100 Kilometer Tunnel, 10 Meter Tageslicht, 100 Kilometer Tunnel, 10 Meter Tageslicht. So ungefähr muss man sich das Leben eines erfolgreichen Musikers vorstellen. Konstanter Ausnahmezustand, ein Leben bei Nacht. Ist man nicht im Studio und nimmt neue Songs auf, ist man auf Tour, um damit Geld zu verdienen. Jeden Tag in einer anderen Stadt, in einem anderen Bett, ohne Familie, oft auch ohne Freunde.

Payne wurde nur 31 Jahre alt

Der Tod des Ex-One Direction-Sängers Liam Payne, der am Mittwoch nach einem Sturz aus dem dritten Stock eines Hotels in Buenos Aires im Alter von 31 Jahren starb, nachdem Passanten zuvor wegen eines „aggressiven Manns“, der „unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen sein könnte“ die Rettungskräfte alarmierten, wirft einmal mehr die Frage auf: Wieso sterben so viele Popstars frühzeitig?

Die australische Psychologieprofessorin Diana Kenny hat die dunkle Seite des Ruhms beleuchtet. Eine Studie, für die sie Biografien von über 12.600 Popmusikern zwischen 1950 und 2014 auswertete, kommt zum Ergebnis: Popstars leben rund 25 Jahre kürzer als die „Normal“-Bevölkerung. Das Unfallrisiko ist demnach fünf- bis zehnmal, die Suizidrate zwei- bis siebenmal so hoch. Selbst die Gefahr, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, ist für prominente Musiker bis zu achtmal höher.

Bühnenangst und Hilferufe

Dass Sex, Drugs and Rock n‘ Roll wenig förderlich für die Gesundheit sind, leuchtet ein. Aber ist die Geschichte hier vorbei? Nein. Hinter dem Leitspruch „Live fast, die young“ steckt mehr. Zum Beispiel Lampenfieber. Ohne Tabletten oder Alkohol können viele Musiker überhaupt nicht spielen, zu groß ist die Angst vor der Bühne. Der 1993 geborene Payne hatte in den vergangenen Jahren offen über seine Probleme mit Alkoholismus und der Berühmtheit gesprochen. Die Liste an Stars, die unter extremer Nervosität (normales Lampenfieber fällt nicht darunter) leiden, ist lang. „Bei einer Show in Amsterdam war ich so nervös, dass ich aus dem Notausgang geflohen bin.“ Schon mehrfach habe sie sich aus Nervosität erbrechen müssen, gestand die britische Sängerin Adele einst. Ozzy Osbourne, Frontman von Black Sabbath schrieb in seiner Biografie: „Zu sagen, dass ich an Nervosität vor der Show leide, ist als würde man sagen, von einer Atombombe getroffen zu werden, tut nur ein bisschen weh.“ Auch Kurt Cobain, Barbra Streisand oder David Bowie litten unter Angstzuständen.

Ein Hilferuf kam dieser Tage auch von einer der derzeit spannendsten Pop-Sängerinnen des Musikkosmos: Chappell Roan. Die US-Sängerin sprach zuletzt offen über ihre Depressionen, den Druck, unter dem sie als Angehimmelte leide. Sie sagte Konzerte ihrer Tour ab, nur um dann erst wieder auf die Bühne zu gehen. Ein Kampf vor den Augen aller. Spannend ist, was Roan öffentlich aussprach: die parasoziale Beziehung mit ihren Fans - ausgelöst durch ein immer weiter wachsendes, gespieltes Naheverhältnis über Social Media, mache ihr zu schaffen. Soll heißen: Es gehört mittlerweile zum Popspiel dazu, mit seinen Stalkern Kontakt zu halten. Man hat nur wenig Zeit, wenig Aufmerksamkeit, die Musik muss in 20 Sekunden-Schnipsel auf TikTok funktionieren. Wie tabuisiert der Rückzug von Musik-Stars ist, zeige sich in den Kommentarspalten zu ihrem Videostatement: Dort warfen ihr Fans vor, die Konsequenzen für ihren Erfolg tragen zu müssen, alles andere sei undankbar.

Das unlösbare Dilemma: Musikalische Kunst gedeiht durch menschliche Ängste, Sorgen, Verletzlichkeit. Die gleiche Gefühlslage ist aber hochgradig destruktiv. Ein - oft - tödlicher Cocktail.