu diesen Ehren. Damals wie heute“, sagt Filzmaier.
Der deutsche Soziologe Norbert Seitz schreibt dem Sport eine wichtige Rolle zu. In seinem Buch „Fußball und Politik im Doppelpass“ beschreibt Seitz, dass Regierungspolitiker oft dann im Zenit ihrer Macht stehen, wenn die sportliche Großwetterlage für das Land günstig ist. So war die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit der deutschen Nationalmannschaft nach dem Weltmeistertitel 2014 am stärksten.
Kurzfristig könne der Sport alles überstrahlen – gesellschaftspolitische Positionen verändern und Politikern Rückenwind geben, meint Filzmaier. Wer aber will, dass sich langfristig etwas dreht, müsse in größeren Zusammenhängen denken. So müssten sich Politiker nachhaltig mit Sportpolitik beschäftigen und nicht nur in den Kabinen siegreicher Nationalmannschaften jubeln. Zudem seien nicht nur die Profisportler gefragt. „Es nützt nichts, wenn sich Profisportler alleine gegen Diskriminierung aussprechen, wenn schwarze Spieler in der Kreisliga beleidigt werden“, sagt Filzmaier. Die Werte müssten in der Breite gelebt werden, die Botschaften am Stammtisch und im TV-Studio ausgesprochen werden. Nur so bekämen klare Botschaften auch gesellschaftlichen Rückhalt.