Ob ich verrückt bin, fragen die meisten Bekannten, wenn sie von meinem Vorhaben hören. Im Winter im kalten Seewasser baden – das hört sich erstmal tatsächlich verrückt an. Für Gerd Bodner (60), Ludwig Notsch (46) und Andreas Prohart (54) ist es aber Routine. Die drei Freunde nehmen mittlerweile fast täglich ein winterliches Bad im See. „Du fühlst dich stärker und bist nicht mehr so oft krank“, nennt Notsch die positiven Effekte des Eisbadens.
Bodner hat sogar medizinische Heilungsprozesse beobachtet: „Eine Frau in unserer Gruppe hat Rheuma und durch das Eisbaden wurde sie schmerzfrei. Ein anderer Freund ist seine Panikattacken losgeworden“, meint er: „Das kalte Wasser ist für die Psyche toll.“
Eisbaden am Längsee, der Selbstversuch
Wie sich das Eisbaden auf meinen Körper auswirkt, werde ich gleich testen. Über dem Längsee hat sich bereits eine dicke Eisschicht gebildet. Die scharfen Zähne von Bodners Motorsäge durchbrechen das Eis im Nu. Der St. Veiter schneidet ein viereckiges Loch vor dem Steg heraus. Dort soll es also hineingehen, in das drei Grad kühle Wasser.
Mit Eisläufern im Einklang
Zuerst müssen aber die Eisbrocken entfernt werden: „Wir werfen sie unter den Steg, sonst sind sie den Eisläufern im Weg.“ Am Längsee funktionieren Eislaufen und Eisbaden übrigens zur gleichen Zeit, denn der See sei groß genug für alle: „Das ist ein Miteinander. Natürlich schneiden wir nicht direkt dort auf, wo die Kinder später eislaufen, sondern in unserer abgesperrten Zone.“
Autoschlüssel versenkt
Die beiden Klagenfurter Notsch und Prohart steigen als Erste ins Wasser. Wenn es draußen kalt ist, erfordert das eine große Überwindung – und langes Training. Deshalb sollte man beim ersten Mal, so wie ich heute, erfahrene Eisschwimmer dabeihaben.
Generell gilt: niemals alleine Eisbaden! „Es kann viel passieren. Einmal hat zum Beispiel jemand seinen Autoschlüssel im See versenkt. Er war nass und konnte nicht mehr nach Hause fahren“, erzählt Bodner.
Ein innerer Kampf
Jetzt wird es ernst. Der Apnoetauchlehrer wiederholt nochmals die Anweisungen für mich: „Du ziehst dich flott aus und gehst zügig hinein.“ Wenn man zu viel Zeit zum Nachdenken hat, ist es gelaufen. „Der Körper spürt die Kälte und sendet dem Kopf das Signal, nicht weiterzugehen“, erklärt der St. Veiter Routinier. Also muss ich schnell sein. Ich atme tief ein und blicke fokussiert auf das Wasser. Dann greife ich links und rechts nach dem Stiegengeländer und stürze mich mit einem Ruck in den See, gleich bis zu den Schultern.
Das eiskalte Wasser wirkt wie ein Schock. Es löst einen Kampf zwischen Körper und Geist aus – der eine sagt: „Ruhig bleiben und langsam atmen“, der andere signalisiert Panik und schaltet auf Notbetrieb. Meine Konzentration gilt nur einer Sache: „Atmen, atmen, atmen.“
Da ruft Notsch mir zu: „Schon eine Minute, super!“ Es war die Motivation, die ich gebraucht habe. Denn jetzt wird mir klar, mein Kopf hat das Duell gewonnen. „Eine Minute, wirklich?“, entgegne ich ungläubig. Ein Lächeln macht sich auf meinem Gesicht breit. Plötzlich fühlt es sich angenehm an, erfrischend, lebendig.
Meine Hände und Füße sind allerdings durch Neoprenhandschuhe geschützt, am Kopf trage ich eine Haube. Das ist vor allem bei niedrigen Wassertemperaturen wichtig, weil die Endteile des Körpers schneller an Wärme verlieren.
