Sie sind Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Braunschweig und haben mit „Putzen als Passion“ eine Liebeserklärung an die Hausarbeit geschrieben. Können wir Sie beim Wort nehmen, Frau Dr. Karafyllis, Sie putzen tatsächlich gern?
NICOLE C. KARAFYLLIS: Ich mache gerade das, worüber Sie mich interviewen: Ich putze. Ich habe Urlaub und bin in der Wohnung meiner Mutter, die gerade auf Reha ist, und ich putze ihr die Wohnung durch.
Ihr Buch wurde ein Bestseller. Hat Sie das überrascht?
KARAFYLLIS: Ob das Buch ein Bestseller werden könnte, habe ich mir nie überlegt. Das Thema ergab sich, weil mich Putzen immer schon fasziniert hat. Ich habe aber gemerkt, dass ich mit kaum jemandem darüber reden kann, weil man sofort pathologisiert wird – als Putzteufel. Und das ist paradox, denn wenn man nicht putzt, wird man auch verteufelt. Damit sind wir bei einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch, und ich dachte mir schon lange, dass man darüber einmal schreiben müsste. Getraut habe ich mich aber erst jetzt im mittleren Alter.
Woher kommt diese persönliche Leidenschaft für etwas, was bei den meisten Menschen doch furcht- und frustbesetzt ist?
KARAFYLLIS: Da muss ich widersprechen. Man denkt nur, das Thema sei bei vielen furchtbesetzt, aber ich bekam auf mein Buch viele Zuschriften von Leuten, die meinten: „Ich putze auch gern, aber man darf es nicht sagen.“ Das kommt durch diese Psychologisierung mit dem Waschzwang. Bei uns daheim wurde ganz normal geputzt. Wir sind allerdings oft umgezogen und ich fand es schon als Kind toll, zu beobachten, wie sich der Schmutz verändert, je nachdem, wo man wohnt. Das war die naturwissenschaftliche Seite an mir, ich habe ja auch Biologie studiert.
Was genau ist also Schmutz?
KARAFYLLIS: Ich finde es wichtig, zu betonen, dass Schmutz von uns selber kommt oder von denen, die wir lieben. Und dass man ihn deshalb nicht so abwerten sollte. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich das Thema auch unter der Perspektive der Gesellschaftskritik gesehen. Mein Buch handelt ja auch davon, dass eine Gesellschaft, die sich nicht mehr mit Schmutz auseinandersetzen will, gleichzeitig aber so hygienebewusst ist, ideologisch wird.
Das Fremde wird zum Feindbild?
KARAFYLLIS: Ja, das sieht man im Putzbereich ganz hervorragend. Dass man Schmutz, wie uns ständig gesagt wird, bekämpfen muss, dass man Putzmittel in Pistolen verkauft, um selbst nicht mehr Hand anlegen zu müssen: Das alles sind Kennzeichen der Militarisierung des Alltags. Das macht mir Sorge. Ich beobachte auch, dass seit ein paar Jahren der lebendige Schmutz, die Bakterien, zu etwas Grauenerregendem stilisiert wird. Das ist interessant, wenn gleichzeitig Dauerbestseller wie das Buch „Darm mit Charme“ belegen, dass man ohne Ekel über den Darm reden kann, obwohl dabei auch Bakterien im Spiel sind. Hier entspannt sich ein ideologischer Kampf zwischen den Guten und den Bösen.
Wie entkommt man diesem Schlachtfeld?
KARAFYLLIS: Ich plädiere fürs rechte Maß beim Putzen: Man sollte es einfach nicht übertreiben.
Dabei setzt aber jeder andere Maßstäbe. Sauberkeit ist relativ.
KARAFYLLIS: Das stimmt schon. Völlig frei verhandelbar ist Sauberkeit aber auch nicht. Es ist so ähnlich wie bei der Höflichkeit: Es gibt einen Bereich, wo sich alle einig sind, dass die Grenze des Erträglichen überschritten ist. Dieses Maß muss man auch beim Putzen finden.
Welche Kriterien gelten?
KARAFYLLIS: Es sollte keinen Schmutz geben, den man sehen kann, keinen, den man riechen kann, und keinen, den man hören kann – den gibt’s nämlich auch: Wenn die Kakerlaken groß genug sind, hört man sie, das habe ich in meinen Jahren in Arabien gelernt. Man sollte einfach auf seine Sinne achten, das reicht dann schon. Aber Angst vor Schmutz, den man nicht sehen kann – Stichwort Bakterien –, ist im Haushalt übertrieben.
Das größte Problem beim Putzen ist wohl: Es wirkt nur kurz. Und das soll Freude machen?
KARAFYLLIS: Die Sinnkomponente ist sicher die größte Herausforderung beim Putzen. Wir meinen, dass etwas, was Sinn hat, ein Werk hinterlassen muss, das Bestand hat. Als Dienstleistungsgesellschaft werden wir aber wohl noch erkennen, dass wir uns einfach an den Dingen erfreuen müssen, die wir tun und die dann vorbei sind.
Wir sehen einfach nicht mehr, dass auch Handwerker putzen müssen.
KARAFYLLIS: Ja, unsere Perspektive ist immer nur auf das Werk gerichtet, weil wir glauben, dass in Werken die Ewigkeit liegt. Das hat eine religiöse Komponente. Was vergänglich ist, auch das Fleischliche, ist nicht das Wichtige. Wir tun aber gut daran, auch dem Vergänglichen einen Sinn abzugewinnen.
Putzen als Alternative zum Stricken oder gar zum Bücherlesen?
KARAFYLLIS: Also, eine Alternative zum Lesen ist es wohl nicht, aber zum Stricken oder Kochen sicher. Es gibt mir Zeit zum Nachdenken, über mich, über Gott und die Welt, und hat auch etwas Kontemplatives oder gar Meditatives. Es hilft, den Kopf, freizubekommen.
Was müsste geschehen, dass Putzen ähnlich sexy wird wie Kochen?
KARAFYLLIS: Das Wichtigste wäre wohl, dass endlich darüber geredet wird. Das Reden übers Putzen ist mit Schuld und Scham besetzt. Und wir sollten endlich nicht mehr so tun, als ob es Schmutz nicht gäbe. Dazu verleitet die Gesellschaft aber, weil wir immer weniger mit denen konfrontiert sind, die den Dreck wegmachen.
Unzählige Ratgeber haben schon versucht, uns zu erklären, wie wir unser Leben am besten organisieren, damit Unordnung und Schmutz erst gar nicht entstehen. Davon halten Sie nichts?
KARAFYLLIS: Das ist reiner Funktionalismus, der macht das Leben nicht schön. Putzen hat für mich auch damit zu tun, dass es das Leben schön macht, weil wir uns dadurch eine behagliche Atmosphäre schaffen.