Der Heiligengeistplatz in Klagenfurt, heute ein Knotenpunkt der Busse, war von 1945 bis 1951 ein Knotenpunkt der österreichischen Kunstgeschichte: Wo sich der Platz an der Nordwestecke zur Klostergasse verengt, liegt Maria Lassnigs Wohnatelier. Die weltbekannte Malerin, deren „Körpergefühlsbilder“ Preise über 1,3 Millionen Euro erzielen, löste hier schon 1947 einen Skandal aus: Sie – eine 28-jährige Frau - hatte ihren Liebhaber, den Literaten Michael Guttenbrunner, nackt gemalt, mit leuchtend rotem Penis. Das Gemälde erregte nicht nur die Klagenfurter Gesellschaft, sondern auch die Aufmerksamkeit des 18-jährigen Arnulf Rainer. Er besuchte Lassnig in ihrem von der Kunstszene und von Intellektuellen stark frequentierten Atelier; sie wurden ein Liebespaar. Arnulf Rainer: „Sie hat mich Buzzerl genannt, ich sie Maria.“ Die beiden experimentierten nicht nur mit progressiven Malstilen. In den sonnigen Pausen spielten sie im Garten hinter dem Haus wie Kinder mit den 30 Hühnern; unzählige Bewegungsstudien zeugen davon. Auch gemeinsam gemalte Werke entstanden im Atelier ehe die beiden getrennte Wege gingen: Rainer mit Übermalungen, Lassnig mit Körpergefühlsbildern.
Ein kunstgeschichtlich bedeutender Ort also, den es ohne eine weitere Maria nicht mehr gäbe. In den 1970er Jahren, so Maria Nicolini, sei die gesamte Westseite des Heiligengeistplatzes, die Bürgerhäuser, die kleinen Geschäfte und Betriebe, zugunsten eines Großkaufhauses geschleift worden. Nur ein Rest, das Atelierhaus, ist geblieben. Der Mieter, ein Zahntechniker, ließ sich nicht ablösen. Als Nachbarin, die als Kind Maria Lassnig manchmal begegnete, kaufte Nicolini 1980 die vermietete Ruine, „planlos“.
Es sollte fünf Planungen geben, von verschiedenen Büros ausgearbeitet und dann verworfen, bis Bewegung in die Sache kam. 2014 waren sich alle Beteiligten, Stadtplanung und Baumeister, einig: „nicht zu retten, desolat, zum Abreißen“. Als plötzlich das Wort „Metall-Container“ fiel und Maria Nicolini bewusst wurde, dass der stählerne und à la Eiffelturm genietete Jugendstil-Dachstuhl darin verschwinden wird, begann ihr „Gehirn zu zappeln und im Kopf zuckten Bilder“. Im Atelier hatten sich doch nach der Kriegsverzweiflung die Hoffnungen der jungen Kunst kristallisiert, neue Wege beschreiten zu können, ohne als entartet zu gelten. Nicolini: „Dieser Ort, Maria Lassnigs familiäres Gefilde, darf nicht zerstört werden.“
Vom Architektenehepaar Gerhard und Ingrid Piber begleitet, wurde zuerst der noch bestehende Gebäuderest saniert. Parterre und erster Stock behielten ihren kleinteiligen Charakter mit Treppen, spitz- und stumpfwinkeligen Ecken und Nischen. Das Atelier im zweiten Stock öffnet sich dem Besucher hingegen geradlinig und großzügig. Der Dachstuhl aus Stahl trägt die halbtransparente Glasdecke, die von einem Eisenraster mit 96 Feldern, jedes 40 x 60 Zentimeter, gehalten wird. Auf 40 Quadratmetern breitet sich ein wunderbar weiches Atelierlicht auf die noch vorhandenen Farbpaletten und Staffeleien. An Ost- und Westseite erhielt das Gebäude eine zweite Hülle, die den Wohnraum erweitert, zugleich die alte Fassade beschützt. Nicolini: „Das alte Haus steht im neuen Haus nun so, wie es früher im Freien gestanden ist“. 2019 wurde der erste Bauabschnitt an zwei „Tagen der offenen Tür“ vorgestellt. Rund zweitausend Besucher sind gekommen. Erst danach konnte die Baulücke nördlich des Hauses erworben werden, das Relikt eines Pferdeunterstandes aus dem Jahr 1850. Dort steht nun ein Zubau: der fünf Meter hohe „Maria Lassnig Kunstraum“, darüber der „Maria Lassnig Salon“. Beide Räume sind vom alten Ateliergebäude her erschlossen.
Die Fassade des Ensembles entwickelt sich rhythmisch entlang der ansteigenden Klostergasse, farblich am Grün des nahen Stauderhauses orientiert. Markant sind die beiden Erker, einer nach Süden, einer nach Norden ausklappt. Sie eröffnen damit ganz neue Blickwinkel in die Stadt und in den Park. Solche Ausblicke hätten Maria Lassnig gefreut.
Es muss gesagt werden: hier wurde – privat und mühsam – ohne Unterstützung der öffentlichen Hand ein bedeutendes kulturhistorisches Denkmal mit qualitätstouristischem Potenzial gerettet. Wie sich die Stadt Klagenfurt um ihre wichtigsten Kulturdenkmäler kümmert, sieht man andernorts: das spätere Wohnhaus der Maria Lassnig in der Linsengasse: eine rundum zugeschüttete Ruine; das Herbertstöckl am St. Veiter Ring, Wiege des demokratischen Österreichs, verfallen und zu verkaufen: Stadt und Land haben kein Interesse; das Hotel Wörthersee: no comment.
Maria Nicolini arbeitet hingegen an einem Nutzungskonzept: ein Artists-in-Residence-Programm, ein Museum Maria Lassnig, einen Lassnig-Brunnen am neuen Heiligengeistplatz mit einer Achse zum Kiki Kogelnik-Brunnen, oder die Gestaltung der Mauer in der Klostergasse mit Maria-Lassnig-Murales. Eine positive Ausstrahlung bis ins kreative Lendhafen-Viertel wäre garantiert. Öffentliche Unterstützung wäre angebracht. Etwa 3000 Personen plädierten bereits mit ihrer Unterschrift für ein offenes Atelier.
Christian Brandstätter