Man steht mit erstauntem Blick am Ufer der Mur. Die Außentemperatur bewegt sich so gerade über dem Nullpunkt, mit der Wassertemperatur dürfte es sich ähnlich verhalten. Und die Augen wandern immer wieder zu einigen Menschen, die – in sommerliche Badebekleidung gehüllt – in die Mur waten. Schon beim Zuschauen wird einem kalt.
Doch das geht offensichtlich nicht allen so, denn um das Eisbaden ist ein regelrechter Hype entstanden. Am Grazer Stadtstrand oder in der Donau, im Wörthersee oder im Schwarzlsee: In zahlreichen eisigen Gewässern sieht man dieser Tage Eisschwimmerinnen und Eisschwimmer. In Russland hat das Eisbad Tradition, denn russisch-orthodoxe Christen glauben daran, sich von ihren Sünden reinzuwaschen, wenn sie zum Fest der Epiphanie (Dreikönigstag) in Eiswasser eintauchen.
In unseren Breiten ist es wohl mehr einem Lifestyle-Gedanken geschuldet, dass sich Eisbaden bzw. Eisschwimmen steigender Beliebtheit erfreut. Zahlreiche positive Effekte werden dem Bad im kalten Wasser zugeschrieben. „Diese gibt es“, bestätigt Kardiologe Markus Wallner (Med Uni Graz). Er fügt aber hinzu: „Die Datenlage ist nicht besonders gut. Es gibt einige Studien, aber diese sind meist sehr klein, mit wenigen Teilnehmenden, häufig gibt es auch keine Kontrollgruppe.“ Ganz grundsätzlich könne man aber sagen, dass der Stoffwechsel angeregt werde, da der Körper mehr Wärme produzieren muss. „Zahlreiche Marker werden positiv beeinflusst, man wird etwa stressresistenter.“
Stress für den Körper
Eben, weil das Untertauchen in sehr kaltem Wasser für den Körper Stress bedeutet. „Das ist sofort eine massive Belastung für den Körper und das Herz“, sagt der Experte. Das wirkt sich in einer unkontrollierten Hyperventilation aus, man schnappt sofort nach Luft, das Herz beginnt schnell zu schlagen und der Blutdruck schießt in die Höhe. Dieser Kälteschock kann auch für gesunde Personen lebensbedrohlich werden, ebenso wie Herzrhythmusstörungen, die entstehen können.
Aufgrund dieser extremen Belastungen sollten nur gesunde Menschen eisbaden. Menschen mit Herzkreislaufproblemen oder Personen, die unter Durchblutungsstörungen des Herzens leiden, wird von dieser kalten Aktivität abgeraten. Auch wer schon einen Herzinfarkt erlitten hat, sollte das Eisbaden lassen. Selbes gilt, wenn man an einem akuten Infekt leidet. Wallner rät zudem, sich im Vorfeld einmal von einem Arzt, einer Ärztin durchchecken zu lassen.
Die Überwindung, ins Kalte einzutauchen – der Kopf sollte dabei über Wasser bleiben –, hat auch einen positiven psychischen Effekt, es stellt sich eine gewisse antidepressive Wirkung ein. Einerseits aufgrund des Bewusstseins, etwas überwunden, etwas geschafft zu haben. Vor allem aber, „weil Noradrenalin und Endorphine vermehrt ausgeschüttet werden, wenn man regelmäßig Eisbäder nimmt“, sagt Wallner. Man habe auch gesehen, dass weniger Insulin ausgeschüttet wird und die Insulinsensitivität zunimmt. „Es könnte also sein, dass es einen positiven Effekt auf Diabetes hat.“ Auch bestimmte Blutfette, Triglyceride etwa, verringern sich durch Eisbaden etwas. „Aber das würde ich als Vorsorgemaßnahme ansehen, Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche würde ich Eisbaden nicht empfehlen.“
Positiv für das Immunsystem
Positive Effekte zeigten sich auch in Bezug auf das Immunsystem. „Scheinbar werden Infekte der oberen Atemwege reduziert und man durch regelmäßiges Eisbaden widerstandsfähiger werden kann“, erklärt Wallner. Viele erhoffen sich durch das Eisbaden auch eine Unterstützung, wenn sie das eine oder andere Kilo loswerden möchten. Und in der Tat, auch der Fettstoffwechsel wird angekurbelt. Bei Männern dürfte dieser Effekt aber größer sein als bei Frauen.
Bei all diesen positiven Effekten stellt sich dennoch die Frage nach der Kausalität, nach dem Zusammenhang. „Wir können diese Schlüsse noch nicht abschließend ziehen, da uns große, prospektive Studien fehlen“, sagt der Experte. Denn Menschen, die Eisbaden für sich entdeckt haben, würden tendenziell wohl gesünder leben, mehr Sport machen, sich ausgewogener ernähren als Menschen, die mit Eisbaden nichts am Hut haben. „Werden also diese positiven Effekte durch den Sport, durch die Ernährung oder durch das Eisbaden verursacht? Diese Frage muss in weiteren Studien beantwortet werden“, sagt Wallner.
Will man ins Eiswasser eintauchen, rät Wallner, den Körper Schritt für Schritt an die Kälte zu gewöhnen. Zum Beispiel zuerst mit Wechselduschen. „Wir können den Körper trainieren, dass er die Kälte besser aushält. Am Anfang ist die Kälte sehr schmerzhaft, aber man gewöhnt sich daran, und auch die Atmung kann man trainieren.“