Viele Familien haben das Problem, dass zu Hause zu wenig Platz ist. Sie beschreiben in Ihrem Buch anhand zahlreicher Beispiele, dass viele Räume falsch genutzt werden. Können Sie das genauer ausführen?
SABINE STILLER: In Großstädten haben wir es häufig mit Altbauten zu tun, deren Räume teilweise nur repräsentativ genutzt wurden. Da gab es zum Beispiel die gute Stube, die kaum jemand nutzte, außer wenn Besuch kam. Dann wurde nur dort mit dem Ofen eingeheizt. Heute wollen wir aber alle Räume gleichermaßen nutzen. Ich frage mich aber auch bei Neubauten immer wieder, warum man bei der Planung nicht mehr an Familien denkt. Häufig gibt es viele offene Räume, aber Familien brauchen eben auch Rückzugsorte und geschlossene Zimmer.

Praxisbeispiel: 100 Quadratmeter für eine fünfköpfige Familie, zwei Hasen und einen Hund

Gibt es ein Zimmer, das besonders oft falsch genutzt wird?
Ja, das Wohnzimmer. Es ist meistens ein sehr großer Raum, der dann am Ende selten genutzt wird, weil eben alle in der Wohnküche rund um den Esstisch sitzen. Und dann verwandelt sich so ein Zimmer schnell zu einem Abstellplatz für alles Mögliche. Aber, warum so viel Platz verschwenden, für das klassische Wohnzimmer, das man nicht nutzt?

Woran scheitert es am häufigsten? Ist es das mangelnde Vorstellungsvermögen der Bewohner oder sind es die Grundrisse der Wohnungen?
Viele entwickeln selbst schon Ideen, kommen dann aber ab einem gewissen Punkt nicht mehr weiter. Die meisten haben dann auch nicht die Freiheit im Kopf, ihre Wohnung ganz anders zu denken. Die Problematik ist häufig, dass Kinder dazukommen und irgendwann die Zimmer ausgehen. Da wird es wichtig, die Räume auch in der Höhe auszunutzen. Oder eben die Nutzung von Zimmern einfach zu tauschen.

Haben wir wirklich zu wenig Platz oder nutzen wir ihn falsch?
Wir nutzen ihn auch falsch. Besser gesagt, wir denken nicht darüber nach, was wir wirklich brauchen. Ich merke es bei mir selbst. Früher hat das Wohnzimmer mit dem Sofa viel mehr Platz eingenommen. Dann habe ich mich gefragt: Wann verbringe ich Zeit auf dem Sofa? Die Antwort lautet: nur abends. Aber man sitzt nie mit Freunden dort. Wenn Besuch kommt, dann kochen wir und sitzen am Esstisch. Dafür brauche ich viel Platz, etwas Wohnliches, etwas Gemütliches. Das Sofa kann in einem kleinen, dunkleren Raum stehen, wenn man es nur abends zum Entspannen nutzt. Dieses Umdenken fällt eben schwer. Man muss seine Gewohnheiten analysieren und diese auf den Wohnraum umlegen. Muss das Schlafzimmer das größte Zimmer sein? Muss der Kleiderschrank im Schlafzimmer stehen? Man sollte die Nutzung der Räume hinterfragen, um neue Lösungen zu schaffen.

Architektin Sabine Stiller hilft dabei, den eigenen Wohnraum neu zu denken
Architektin Sabine Stiller hilft dabei, den eigenen Wohnraum neu zu denken © arnestillerphotography.com

Gestiegene Energiepreise und hohe Mieten – was treibt die Menschen an, die zu Ihnen kommen?
Ich merke bei meinen Kundinnen vor allem, dass der Druck steigt, weil es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt. Das ist in den Großstädten ein großes Problem. Egal, ob Berlin, Hamburg, München oder Wien. Viele wollen zwar gerne in der Stadt bleiben und urban leben, aber die Mieten sind zu hoch, sodass sie sich keine größere Wohnung leisten können. Es sind in den meisten Fällen Familien, die daher nach einer kreativen Lösung bei mir suchen.

Wenn es ohnehin schon zu wenig Platz gibt, was müssen Möbel dann können?
Häufig komme ich in die Wohnung und sehe eine Aneinanderreihung von Möbeln, meist an den Wänden entlang. Die Räume wirken so voll gestellt und man hat nicht den passenden Stauraum für die Dinge. Ich bin daher ein großer Fan davon, Stauraum in Einbaumöbeln zu schaffen, denn dann werden die Möbel zu einem Teil der Raumarchitektur. Nur so kann man die Räume bis unter die Decke nutzen. Man erhält so außerdem viel mehr Freiheit und Luft zum Wohnen, und ein schönes Erbstück oder ein Designmöbel kommen besser zur Wirkung. Natürlich kann man auch vieles mit dem Bestand lösen. Einfach mal einen Raum mit einem quergestellten Regal teilen. Man muss einfach sehen, welche Ansprüche und Mittel man hat.