In Schaffenskrisen wird Betroffenen gerne halbherzig, aber gut gemeint, ein therapeutischer Perspektivwechsel ans Herz gelegt. Diesen hat Tischlermeister Richard Polsterer gleich im doppelten Sinne mehr als erfolgreich vollzogen. Indem er Häuser in Baumkronen hineinzimmerte und sich damit auch gleich ein neues berufliches Standbein baute. „Ich wollte eine Weiterentwicklung und Lebensveränderung“ , erinnert sich der 54-Jährige substanziell zufriedener zurück.
Eine Schaffenskrise, wie er heute selbst diagnostiziert, brachte Polsterer vor neun Jahren dazu, seinen Tischlereibetrieb ruhend zu stellen und auf dem Gelände einer alten Papierfabrik samt Schlosspark ein Baumhaus zu bauen. Heute ist „Baumhaus 1“ auf seiner Homepage „Treehouses“ nur ein Beispiel für all die Häuschen mit Aussicht, die im Laufe der vergangenen Jahre entstanden sind. „Ich konnte mich bei den Baumhäusern wieder selbst verwirklichen, anders als in meinem Beruf als Tischler, wo man meist nach Kundenwünschen arbeitet. Was ja auch völlig in Ordnung ist, mich hat es aber wirklich nicht mehr glücklich gemacht.“
Die Besucher? Singvögel, Kuckuck und Pirol
Langer Rede, kurzer Sinn: Die Geschichte von „Baumhaus 1“ landet in einem großen österreichischen Magazin und markiert den Startpunkt von Richard Polsterers Karriere als beinahe höhenangstbefreitem Baumhaus-Architekten. „Das Telefon lief heiß“, sagt der Tischler, der nun Buben- und auch Mädchenträume wahr werden lässt. „Viele wollen ein Baumhaus als Rückzugsort, weil sie dort Yoga machen oder offline gehen wollen. Andere wollen es für die Enkel oder Kinder.“ Die Gründe für ein Häuschen über dem Erdboden sind mannigfaltig, doch der Wunsch, aus dem Alltag zu entfliehen, nimmt zu. So habe auch Polsterer seit der Corona-Pandemie mehr Anfragen erhalten, was aber nicht automatisch mehr Aufträge zur Folge habe.
Wie steht es mit den Nachbarn?
Klappt es jedoch, geht es zu Beginn vor allem einmal darum, den Zustand des Baums einzuschätzen. „Es schadet auch nicht, einen Baumpfleger ein Zertifikat über den Zustand des Baums ausstellen zu lassen.“ Eine weitere Frage des Experten an potenzielle Kunden lautet: Wie ist es um Ihr Verhältnis zu den Nachbarn bestellt? Immerhin kann man aus mehreren Meter Höhe in benachbarte Schlafzimmer oder Pools blicken.
Bei Bau und Befestigung arbeitet Richard Polsterer vor allem mit Schrauben, Nägeln, Ketten und Seilen. Die Bewegung des Baums bei Wind und Wetter sowie unter Schneelast müssen berücksichtigt werden. „Ich arbeite mit Augenmaß, die Hütten und Plattformen kommen an jene Stellen, an denen ich keine Äste entfernen muss. Und wenn, nur kleine untergeordnete.“ Bisher haben es auch alle Bäume gut überstanden. „Obwohl, bei Sturm komme ich schon gelegentlich ins Schwitzen.“
Alles verboten
"Alles verboten" heißt das sechs Quadratmeter große Baumhaus, das sich der Wiener Johann Halper zu seinem 50. Geburtstag selbst geschenkt hat – „um etwas Bleibendes zu haben“. Eine Wendeltreppe führt auf die auf einer Schwarzkiefer angebrachte Plattform in sieben Meter Höhe, deren Zentrum ein Stahlrahmenfenster aus Polsterers altem Industriegebäude bildet, das von einem Schlosser noch mit zwei Flügeln versehen wurde. Das Baumhaus ist das Ergebnis eines langen Entstehungsprozesses zwischen Richard Polsterer und Johann Halper. „Es geht ja nicht nur darum, einfach runterzuschauen, sondern das Haus soll ja auch ein integrativer Bestandteil des Baumes sein und zum Garten passen. Durch jedes Gespräch sind weitere Erkenntnisse gekommen“, so der Auftraggeber, der in der IT-Branche tätig ist. Heute schätzt er alleine schon den Spaziergang quer durch den Garten zu seinem Rückzugsort.
Am Baum mit Watzlawick
„Es ist ein völlig anderer Bereich, ein anderer Blick, eine andere Atmosphäre. Man sitzt ja in der Baumkrone – Krähen, Baumläufer, Kleiber, Eichhörnchen, neugierige Katzen – man sieht alles Mögliche.“ Wie der Name bereits vermuten lässt, ist hier alles verboten. Lediglich Matratzen, Pölster und einige Bücher haben es nach hier oben geschafft. Gartenbücher oder Schriften des Philosophen Paul Watzlawick, der sagte, dass es unmöglich sei, nicht zu kommunizieren. Hier oben mit genügend Abstand zum Alltag ist man aber zumindest ein bisschen näher dran am Nicht-Erreichbarsein.