Der genaue Mechanismus, der hinter Long Covid steckt, ist noch nicht geklärt. Ebenso wenig gibt es das eine Merkmal, auch Biomarker genannt, das über das Vorliegen dieser Folgeerkrankung einer Sars-CoV-2-Infektion Auskunft geben kann. Innsbrucker Fachleute haben jetzt in Urinproben Betroffener charakteristische Muster entdeckt, die bei Gesunden nicht zu finden waren.
„Rund zehn Prozent der Menschen, die Covid-19 gehabt haben, leiden danach an anhaltenden Symptomen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Atemlosigkeit, Brust-, Gelenks- oder Muskelschmerzen, Schlafstörungen, kognitiven Störungen oder einer Einschränkung ihrer psychischen Gesundheit“, schrieben vor kurzem Maya Taenzer von der Universitätsklinik für Innere Medizin II (MedUni Innsbruck) und ihre Co-Autoren in der wissenschaftlichen Zeitschrift „International Journal of Tryptophan Research“.
Biomarker dringend gesucht
Offenbar seien unterschiedliche Krankheitsursachen dabei involviert, besonders Entzündungsreaktionen sowie Veränderungen im Aminosäuren-Stoffwechsel, im Funktionieren des autonomen Nervensystems und des Darmtraktes. Das Problem, so die Experten: Weil Routinetests bei Long Covid-Patienten nicht aussagekräftig sind, würde man dringend leicht untersuchbare Biomarker benötigen, um einerseits die Ursachen des Krankheitsbildes untersuchen zu können, andererseits aber auch Wege zu einer personalisierten Behandlung für die Betroffenen zu finden.
Für die Labormedizin weiterhin der einfachste Zugang zu Stoffwechselparametern sind Urinproben. Die Innsbrucker Wissenschafter führten deshalb eine Pilotstudie durch. Untersucht wurden Proben von 25 Menschen mit Long Covid (davon 20 Frauen), von acht gesunden Kontrollpersonen (davon sieben Frauen) und von acht Personen mit sogenannter myalgischer Enzephalomyelitis/chronischem Fatigue Syndrom (ME/CFS), das ein zu Long Covid ähnliches Erscheinungsbild aufweisen kann.
Proteine mit Aussagekraft
Weil viele Symptome von Long Covid etwas mit dem Gehirn bzw. dem Nervensystem zu tun haben dürften, konzentrierten sich die Autoren der wissenschaftlichen Arbeit auf bestimmte Proteine in den Harnproben. Ein wichtiges erstes Ergebnis: Die Konzentration der essenziellen Aminosäure Phenylalanin war bei den Probanden mit Long Covid und ME/CFS-Betroffenen signifikant niedriger als bei den Angehörigen der Kontrollgruppe. „Bei vielen Long-Covid-Patienten wich die Konzentration der Stoffwechselprodukte von Tryptophan und Tyrosin, zum Beispiel Serotonin, Dopamin und Katecholamine, von den Referenzwerten ab“, stellten die Fachleute fest. An vielen neurologischen oder psychischen Störungen sind bekanntermaßen die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin oder Katecholamine beteiligt.
Long-Covid-Patienten, die an ständiger Erschöpfung und Abgeschlagenheit litten, wiesen jedenfalls geringere Konzentrationen an den Aminosäuren Kynurenin und Phenylalanin auf. Bei Patienten mit Angstzuständen zeigte sich zum Beispiel wiederum eine geringere Konzentration an Gamma-Aminobuttersäure (GABA). GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im Gehirn und ein Gegenspieler zum erregend wirkenden Glutamat. Verschiedene Arzneimittel gegen Epilepsie wirken, indem sie die GABA-Konzentration erhöhen.
Die Wissenschafter ziehen in ihrer Studie unter anderem folgende Schlussfolgerung aus den Laborergebnissen: „Zusammenfassend deuten unsere Resultate darauf hin, dass bei Patienten mit Long Covid und ME/CFS der Aminosäure-Stoffwechsel und die Synthese von Neurotransmittern gestört ist. Die identifizierten Abbauprodukte und deren Fehlregulierung könnten als potenzielle Biomarker für die Erforschung der Krankheitsursachen dienen und zu personalisierten Behandlungsstrategien für diese Patientengruppen führen.“