Nach drei Minuten gehen wir aus dem Wasser. Das ist die Maximalzeit, denn die Faustregel lautet: eine Minute pro Grad, länger soll man nicht im See bleiben. Bei drei Grad sind es also drei Minuten.
Meine Begleiter sind stolz darauf, dass ich so lange durchgehalten habe. Es sei jedoch besser, kurz zu baden, dafür aber regelmäßig.
Und wer glaubt, dass man nach dem Eisbaden sofort Wärme braucht, liegt falsch: „Der Körper braucht ein wenig Zeit, um sich selbst zu wärmen.“ Also stehen wir eine Weile am Steg.
Die Haut ist überall gerötet, doch man spürt eine umhüllende Wärme und ein Glücksgefühl macht sich im Körper breit. Es ist ein schwer zu beschreibender Moment, als wäre man neugeboren.
Lehrerin badet im Eis
Womöglich kommt es nach dem Eisbaden zur Ausschüttung von Endorphinen. Denn für die meisten wird aus dem einmaligen Erlebnis bald eine Sucht. So war es bei Doris Fruhwirth, die das Ganze als „Kick“ beschreibt. Die Lehrerin geht zweimal wöchentlich im kühlen Längsee schwimmen: „Meine Freundin hat mich dazu überredet, es auszuprobieren. Wir waren auf einem Seminar am Faaker See. Dann haben wir damit weitergemacht.“
Eigentlich wollte Fruhwirth im Jänner mit dem Eisbaden aufhören. Eigentlich. „Dieser Kick ist wie eine Sucht. Ich konnte mir es anfangs nicht vorstellen, aber jetzt kann ich nicht mehr ohne“, gibt die 50-jährige St. Veiterin zu.
Fruhwirths neues Hobby hat zudem eine interessante Veränderung hervorgerufen: „Früher war ich oft verkühlt. Und heuer war ich den ganzen Winter noch nicht einmal krank. Ob es Zufall ist oder nicht, weiß ich nicht.“
Fakt ist jedenfalls, dass das Eisbaden inzwischen zum richtigen Trend geworden ist. Im Wörthersee, im Flatschacher See und im Maltschacher See gehen immer mehr Menschen im Winter schwimmen. Am Längsee soll sich wochenends sogar eine Schlange vor dem ausgesägten Loch bilden. „Es ist gerade sehr beliebt, vielleicht weil so viele Influencer Videos posten“, sagt Notsch.
Workshop für Kältetraining
Aufgrund der gestiegenen Nachfrage gibt es schon Seminare und Workshops, zum Beispiel im Hotel Hochschober auf der Turracher Höhe. „Die Heilkraft der Kälte stärkt das Immunsystem, reduziert Stress und macht den Körper leistungsfähiger“, werben die Betreiber, die selbst leidenschaftliche Kaltschwimmer sind, auf der Website für den fünftägigen Kurs im März.
Einer von circa 1500 zertifizierten Instruktoren weltweit ist der Grazer Bernhard Friedrich. Er führt den ganzen Winter über Workshops nach Wim-Hof-Methode durch. „Wim Hof war der Erste, der das Kältetraining bekannt und transportierbar gemacht hat“, erzählt der 48-jährige Steirer und betont auch den sozialen Faktor des Eisbadens: „Es sind für mich schon wertvolle Freundschaften entstanden.“
Am 18. Februar hält Friedrich im Nockmed-Gesundheitszentrum in Bad Kleinkirchheim einen Workshop ab. Atemübungen, mentale Übungen und natürlich auch Kältetraining stehen auf dem Programm. Laut dem Instruktor könne das Eisbaden positive Auswirkungen auf den Alltag haben: „Man kann anhand von Kältetraining lernen, gelassener und stressresistenter zu werden.“
Gelassen geht auch unser außergewöhnlicher Badetag am Längsee zu Ende. Wir lassen ihn mit einem Gang in die Sauna ausklingen. Während ich meine Sachen packe, springen meine Begleiter nochmals in das kleine Loch im Eis. Der Suchtfaktor nach dem unbeschreiblichen Glücksgefühl, dem ultimativen „Kick“, ist groß. Auch für mich war es bestimmt nicht das letzte Mal.