Das Bett wird über eine Leiter erklommen, die Küche hat etwa die Länge eines Armes und das Bad die Größe eines Flugzeugklos. Auf den ersten Blick ist dieses Häuschen mit einer Fläche von 6,4 Quadratmetern winzig, auf den zweiten Blick bietet es alles, was es im Wohnraum wirklich braucht. Konstruiert wurde das sogenannte "Tiny House", das derzeit am Campus des Berliner Bauhaus-Archivs zu sehen ist, vom Architekten Van Bo Le-Mentzel, der eine der treibenden Kräfte der „Tiny House“-Bewegung in Deutschland ist.
Le-Mentzels Minihaus mit dem Namen „Tiny100“ soll inklusive Nebenkosten monatlich nur 100 Euro Miete kosten. Mitsamt Bad, Bett, Kochgelegenheit, Heizung und Toilette - nur eben kleiner. Zu allem Überfluss ist das Sofa ausziehbar und bietet damit zwei zusätzliche Schlafplätze. Kann man sich auf so wenig Platz wohlfühlen? Le-Mentzel: „Menschen, die in Tiny Houses leben, begreifen Raum anders. Sie betrachten einen Park, in dem sie stehen, als ihren Garten und das Café um die Ecke als ihr Wohnzimmer.“ Das Leben in einem Minihaus hat Vorteile und Nachteile, so wie jedes andere Zuhause auch.
Die Ursprünge des Trends liegen in der Immobilienkrise der USA. Mittlerweile hat die Idee, seinen Wohnraum auf ein Minimum zu reduzieren, auch in Europa viele Anhänger gefunden. Die Gründe, warum sich Menschen für diese freiwillige Einschränkung entscheiden, sind vielschichtig: Neben der befreienden Entledigung von allen Entbehrlichkeiten spielt naturgemäß die Reduktion der Wohnkosten eine zentrale Rolle. Ein weiteres Thema ist die Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks. Wer statt 120 Quadratmeter nur noch zehn bauen, beheizen und beleuchten muss, spart Ressourcen. Hinzu kommt, dass die unter den Namen Tiny, Mini oder Mikro firmierenden Häuser meist mobil sind und mit einem Auto gezogen werden können. Nicht nur „weniger Besitz, mehr Leben“ lautet das Motto, sondern: Lebe, wo auch immer du willst. Umzugskartons sind passé - auch, weil für Stauraum ohnehin kein Platz ist.
Wer nun meint, es gehe bei der Idee der „Tiny Houses“ im Grunde um dekorative Wohnwägen und eine Architektur der Not, der irrt: Tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren eine Bewegung mit - teilweise - politischem Anspruch etabliert. Diese verfolgt einen „Tiny Lifestyle“, der eine grundlegende Änderung der gängigen „Je größer desto besser“-Maxime anregt. Das eigene Haus emanzipiert sich (mobil) von einem Grundstück, und die unmittelbare Umgebung wird zum erweiterten Wohnzimmer.
„Tiny House University“ nennt sich die Initiative des in Laos geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Le-Mentzel. Sein neuester Coup: Der Innenhof des Berliner Bauhaus-Archivs wird ein Jahr lang zu einem temporären Dorf, bestehend aus Minihaus-Prototypen.
Bekanntheit erlangte Le-Mentzel durch seine Hartz-IV-Möbelkollektion, Designermöbel zum Selbstbau mit geringem Kostenaufwand. Sein Schlüsselwort heißt Partizipation. Wer sich seine Wohnumgebung selbst baut, hat einen intensiveren Bezug zu dem Produkt. Sei es ein Designertisch oder ein Minihaus. Selbstbeschränkung, die mit Selbstermächtigung einhergeht.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Anbieter für diese spezielle Form des Wohnens. Auch in Österreich. Die Wiener Firma Wohnwagon bietet ein gleichnamiges Produkt an und bewirbt es als „natürliches Tiny House mit Loft-Charakter, mit dem man die Natur als Lebensraum erschließt.“ Das vollautarke Zuhause mit 15 Quadratmeter Fläche kostet rund 85.000 Euro. Wer mehr Purismus möchte, findet auch zahlreiche Häuschen unter 40.000 Euro.