Für Ihr neues Buch „Bäume auf die Dächer – Wälder in die Stadt“ haben Sie sich drei Jahre lang intensiv damit beschäftigt, wie unsere Städte aussehen könnten, wenn der allgemeine Trend der Naturregulierung und -verdrängung umgedreht werden könnte. Dabei sind Sie auf etliche schon längst realisierte Beispiele für begrünte Dächer und bepflanzte Fassaden gestoßen. Das Thema hat die breite Masse erreicht?
CONRAD AMBER: Die Zeit ist reif dafür, das zeigt sich im Wunsch der Bevölkerung nach Änderungen und in der entsprechenden Erkenntnis der Verantwortlichen, wenngleich hier noch immer viel zu kurzfristig gedacht wird. Jedenfalls gibt es vorbildliche Projekte, die zum Teil schon 30 Jahre alt sind. Sie haben sich nur deshalb nicht durchgesetzt, weil man sie belächelt und als alternativ eingestuft hat – etwa die Hundertwasserhäuser. Erst seit renommierte Architekten mit modernen Bauten vorzeigen, wie Bauen und Wohnen mit Pflanzen funktioniert, ist das Thema zeitgeistig.
Welche Projekte haben Sie in Österreich beeindruckt?
CONRAD AMBER: Ich habe viele wunderbare Dachgärten in Österreich fotografiert, die ich aber nicht vorzeigen darf, weil sie privat sind. Außerdem sind das alles Gärten einzelner Menschen, die sich das auch leisten können. Der überwiegende Teil der städtischen Bauten sind aber große Wohnanlagen und die Menschen, die hier leben, haben ebenso das Bedürfnis nach Grün in nächster Nähe. Hier setzen Projekte wie der Wohnpark Alterlaa vom Architekten Harry Glück aus den 1970ern an. Dieser soziale Wohnbau ist eines der beeindruckendsten Projekte in Österreich. Es ist eines der wenigen Beispiele, die schon so lange Bestand haben und beweisen, dass so etwas auch in dieser Größenordnung funktionieren kann.
Wie ging sich da die Kostenrechnung aus?
CONRAD AMBER: Tatsächlich wurde das durch die Größe der Gebäude finanziert. Nur die unteren Stockwerke wurden begrünt, damals war auch die Technik noch nicht so weit. Die Pflanztröge waren alle Sonderanfertigungen. Mittlerweile werden diese Dinge zigtausenfach produziert. Die Kosten haben sich durch die Vermassung der Produktion verringert und sind auch noch ausgefeilter und zukunftsfähiger geworden.
Ihrer Meinung nach kann man sich auch viel vom Hundertwasserhaus abschauen?
CONRAD AMBER: Über die Architektur kann man streiten, aber hier hat man es gewagt, mit großen Höhen von Erdaufschüttungen zu arbeiten, statisch und von der Abdichtung her wurde das so gut gelöst, dass wir im 6. Stockwerk mittlerweile 30-jährige Bäume haben. Das ist eine Pioniertat, die nachgeahmt gehört, aber leider fast einzigartig blieb, weil wohl viele meinten, dass das mit der Architektur zusammengehört – tut es aber nicht. Ein weiteres Vorzeigeprojekt ist für mich die sogenannte Sargfabrik in Wien, weil es hier auch um die Nachnutzung eines Gewerbegebäudes ging – wie die „Biotope City“, die gerade auf dem ehemaligen Coca-Cola-Areal in Wien entsteht. Das wird übrigens ein Sozialbau.
Sie haben viele Gespräche mit Bauträgern derartiger Vorzeigeprojekte geführt: Um wie viel teurer wird das Bauen durch die Dachbegrünung?
CONRAD AMBER: Die Zahlen, die man dazu genannt bekommt, sind nicht wirklich schlüssig. Sicher ist aber, dass die Kosten für eine schöne, wirkungsvolle Dachbegrünung etwa dreimal so hoch sind wie für ein Kiesdach. Das sind Mehrkosten, die sich aber binnen 10 Jahren querfinanzieren – etwa durch Fördergelder, längere Lebensdauer der Dachhaut und die Energieeinsparung im Haus selber. Hinzu kommt: Das Wohnen in so einem Haus wird wertvoller, für den Mieter, der in der Stadt einen Dachgartenanteil mitmietet, und für den Hausbesitzer, der diesen Mehrwert anbieten und auch verrechnen kann. Wenn ich berücksichtige, dass die Dachhaut bei einer Begrünung doppelt so lange hält wie beim Kiesdach, ergibt sich die Finanzierbarkeit über die nächsten 30 Jahre von selbst.
