Am Ende bedankte sich Sean Baker bei seinem Team, seiner, Mutter und seiner Frau: Momente davor hatte er erfahren, dass er bei den 77. Filmfestspielen in Cannes von der Jury unter der Leitung von Greta Gerwig (“Barby“) für sein von der Kritik bejubeltes Drama „Anora“ die Goldene Palme gewonnen hatten. Der Regisseur setzte sich gegen 21 Filme durch, österreichische Anwärter fehlten heuer.
Der von Kritikerinnen und Kritikern bejubelte Film „Anora“ erzählt von einer Striptease-Tänzerin namens Ani, die einen Oligarchen-Sohn kennenlernt. In jugendlicher Sorglosigkeit heiratet der Bursche Ani nach nur wenigen Tagen – zu großem Missfallen seiner Eltern, die alles in Bewegung setzen, um das wieder rückgängig zu machen. Der temporeiche Film ist eine Mischung aus Komödie und Drama und überzeugt durch tolle Schauspielerinnen und Schauspieler, unerwartete Wendungen und viel Witz. In Cannes wurde der Film bereits als moderne Version des Blockbusters „Pretty Woman“ gehandelt.
Der Große Preis der Jury, die zweitwichtigste Auszeichnung des Festivals, ging an „All We Imagine as Light“ von der indischen Regisseurin Payal Kapadia. Eine ungewöhnliche Entscheidung fiel in der Rubrik der besten Schauspielerin: US-Schauspielerin und Sängerin Selena Gomez teilt sich den Preis mit Zoe Saldana, Karla Sofía Gascón und Adriana Paz. Alle vier spielen Rollen im Musical „Emilia Pérez“, für das Regisseur Jacques Audiard ebenfalls ausgezeichnet wurde. Einen Spezialpreis der Jury erhielt der kürzlich aus dem Iran geflüchtete Regisseur Mohammed Rassulof für „The Seed of the Sacred Fig“. Der Film erzählt anhand von Spannungen in einer Familie von den Protesten im Iran nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022.
Als bester Schauspieler wurde der US-Amerikaner Jesse Plemons für seine Rolle in „Kinds of Kindness“ von Giorgos Lanthimos ausgezeichnet. Der Portugiese Miguel Gomes gewann für „Grand Tour“ den Preis für die beste Regie. Für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde die französische Regisseurin Coralie Fargeat. Ihr Film „The Substance“ setzt sich auf drastische Weise mit Schönheitsbildern auseinander. Die Regisseurin dankte am Samstagabend auf der Bühne ihrer Hauptdarstellerin Moore und sagte: „Der Film handelt von Frauen und davon, was Frauen in der Welt immer noch erleben müssen.“ Sie dankte allen Frauen, die ihre Stimme erheben und sagte: „Ich glaube wirklich, wir brauchen eine Revolution, und ich glaube nicht, dass sie schon begonnen hat.“
Im Rennen um die Goldene Palme war dieses Jahr kein österreichischer Film. Allerdings hatte das Langfilmdebüt „The Village Next To Paradise“ des jungen österreichischen Regisseurs Mo Harawe in der prestigeträchtigen Sektion „Un Certain Regard“ um eine Auszeichnung gerittert. Die Geschichte über eine Familie in Somalia vor dem Hintergrund eines schwierig zu meisternden Alltags in diesem ostafrikanischen Land, bei der Harawe - der in Mogadischu geborene und später nach Österreich geflohene Autodidakt zeichnete auch für das Drehbuch verantwortlich - war bei der Preisverleihung am gestrigen Freitagabend allerdings leer ausgegangen.