Manchmal muss man einen Umweg gehen, um ans Ziel zu kommen. Erich Stekovics musste erst Religionslehrer werden, um seine wahre Berufung zu finden: die des Gärtners und Landwirts. Als er mit 34 Jahren beim Zivildienst tagtäglich Krebspatienten zur Chemotherapie fahren musste und diese ihm ständig erzählten, dass sie vieles anders gemacht hätten, wenn sie gewusst hätten, dass sie Krebs bekommen würden, fragte er immer wieder nach: "Was vor allem hätten Sie anders gemacht?" Die Antwort war stets die gleiche: "Ich hätte mehr Zeit im Garten verbracht." Als Stekovics in sich ging und bemerkte, dass seine eigene Antwort auf diese Frage auch nicht anders ausfallen würde, beschloss er, nicht erst auf einen tragischen Anlass zu warten, sondern sich den Kindheitstraum vom Gärtnern gleich zu erfüllen. Er wurde freilich ein Gärtner besonderer Art.

Samen gesammelt

"So wie andere Briefmarken sammeln, habe ich immer Samen gesammelt", gibt er zu Protokoll. "Für den Theologen ist es nur folgerichtig, dass er sich wie Noah mit seiner Arche um eine möglichst vollständige Sammlung bemüht."

Mit nur einem Viertelhektar Acker startete Stekovics 2001 in sein neues Leben und baute Chili an, weil er da schon die meiste Erfahrung und größte Samenvielfalt hatte: "Mein Vater hatte bis in die 80er-Jahre die größten Chilifelder in Österreich." Und Chili macht süchtig. "Das ist ähnlich wie bei Nikotin und Alkohol, hat man sich erst einmal darauf eingelassen, kommt man nicht mehr los davon." Ein Jahr später gesellten sich Paradeiser zu seinen Chilis. "Wir haben für den Verein Arche Noah, der sich um den Erhalt alten Saatguts kümmert, Samen vermehrt und 73 Paradeisersorten im Freiland ausprobiert. Das hat medial voll eingeschlagen", erinnert er sich.

Das Thema geriet zu einem Selbstläufer. Die Arche Noah öffnete für Stekovics ihr gesamtes Archiv samt den eisernen Reserven, immerhin 650 Paradeisersorten. Gemeinsam mit einer russischen Sammlung von 450 Sorten hatte Stekovics binnen eines Jahres von 73 Paradeiservarianten auf mehr als 1000 aufgestockt. Im Laufe der Jahre kamen immer neue Sammlungen diverser Organisationen mit ähnlicher Intention wie die Arche Noah hinzu. Mit dem Resultat, dass Stekovics heute die weltweit größte Sammlung von Paradeisersorten besitzt: 3200 Stück - was dennoch nicht mehr ist als ein Prozent des Sortiments, das die Natur insgesamt zu bieten hat. "Weltweit gibt es um die 300.000 Paradeiserarten", sagt Stekovics.

Einzigartige Aromen

Und jede davon hat ein anderes Aroma - "sie schmecken nach Mango, Banane, Kiwi - süß oder etwas bitter, nussig oder pfeffrig. Der Vielfalt an Formen und Farben sind dabei auch keine Grenzen gesetzt." Man könnte darüber ähnlich lange philosophieren wie über guten Wein, sagt Stekovics. Anders als beim Wein fehle uns bei der Paradeiser aber leider das Vokabular. Weshalb sich Stekovics bei seinen Genusstouren, zu denen sich zwischen Juli und September fünfmal pro Woche rund 20 Menschen auf den Paradeiserfeldern treffen, auch gern mit Geschichten behilft. Seit neun Jahren sind diese Touren übrigens regelmäßig ausverkauft. "Ich sehe das Ganze als Schauspiel, mit den Paradeisern als Hauptdarstellern und mir als Regisseur, der den Leuten Mut macht." Denn nicht nur die Sortenvielfalt von Erich Stekovics ist unkonventionell, auch seine Art, den Paradiesapfel zu kultivieren: Paradeiser wachsen bei ihm ausschließlich im Freien, werden nie gegossen, weder heuer noch im Jahrhundertsommer 2003, nicht ausgegeizt und nicht aufgebunden. "Gießen ist der einzige Fehler, den man bei Paradeisern im Freiland machen kann."

Das Resultat sind weniger Früchte pro Anbaufläche, dafür mit umso mehr Geschmack. Stekovics rechnet vor: "Zwei Kilo Paradeiser ernten wir pro Quadratmeter Anbaufläche, Hybridparadeiser im Bioanbau bringen es pro Quadratmeter auf 18 Kilo und Turbotomaten gar auf 160 Kilogramm - mit dem entsprechenden Verlust an Geschmacks- und Inhaltsstoffen."

Für eine Kostenwahrheit müssten seine Paradeiser rund 20 Euro pro Kilo kosten. Davon sind sie mit einem Kilopreis von 7 Euro zwar noch weit entfernt - "aber in Frankreich nähert man sich bei Lieferungen für die Spitzengastronomie schon dieser Summe", sagt er. Luxus? Das einzige Wort, das Stekovics im Zusammenhang mit Lebensmitteln nicht hören will, ist "billig". "Das Leben an sich ist Luxus. Und bald schon könnte ein Hochbeet für verschiedene Gemüsesorten mehr Status vermitteln als ein Swimmingpool oder ein teures Auto."