Abnehmmedikamente – umgangssprachlich Abnehmspritzen genannt – werden immer öfter eingesetzt, um Menschen, die unter starkem Übergewicht, also Adipositas, leiden, eine effektive Therapie zukommen zu lassen. Zugelassen sind die Wirkstoffe Liraglutid und Semaglutid von der Europäischen Arzneimittelagentur ab einem Alter von zwölf Jahren, können also auch Jugendlichen verabreicht werden.

Für Kinder sind diese Wirkstoffe aktuell noch nicht von der EMA zugelassen. Dies könnte sich nach neuesten Daten aus einer Phase-III-Studie, die dieser Tage im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurden, ändern – zumindest im Fall von Liraglutid. Es wäre dies eine Premiere, denn bislang gibt es für Kinder unter zwölf Jahren keinerlei zugelassene Medikation, um Adipositas zu behandeln. Finanziert wurde die Phase-III-Studie vom Hersteller Novo Nordisk, der auch „Ozempic“ mit dem Wirkstoff Semaglutid produziert. Bei einer solchen Studie wird die Wirksamkeit und auch die Sicherheit eines Medikamentes überprüft, dies ist notwendig, um eine Zulassung von der EMA zu erhalten.

BMI reduziert: Liraglutid auch bei Kindern wirksam

An der sogenannten „SCALE Kids“-Studie nahmen 82 übergewichtige Kinder teil. 56 Kinder erhielten über einen Zeitraum von 56 Wochen eine tägliche Injektion mit Liraglutid, 26 Kinder erhielten tägliche Placebo-Injektionen. Zusätzlich erhielten die Kinder auch eine regelmäßige, persönliche Beratung, um zu gewährleisten, dass die Empfehlungen zu einer gesunden Ernährung sowie ausreichend Bewegung eingehalten wurden.

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Und es zeigte sich, dass sich der durchschnittliche Body-Mass-Index der Kinder in der Liraglutid-Gruppe bei Studienabschluss um 5,8 Prozent verringert hatte. In der Testgruppe hatte dieser um 1,6 Prozent zugenommen. Daniel Weghuber, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Salzburg schätzt die Ergebnisse als positiv ein: „Die Gewichtsveränderung mit einem Unterschied von 7,4 Prozent des BMI zwischen den beiden Gruppen entspricht dem Zehnfachen, was man von einer Lebensstiländerung erwarten würde.“

Den frühen Einsatz eines solchen Medikamentes bewertet er als hilfreich, denn „beim Großteil der Jugendlichen, bei denen eine Adipositas besteht, bestand sie auch schon zum Zeitpunkt der Einschulung, die dann meist bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt“, sagt der Experte. Aus diesem Grund sei eine Intervention so früh wie möglich wichtig. „Medikamente wie Liraglutid wirken insbesondere durch eine Regulation des Appetits in den entsprechenden Hirnzentren und ermöglichen Veränderungen im Ernährungsverhalten, die ohne Medikation nicht oder nur für relativ kurze Zeit durchgehalten werden können.“

Die üblichen Nebenwirkungen

Die Nebenwirkungen unterschieden sich in dieser Studie nicht von jenen, die zuvor auch schon in Studien mit älteren Personen erhoben wurden. Häufig traten Übelkeit, Erbrechen und Durchfall auf. In der Liraglutid-Gruppe kam es in 12,5 Prozent der Fälle zu schweren Nebenwirkungen, in der Placebogruppe in 7,7 Prozent. Die schweren Nebenwirkungen, die mit Liraglutid in Verbindung gebracht werden konnten, waren Erbrechen bei zwei Kindern und eine Darmentzündung bei einem Kind. 10,7 Prozent der Kinder, die Liraglutid erhielten, brachen die Einnahme aufgrund der Nebenwirkungen ab.

Wie lange Kinder das Abnehmmedikament einnehmen sollten, ist aufgrund dieser Studie noch nicht zu beantworten. Grundsätzlich weiß man, dass, wenn man Liraglutid und Co. absetzt, man wieder Gewicht zunimmt. Demnach wäre eine langfristige Therapie eine logische Konsequenz, so Weghuber. „Aber die Entwicklung in diesem Feld ist zu dynamisch, dass langfristige Prognosen zulässig sind.“

Nur für eine kleine Anzahl an Patienten

Gesichert dürfte hingegen sein, dass diese Art von Medikamente nur bei einer kleinen Gruppe von betroffenen Kindern zum Einsatz kommen wird. „Das Medikament kommt zukünftig vor allem für Kinder mit extremer Adipositas infrage und sicher nicht für alle Kinder mit Adipositas“, erklärt Martin Wabitsch, Sektionsleiter Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm. „Dies ist eine kleine Gruppe an Patienten, die durch eine starke biologische Anlage für Adipositas charakterisiert ist. Diese manifestiert sich unter anderem durch einen Defekt der zentralen Regulation von Hunger und Sättigung. Genau hier setzt Liraglutid an.“