Die Lebensdauer der Dachhaut erhöht sich tatsächlich so drastisch?
CONRAD AMBER: Das wird durch mindestens zwei Studien aus Hamburg und von der BOKU Wien bestätigt. Es geht dabei um drei Punkte: Erstens gelangt keine UV-Strahlung mehr auf die Folie, zweitens gibt es keine Frostschäden mehr und drittens sind die hohen Temperaturschwankungen auf dem Kiesdach weg – über das Jahr werden auf einem Kiesdach immerhin plus 80 bis minus 20 Grad gemessen.
Und die Wurzeln großer Sträucher und Bäume richten keinen Schaden an?
CONRAD AMBER: Nicht, wenn man es richtig macht: Dann wählt man nämlich einen Aufbau mit einer wurzelfesten Folie und einer Drainageschicht, die auch das Stauwasser entsorgt. Sogenannte Baumquartiere werden sequenziell dort aufgestellt, wo es statisch möglich ist. Für die Bepflanzung werden ausschließlich Flachwurzler gewählt, da gibt es in Österreich eine große Auswahl an heimischen Gewächsen. Bei einem üppigen Dachgarten muss man lediglich darauf achten, dass sich hier nicht Fremdpflanzen versamen und aufwachsen, die möglicherweise bedenklich werden können. Aber auch da versuche ich immer zu beruhigen, weil solche Dinge nicht über Nacht passieren. Ein Baum wird nicht in zwei Jahren riesig, das ist ein langsamer Prozess. Ich sage immer: Sie müssen sich nicht sorgen, was in 20 Jahren einmal ist. Vielleicht kürzen Sie einen Baum dann einfach ein oder ersetzen ihn durch einen neuen, das ist alles machbar, warten Sie erst einmal ab.
All diese Lösungen sind aber nichts für den Altbestand.
CONRAD AMBER: Kaum geeignet sind lediglich Schrägdächer. Wir reden hier schon von einem Flachdach. Ich war in Wien allerdings in einem privaten Garten auf einem 100-jährigen Dach, das teilweise auch schräg war, da wurde bis zu einem Meter Erde aufgeschüttet, und das funktioniert seit 20 Jahren. Das Thema ist: Natürlich muss ich mir das von einem Statiker anschauen lassen. Aber unter jedem Flachdach gibt es tragende Wände und der Kies, der jetzt auf dem Dach liegt, hat auch sein Gewicht. Wenn ich ihn ersetze, gehen sich schon 15 bis 20 cm Substrat aus. Das wären bereits Voraussetzungen für dauerhaftes Grün, ohne statisch eingewirkt zu haben. Dort, wo man Gehölze haben will, wird die Erde einfach höher aufgeschüttet – wie eine kleine Hügellandschaft. Werden diese Baumquartiere dort platziert, wo es unter dem Dach tragende Wände gibt, ist das Risiko für das Gebäude schon minimiert.
Welche Bedeutung hat die Fassadenbegrünung im Vergleich zur Dachbegrünung?
CONRAD AMBER: Mit dem Gründach kann ich einfach mehr erreichen. Die grüne Fassade ist ein Zeichen, ein Statement nach außen hin, hat allerdings auch eine schützende Funktion für das Haus, etwa bei Starkregen oder Hagel. Sie kühlt außerdem die Innenräume und dämmt den Lärm sowohl im Umgebungs- und Straßenbereich als auch im Haus selbst messbar.
Wohin würden Sie Menschen schicken, die sich von Vorbildern inspirieren lassen möchten?
CONRAD AMBER: Sicher zum „Bosco Verticale“ in Mailand (siehe Foto auf der Titelseite, Anm.), weil diese begrünten Zwillingstürme so ganz anders sind als die Hochhäuser, die sonst in dieser naturarmen Umgebung stehen. Die Gebäude sind jetzt schon drei Jahre alt und haben eine beeindruckende Qualität erreicht. Der direkte Unterschied zwischen Kies- und Gründach lässt sich hingegen auf dem Dach des Hamburger Kongresshauses besonders eindrucksvoll erleben. Hier hat man beides auf einem Dach.
Interview: Daniela Bachal