Ein Schneesturm zieht über den Bergen auf und macht die steilen Straßen nur schwer befahrbar. Nicht viele Skifahrer haben sich an diesem nebligen Tag auf die Piste gewagt. In der neuen Zentrale der Pistenrettung auf der Turracher Höhe erwartet man deshalb eine ruhige Schicht. Daraus wird aber nichts, das Handy klingelt: Eine Person liegt verletzt auf der Piste und kann die Schulter nicht mehr bewegen. Sofort springt Betriebsleiter Christoph Stingl auf sein Ski-doo. Der Verletzte schreit vor Schmerzen und hält sich am Arm. „Wir bringen Sie erst einmal nach unten ins Warme“, redet Stingl dem deutschen Urlauber gut zu. Im Sanitäter-Raum tastet er die Schulter ab. „Spürst du deine Finger?“, fragt er. „Ja“, antwortet der Verletzte. „Wie hoch ist der Schmerzfaktor von 1 bis 10?“
Helikopter kann nicht abheben
Der Deutsche ist weiß im Gesicht: „Ich glaube, ich kippe um“, stammelt er vor sich hin. Stingl beruhigt und tastet den Pulsschlag am Handgelenk. „Bei so starken Schmerzen wird eigentlich der Hubschrauber angefordert“, erklärt er später. Dieser ist nur drei Flugminuten im Tal in Patergassen stationiert. Aber der Verletzte hat heute kein Glück: „Das Wetter spielt uns nicht in die Karten. Der Helikopter kann nicht starten.“
Stingl fliegt selbst seit 20 Jahren mit dem eben angeforderten Hubschrauber Alpin 1 des ÖMTC und hat seine Ausbildung als Sanitäter und Bergretter bei den Johannitern Patergassen absolviert. Er kann die Flugverhältnisse schnell abschätzen und bleibt dank all der Erfahrung in jeder Situation ruhig. „Johanniter zwei, kommen“, spricht er in sein Funkgerät. Der Urlaubsgast soll mit dem Rettungswagen zu einem praktischen Arzt nach Bad Kleinkirchheim gebracht werden. Doch nach zwei Versuchen noch immer keine Antwort. „Johanniter zwei, bitte kommen. Könnt ihr mich hören?“
Pistenrettung erhält Unterstützung
Endlich ertönt eine Antwort aus dem Funkgerät. „Laut und deutlich.“ Stingl weist die Kollegen erleichtert auf den Standort des neuen Sanitätsraums hin. Er befindet sich an der Talstation der im Sommer gebauten „Wildkopfbahn“ und wird erst seit dieser Wintersaison benutzt. Der deutsche Urlaubsgast war überhaupt der erste Verletzte, der auf die neue Trage kam. Der ehemalige Raum der Pistenrettung an der Talstation „Kornockbahn“ gehört nun zur Gänze der Polizei, die auf der Turracher Höhe stationiert ist.
Die beiden Einsatzorganisationen arbeiten eng zusammen, jeder Unfall wird von der Alpinpolizei aufgenommen und protokolliert. „Aber auch Skidiebstähle oder Verkehrsunfälle fallen in unseren Verantwortlichkeitsbereich. Wir kümmern uns um alles, was auf der Turrach passiert“, erzählt der Polizist, der heute im Einsatz ist.
Nächster Verletzter im Skigebiet
Von der Pistenrettung sind täglich zwei Personen vor Ort. Stingl kann sich dabei auf die Hilfe seines Sohnes, Paul Stingl, verlassen. Der 21-Jährige folgt dem Vorbild seines Vaters und behandelt die Skigäste auf der Turracher Höhe. Während Christoph den Deutschen versorgt, kommt Paul mit einem zweiten Verletzten auf dem Ski-doo zum Sani-Raum. „Er hat sich am Sprunggelenk verletzt und kann nicht mehr gehen“, informiert er seinen Vater sowie die bereits eingetroffene Sanitäterin von „Johanniter zwei.“ Der Grazer ist auf der Piste gestürzt. „Wir nehmen ihn gleich mit“, sagt die Sanitäterin. Auch er wird zu umliegenden Ärztinnen oder Ärzten mit Röntgenausstattung gebracht.
250 Einsätze wie diese wickeln die Pistenretter pro Skisaison ab. „Es sind hauptsächlich Knie- und Schulterverletzungen“, erzählt Stingl. Gefährlich wären vor allem die scharfen Skikanten und harten Pisten, wobei der größte Auslöser für Skiunfälle Selbstüberschätzung sei. Der 43-Jährige aus Patergassen appelliert außerdem: „Die Leute sollen bitte auf der Piste bleiben.“
Erst im Vorjahr musste Stingl zu einem Lawineneinsatz ausrücken. Nach zwanzig Minuten konnte er mit der Sonde die verschüttete Person finden. „Sie war leider schon tot.“
Das Telefon läutet wieder. Eine Schülerin eines Skischulkurses liegt am Boden und kann nicht mehr weiter. „Unsere Nummer steht auf Schildern neben den Pisten. Oft fahren Begleitpersonen allerdings zum Liftwart, der uns dann kontaktiert“, erklärt Stingl, während er seinen voluminösen Rucksack vorbereitet. Abgesehen von Verbandszeug, Scheren und Infusionen befinden sich darin beispielsweise auch eine Vakuumschiene, mit der ein Knie oder Knochen schnell immobilisiert werden kann, oder ein Rasierer, falls beim Anbringen des Defibrillators Brusthaare stören und entfernt werden müssen.
Die schwierigste Bergung sei übrigens immer eine bei schlechtem Wetter. „Wenn es viel schneit, rutscht man mit dem Ski-doo. Dann müssen Verletzte mit einem Akia (Anm. ein wannenförmiger Schlitten, der vorne und hinten von den Rettern gezogen wird) transportiert werden. Und der Helikopter kann bei Schlechtwetter nicht fliegen“, weiß Stingl.
Entwarnung auf der Turracher Höhe
Noch bevor er die Tür erreicht, klingelt schon wieder das Telefon. Diesmal ist es eine Entwarnung: „Das Mädchen fährt wieder. Keine Hilfe mehr benötigt.“ Die Einsatzkräfte sind erleichtert, denn der Schneesturm wird immer heftiger. Kaum jemand fährt noch Ski, weil die Angst, vom Berg nicht mehr herunterzukommen, groß ist. Allerdings nicht für die Pistenretter. Sie kennen die Turracher Höhe und ihre Umgebung in- und auswendig. Schneestürme fürchten sie sowieso nicht: „Wir kommen auch bei viel Schnee überall hin.“ Und so geht für die Pistenrettung ein ereignisreicher Tag zu Ende.