Auf den Tag genau vor 25 Jahren ist „Die Tafel Österreich“ von vier Studierenden der Sozialakademie gegründet worden. Das hat die Sozialorganisation am Montag in Wien zum Anlass genommen, von der österreichischen Politik konkretere Maßnahmen gegen Lebensmittelverschwendung zu fordern. Denn rund ein Drittel aller Lebensmittel wird in Österreich weggeworfen. Gleichzeitig leiden rund zwölf Prozent der Bevölkerung - 1,1 Millionen Menschen - unter Ernährungsarmut, 420.000 sogar schwer, wie die Geschäftsführerin der Tafel Österreich, Alexandra Gruber, darlegte. Dazu kommt eine ökologische Komponente: „Lebensmittelverschwendung verursacht bis zu zehn Prozent aller Treibhausgasemissionen“, sagte Gruber.

In den 25 Jahren seit der Gründung der Organisation wurden mehr als zehn Millionen Kilogramm Lebensmittel vor der Entsorgung gerettet und über 350 Sozialeinrichtungen kostenfrei versorgt. So wurden 20 Millionen Mahlzeiten für armutsbetroffene Menschen bereitgestellt und ebenso viele Millionen Kilogramm an CO₂-Äquivalenten eingespart. Möglich wurde dies unter anderem durch 2.000 Personen, die 400.000 Stunden ehrenamtliche Tätigkeit leisteten. In den letzten fünf Jahren sei der Bedarf gestiegen, berichtete die Geschäftsführerin. Doch: „Die Lebensmittelspenden aus gewissen Bereichen gehen zurück, weil zum Beispiel im Handel optimiert wird; es gibt eigene Abverkaufsmechanismen, es gibt die KI. So kommt weniger als früher zu armutsbetroffenen Menschen.“

Außerdem gebe es weniger Ehrenamtliche. Junge Menschen könne man nicht mehr so leicht für das Ehrenamt begeistern, meinte Gruber. Die Teuerung sei ebenfalls ein Problem: „Es wird schwieriger, Spendengelder zu bekommen, weil die Spender selbst von der Teuerung betroffen sind.“ Dennoch hat sich die Menge der geretteten Lebensmittel seit 2019 fast verdoppelt. Aber auch die Zahl der versorgten Personen ist gestiegen: Im vergangenen Jahr versorgte die Tafel über 35.000 armutsbetroffene Menschen in 100 sozialen Einrichtungen - ein Zuwachs von 25 Prozent gegenüber 2022.

Gruber kritisierte die Verwendung des Wortes „Lebensmittelrettung“ zu Werbezwecken. „Der Begriff wird aus unserer Sicht oft missbräuchlich verwendet. Es wird marketingtechnisch hantiert. Nicht jedes Lebensmittel, das als gerettetes aufscheint, ist tatsächlich eines. Die kommerziellen Kanäle sind um vieles attraktiver geworden als die karitativen.“ Für die Zukunft fordert die Tafel unter anderem Förderungen zur Rettung von vorhandenen Lebensmittelüberschüssen aus der Landwirtschaft sowie ein gesundes Gratis-Mittagessen in Schulen. Eine Befragung aller fünf Parlamentsparteien ergab, dass alle Fraktionen Handlungsbedarf im Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sehen. Mit Ausnahme der ÖVP sahen auch alle Parteien Handlungsbedarf bei der Ernährungsarmut, wurde erläutert.

Was konkret in Österreich getan werden könnte, zeigten Lindsay Boswell von der European Food Bank Federation (FEBA) und Marco Koppe, Geschäftsführer von „Die Tafel Deutschland“. Die Tafel Deutschland betreut 1,6 bis zwei Millionen Menschen. Dort ging man 2019 mit dem Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium eine Zusammenarbeit ein, um die Lebensmittelrettung zu digitalisieren. Alle großen deutschen Lebensmittel-Einzelhandelsketten seien an Bord, berichtete Koppe. Beim nördlichen Nachbarn geschehen zwei bis vier Prozent der Lebensmittelverschwendung im Einzelhandel. „In den Schritten davor sind es acht- bis zehnmal so viel“, sagte Koppe.

Boswell, der bis 2023 CEO der Tafelorganisation FareShare war, führte die Bestrebungen in Großbritannien, die Verschwendung in besagten Schritten davor zu stoppen, aus. „Es gibt keinen Bauern, der nicht will, dass sein Essen nicht gegessen wird. Ja, Bauern wollen Geld damit verdienen. Aber wenn es einen Überschuss gibt - was sind die zusätzlichen Kosten für einen Bauern, diesen Überschuss loszuwerden?“, fragte Boswell rhetorisch. „Wenn wir ihm die Differenz dieser Kosten geben, damit er das Lebensmittel erntet, wird dieses gegessen, und der Bauer hat ohne zusätzliche Kosten einen sozialen Beitrag geleistet.“ Das sei kein Lebensmittelkauf und kein Anreiz, Überschuss zu produzieren, betonte Boswell. 7.000 Tonnen an Lebensmitteln sind letztes Jahr in Großbritannien auf diese Weise gerettet worden.

Boswell erinnerte daran, dass das Ende der Lebensmittelverschwendung nicht das Ende der Ernährungsunsicherheit bedeute: „Wenn überhaupt keine Lebensmittel weggeworfen würden, gäbe es immer noch Ernährungsunsicherheit.“ Der FEBA-Vizepräsident appellierte an die Teilnehmer der Veranstaltung: „Wir alle spielen eine Rolle in der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung.“ Also sagte er über die auf der Pressekonferenz zur Verfügung gestellten Backwaren: „Ich würde gerne Ihre Kiefer sich bewegen sehen, dann minimieren wir Lebensmittelverschwendung.“ Was trotz Boswells Aufruf übrig blieb, konnte in der Tafel-Box mitgenommen werden.