Das erste Haus baut man für seine Feinde. Das zweite für Freunde, und das dritte für sich selbst – besagt ein altes Bauherren-Sprichwort. Ein sehr altes, denn schon seit Jahren stellt sich die Frage, ob es noch vertretbar ist, ein Einfamilienhaus zu bauen, angesichts von Klimakrise, Zersiedelung, Versiegelung oder Extremwetterereignissen – um nur einige Argumente aufzuzählen. Einem UNO-Bericht zufolge, macht der Bau- sowie Gebäudesektor 38 Prozent der globalen CO2-Emissionen aus. Darunter fällt auch die so genannte graue Energie, die für die Materialherstellung, den Transport von Bauteilen oder die Entsorgung anfällt.
Recycling von Baustoffen: Wie man alte Häuser wieder verwertet
Doch gehen wir einige Jahre zurück auf der Zeitleiste. Vor der Coronapandemie war die Klimakrise in aller Munde. „Gemeinsam packen wir es an“, war die gefühlte Stimmung. Dann verbreitete sich im März 2020 das Virus in Windeseile über den Globus, Lockdowns wurden ausgerufen und diese zeigten oftmals: Glücklicher sind die mit Haus und eigenem Garten. Folglich wurde der Traum vom Eigenheim noch häufiger geträumt.
Preise von Baugrundstücken und Häusern lagen 2021 in vielen Regionen Österreichs – auch ländlichen – auf Rekordniveau. Es folgte die Ukraine-Krise. Seit Monaten fragen sich nun viele, ob sie im Winter in warmen Stuben sitzen werden und wenn ja – ob sie sich das leisten können. Pellets werden gehamstert, Öfen angeschafft. Aber wo bleibt das Klima?
Ziviltechniker: Nicht nur das Wie, sondern das Wo zählt beim Bauen
"Es braucht einen Netto-Baustopp"
Für Experten wie Klimaökonom Gernot Wagner ist das Einfamilienhaus einer der zentralen Punkte, wo es einzuhaken gilt. „Es braucht einen Netto-Baustopp – so schnell wie möglich. Wer dann noch ein Einfamilienhaus will, kauft ein bestehendes, das thermisch saniert und nachgerüstet wird“, sagte er in einem Interview mit der Kleinen Zeitung Ende Mai.
Auch Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherungforderte radikale Einschnitte, um die Bodenversiegelung zu stoppen, die aktuell 11,5 Hektar pro Tag betrage – statt der 2002 politisch festgelegten 2,5 Hektar: „In Wahrheit müsste man einen Baustopp auferlegen“, um die „grob fahrlässige Zerstörung Österreichs durch Verbauung zu stoppen“.
Nina Kuess ist Architektin in Lieboch – das Bauen im Bestand ist ihr Spezialgebiet. Für sie begann alles mit einem Bauherren, der auf seinem Grundstück zwei alte Gebäude hatte. Freunde meinten: Abreißen und parzellieren lassen. Ihm kam das nicht richtig vor. Gemeinsam mit Kuess sanierte er das Haus, und der Stadl wurde zum Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten.
Bauen im Bestand: Altes Haus, neu in Schale geworfen
Im Erdgeschoss blieb noch Platz – hier steht nun der alte Traktor. „Was ich damit sagen will, man kann alles machen, wenn man offen ist“, sagt die 35-Jährige. Durch Einsatz von Handwerkern sowie Materialien aus der Region ließe sich graue Energie einsparen.
Das immer wieder ins Spiel gebrachte Argument, dass noch immer viel zu groß gebaut werde – laut Statistik stehen jedem Österreicher im Schnitt zwischen 40 und 50 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung – kann Nina Kuess nicht bestätigen. „Ich sehe bei vielen Bauherren, dass sie sich eine intelligente Raumaufteilung wünschen. Viele wissen, dass die Kinderzimmer ein Ablaufdatum haben und planen sie kleiner, dafür wird das Wohnzimmer größer, mit einer eigenen Nische, in die man sich zum Lernen zurückziehen kann.“
In Phasenplänen werde schon weiter in die Zukunft gedacht – auch in Richtung Barrierefreiheit. Zu viele hätten die Häuser der Eltern als Negativbeispiel im Hinterkopf, mit Kellern, in denen sich der Ballast ansammelte.
Was man über ökologische Dämmstoffe wissen sollte
Erwin Kaltenegger ist Architekt in Weiz und als „Passivhaus-Pionier“ bekannt. Als er während seines Studiums vor rund 35 Jahren hörte, dass es möglich ist, aus der Sonne Strom zu gewinnen, „konnte ich eine ganze Nacht nicht schlafen“. 2001 realisierte er das Gemini-Plus-Energie-Haus in Weiz – ein mit Fotovoltaikpaneelen versehenes Haus, das sich mit der Sonne dreht. Der Grundgedanke: Einfamilienhäuser so energieautark wie möglich zu gestalten.
Passivhaus: Wem die Sonne lacht
Später entstand in Weiz eine Plus-Energie-Siedlung mit 24 Häusern, die etliche internationale Preise erhielt. „Wir dachten uns damals, das ist es jetzt – wir werden nur noch solche Häuser bauen, aber dem war nicht so“, erinnert sich Kaltenegger. Denn zu oft werde der Sparstift an falscher Stelle angesetzt. „Das Passivhaus kostet bei der Errichtung um drei bis fünf Prozent mehr, aber wenn man im Lebenszyklus eines Hauses denkt, dann rechnet sich die Investition sofort.“
"Zu 98,5 Prozent energieautark"
Und der Architekt weiß, wovon er spricht, seit 2004 lebt er in einem Plus-Energie-Haus. Im Vorjahr war es zu 98,5 Prozent energieautark – „mit zwei E-Autos“. „Früher haben mich viele belächelt, weil das Öl so billig war.“
Trend zum Tiny Home: Minimal wohnen, maximal leben
Autarkie und die damit verbundene Sicherheit seien in Tagen wie diesen das Thema der Stunde, bestätigen Nina Kuess, die eine „gewisse Hektik“ ortet, und ihr Weizer Kollege Erwin Kaltenegger. „Ich würde sagen: Wenn ein Einfamilienhaus, dann so durchdacht, nachhaltig und unabhängig wie möglich“, erklärt der 62-Jährige. „Aber oft wird durch sehr einschränkende Bebauungspläne der Gemeinden die Planung und Entwicklung von flächenoptimierten, innovativen und nachhaltigen Einfamilienhäusern verhindert, da wir Architekten kaum in diesen Prozess eingebunden werden. Außerdem geht nicht die Masse, sondern nur ein Bruchteil zum Architekten.“