Traumwetter und Hochwasser, Lockdown und Strandspaziergänge: Grado bietet in diesen Wochen, um mit Meteorologen zu sprechen, ein uneinheitliches Bild. Um mit normalen Leuten zu sprechen: Es ist ein totales Chaos. Die Temperaturen sind nach wie vor hoch, das Laub leuchtet aufs Schönste, doch immer wieder kommt es zu Hochwasser, begünstigt von einem heftigen Scirocco, jenem Südwind, der das Meer gegen den Strand wirft. Wie verrückt das Wetter spielt, wurde an diesem Sonntag deutlich: Orkan in der Nacht, Hochwasser, das gegen 4 Uhr über die Ufer trat, Straßensperren – doch die Gradeser wachten bei strahlendem Sonnenschein und Windstille zu einem malerischen Herbstmorgen auf. Und so mancher wunderte sich über angespültes Seegras vor der Haustür.
Die Behörden haben sich zumindest beim ersten Hochwasser arg blamiert. Die Schulen blieben nämlich offen, die Busse konnten die Schulen aber nicht mehr erreichen. Also ließen die Busfahrer die Kinder einfach an den Absperrungen raus, worauf diese sich ihren Weg durch das Acqua Alta bahnen mussten, teilweise ohne Gummistiefel. Die Eltern waren stinksauer. Unser Commissario, der Grado seit dem Sturz des Bürgermeisters regiert, verteidigt sich: „Ich wollte die Schulen ja schließen, aber die Experten haben gesagt, das sei nicht nötig.“ Dabei war der extreme Pegelstand von 1,66 Metern über dem normalen Hochwasser seit einer Woche fast auf den Zentimeter genau vorhergesagt worden. Dafür ließ er in den folgenden Tagen, als das Hochwasser nur mal kurz hervorlugte, in einer übertrieben dramatischen Geste den halben Ort absperren. Psychologen sprechen in diesem Fall wohl von Kompensation.
Zeit der Grado-Genießer
An den ersten beiden Novembertagen allerdings schickte Friauls Ministerpräsident Massimiliano Fedriga fast die gesamte Region in den Lockdown: Schulen, Ämter und Museen blieben geschlossen, von Reisen wurde dringend abgeraten. Es war nicht so sehr das Hochwasser an der Küste, was Sorgen bereitete, sondern die angeschwollenen Flüsse im Landesinneren sowie der Sturm, der Hunderte Bäume umknickte. Egal: Lockdown können wir ja gut.
Trotz allen Trubels: Das Leben im Ort selbst wird gemächlicher. Die meisten Hotels und Restaurants haben geschlossen, der November ist der touristenärmste Monat auf der Insel. Erst ab Mitte Dezember kommt etwas Leben zurück. Jetzt beginnt die Zeit der Grado-Genießer – mit langen Spaziergängen am Strand (der das Hochwasser übrigens trotz anderslautender Meldungen überstanden hat) und mit Köstlichkeiten der Saison auf dem Teller, am besten mit einem Glas Rotwein vor einem typischen Kamin (Fogolar) genossen. Denn der November ist der Monat des Schlemmens. „Der Körper hat mehr Hunger und braucht auch mehr Nahrung“, erzählt mir ein Koch, „weil er sich auf den Winter vorbereiten muss.“ Eine angenehme Erklärung, deren Wahrheitsgehalt wir aus romantischen Gründen einfach mal nicht überprüfen.
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Stefan Maiwald