Die Long-Covid-Expertin Kathryn Hoffmann fordert in Hinblick auf die Langzeitschäden einer Corona-Erkrankung mehr Prävention ein. Es sei inzwischen klar, dass sich das Risiko mit jeder Infektion kumulativ erhöht, vor allem wenn von der Vorinfektion noch Schäden bestehen „und sich die nächsten schon wieder draufsetzen“, sagte die Leiterin der Abteilung für Primary Care Medicine der meduni Wien gegenüber der Austria Presse Agentur.
Hoffmann betonte, dass der Begriff Long Covid besser differenziert werden müsse. Die Expertin definiert drei große Gruppen: Erstens jene Betroffenen, die durch einen schweren akuten Verlauf (Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung, Lungenfibrose, Nierenschäden etc.) lang anhaltende Schäden erleiden. Die zweite Gruppe umfasst demnach jene, bei denen durch eine Covid-19-Infektion neue Erkrankungen entstehen oder bereits bestehende verschlechtert werden. Hier geht es etwa um Autoimmun-, Lungen-, Herz- und Stoffwechselerkrankungen, Dysfunktionen im Immunsystem oder demenzielle Erkrankungen. Als dritte Gruppe definiert Hoffmann die Neuentstehung des postakuten Infektionssyndroms Post-Covid.
Das Risiko einer weiteren Covid-Infektion
„Was alle brauchen, ist guter Infektionsschutz vor einer erneuten SARS-CoV-2 Infektion“, betont Hoffmann. Die genannte Risiko-Erhöhung mit jeder Infektion betreffe insbesondere die zweite Gruppe. Zusätzlich schwäche eine SARS-CoV-2 Infektion zumindest vorübergehend für ein paar Monate das Immunsystem - „und die Menschen werden für Folgeinfektionen, nicht nur mit SARS-CoV-2, anfälliger und für einige Infektionen wird dann auch die Schwere stärker“. Auch zu Gruppe 3 gibt es laut Hoffmann Studien, die zeigen, dass ca. 80 Prozent der PatientInnen bei einer erneuten Infektion wieder eine Symptomverschlechterung erleiden. Bei den ersten beiden Gruppen sei es wichtig, länger anhaltende Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion ernst zu nehmen und mittels „exzellenter Differenzialdiagnostik“ abzuklären. Dies könne in den bereits existierenden Versorgungsstrukturen geschehen und therapiert werden.
Bei der Gruppe 3 hingegen sieht Hoffmann die Versorgungslage als unzureichend an. Für diese Gruppe an Erkrankten (immerhin zwei bis vier Prozent aller Infizierten) brauche es „dringend“ spezifische Behandlungsstellen, „die es derzeit im öffentlichen System kaum bis nicht gibt“. Unter den geforderten „Behandlungsstellen“ versteht Hoffmann Strukturen, in denen Ärztinnen und Ärzte (und andere Gesundheits-und Sozialberufe) arbeiten, die eine „spezifische Expertise zu postakuten Infektionssyndromen wie eben Post-Covid und ME/CFS haben“. Hoffmann wies gegenüber der APA darauf hin, dass ME/CFS die schwerste Verlaufsform eines postakuten Infektionssyndroms ist - mit dem Symptom Post-Exertional Malaise (PEM).
Notwendige Präventionsmaßnahmen
Nachdem es sich bei SARS-CoV-2 um eine „hochinfektiöse Erkrankung handelt, mit welcher Mensch sich zwei bis drei Mal im Jahr mit immer unterschiedlichen Varianten anstecken kann, welche dabei jedes Mal ein zehnprozentiges Long-Covid-Risiko mit sich bringt und vulnerabler für andere (Infektions)-Erkrankungen macht, braucht es klare, transparente, wissenschaftliche und logisch-nachvollziehbare Schutzmaßnahmen, um wieder zu einer nicht-dauerkranken Gesellschaft zurückzufinden“, sagte Hoffmann.
In Großbritannien und den USA würden die vielen Langzeitausfälle durch Long Covid bereits Schlagzeilen machen. In Österreich steige die Anzahl von gleichzeitig Erkrankten und Krankenstandstagen von Jahr zu Jahr, aufschlussreiche Daten aus Österreich zu Long Covid würden aber völlig fehlen. Ein wichtiger Punkt der Prävention, um Neu- und Re-Infektionen zu verhindern sowie das Long-Covid-Risiko zu mindern.
Weniger gesunde Lebensjahre
Auch verweist Hoffmann auf die wirtschaftlichen Schäden der hohen Infektionszahlen: Der alleinige Fokus auf die Intensivstationsbelegung sei deutlich zu kurz gegriffen. Der aktuelle Fokus sollte darauf liegen, dass durch die ständigen hohen Krankenstände als auch durch die Long-Covid-Schäden die Wirtschaft auf Dauer stark negativ beeinträchtigt werde. „Bei den Long-Covid-Schäden geht es vor allem auch nicht nur um vollständige Ausfälle, sondern z.B. auch um die kognitiven Beeinträchtigungen der Gesellschaft nach auch nur leichten Infektionen“, so Hoffmann. Ein weiterer Fokus sollte auf die sinkende Lebenserwartung und vor allem auf die sinkenden Lebensjahre in Gesundheit gerichtet sein. Auch trage die ständige erhöhte Belastung des Gesundheitssystems bei ständigen Ausfällen beim Personal zu andauernder hohen Belastung des Personals und sekundär zu Personalmangel bei.
Hoffmann betonte, dass es sich bei SARS-CoV-2 um ein über die Luft übertragbares Virus handelt. Daher sollten „sofort Maßnahmen zu sauberer Luft in Innenräumen“ umgesetzt werden - allen voran in Kindergärten und Schulen. Gleiches gelte aber auch für öffentliche Verkehrsmitteln, Großraumbüros und das Gesundheitswesen (Krankenhäuser, Ordinationen, ebenso etwa für Physiotherapie- oder Psychotherapieordinationen sowie Kur- und Rehabilitationseinrichtungen). Bis es so weit ist, brauche es auch „qualitativ hochwertige Masken“, vor allem im Gesundheitswesen und in öffentlichen Verkehrsmitteln - und die Möglichkeit niederschwellige, gute Testmöglichkeiten und Medikamente im Krankheitsfall zu bekommen. Als Beispiel verwies Hoffmann etwa auf New York, wo aktuell Gratis-PCR-Testmöglichkeiten angeboten werden.