Der Albtraum des Architekten: Er plant für einen Bauplatz, aber das Objekt, das dort des Abbruchs harrt, wird plötzlich denkmalgeschützt. Für den Grazer Planer Hans Gangoly wurde er wahr. Jetzt – nach einer verständlichen Schrecksekunde – freut sich Gangoly darüber.“
So weit der Anfang eines Artikels, publiziert 1997 in dieser Zeitung. Weiters war zu lesen: „Konkret geht es um die ehemalige Stadtmühle in der Grazer Orpheumgasse. Lange Jahre diente das in der Tat ungewöhnliche Gebäude aus dem vorigen Jahrhundert als Altmöbellager.
Schützenswert ist den Denkmalschützern eine einzigartige, über fünf Geschoße reichende Holzkonstruktion, ein kühnes Balken- und Stützsystem. Für dieses System, das fast vier Meter hohe und bis zu 27 Meter (!) tiefe Räume ausbildet, hat Gangoly nun ein anderes System entwickelt – eines von loftartigen Einraumwohnungen (samt integrierter Nasszelle), das wabenartig zwischen die Holzsäulen eingepaßt ist.
Der ursprüngliche Raum bleibt erhalten, die Belichtung der Wohnungen erfolgt – wie üblich – über Fenster, aber notwendigerweise (Raumtiefe!) auch über ein Glasdach und einen Lichthof über die ganze Gebäudehöhe. An der Ostfassade des Hauses (atemberaubender Schloßberg- und Altstadtblick) wird ein durchgängiges Lamellensystem tagsüber für ein einheitliches Bild sorgen, in der Dunkelheit aber für einen neuen Licht-Punkt in der City. Baubeginn: März 1998.“
1999 konnten die 22 Wohneinheiten bezogen werden. Und waren – nicht nur, aber auch, weil auf fünfzehn Jahre eine geförderte Miete garantiert war – schnell gefüllt. 2000 wurde Auftraggeber Albin Sorger mit dem österreichischen Bauherrenpreis ausgezeichnet, im selben Jahr wurde das Projekt mit einer GerambRose geziert.
Seit drei Jahren nun ist das Objekt auf dem freien Markt. Das hatte naturgemäß Veränderungen zur Folge. Einige Mieter zogen aus, andere zogen um. Ein bei AVL tätiger Techniker tauschte hundert Quadratmeter gegen sechzig. Lage und Atmosphäre seien für ihn absolut ideal, beides wolle er nicht missen, erzählt er beim Gießen diverser Pflanzen auf der Balustrade vor seiner Wohnung. Mit Blick in den mit Glas überdachten Innenhof.
Die Gießkanne hat auch ein anderer Bewohner in der Hand. Ein Neuzugang, ebenfalls vom Flair des Gebäudes begeistert. „Man muss das natürlich mögen, aber es ist einzigartig.“ Das Apartment in der Mühle sei das erste gewesen, das er bei seiner Wohnungssuche in Graz besichtigt habe. Und das letzte.
Ein Bewohner der ersten Stunde kommt vom Fach. Der Architekt nahm im Lauf der Jahre einige kleine Veränderungen vor. So zog er in einem Teil des Lofts eine zweite Ebene als Schlaf- und Aufenthaltsplatz für seine Kinder ein. Von einem der mächtigen Balken hängt die jederzeit benutzbare Schaukel.
Probleme mit der Akustik – eine gewisse „Hellhörigkeit“ ergibt sich durch die durchgehende Holzkonstruktion – nimmt er in Kauf. Auch für ihn zählen die optimale Lage (Bahnhofsnähe!) und die Atmosphäre, die sich aus der Verbindung von Alt und Neu ergibt.
Auf älteren Fotos wächst in der zentralen Halle Bambus dem Licht entgegen. Die für diesen geplante Wanne ist derzeit leer und wartet auf Besatz. Der Mann mit der Gießkanne könnte sich gut vorstellen, diesbezüglich aktiv zu werden. Ein kleiner Gemüse- und Kräutergarten vielleicht? Wir kommen in zwanzig Jahren wieder.
Walter Titz