Ingrid und Oswald Wiener sind, wie man so sagt, weit herumgekommen. Im Umfeld von Aktionismus und Wiener Gruppe lernen sie sich kennen. Oswald ist zwar nicht Namensgeber letzterer, aber eine zentrale Figur. Sein zunächst in den „manuskripten“, 1969 in Buchform publizierter Text „die verbesserung von mitteleuropa“ ist Teil der (österreichischen) Literaturgeschichte.
1968 kommt es zur ebenfalls in die Geschichte eingegangenen „Uni-Ferkelei“. Das berühmt-berüchtigte Happening (offizieller Titel „Kunst und Revolution“) veranlasst das Paar, nach Berlin zu übersiedeln. Hier wird es mit mehreren Lokalen legendärer Szene-Bestandteil. Vor allem das „Exil“ wird ein Zentrum des künstlerisch-intellektuellen Lebens der Stadt. Iggy Pop, David Bowie Peter O’Toole und andere kommen nicht nur wegen der Küche, sondern auch wegen der schönen Köchin.
Berlin - Kanada - Kapfenstein
Mitte der 1980er-Jahre haben Ingrid und Oswald genug von der Berliner Luft. Aus der Großstadt wechseln sie in die Einschicht Kanadas. Am Yukon finden sie ein einfaches Haus, das sie eigenhändig ausbauen. In Dawson City eröffnen sie das „Claims Cafe“. Wichtigstes Fortbewegungsmittel: ein kleines feuerwehrrotes Flugzeug.
Am Jahrtausendanfang geht es zurück nach Europa, nach Birkfeld. Dort wird ihnen bald die Aussicht verbaut, was einen weiteren Umzug notwendig macht. Seit einigen Jahren leben sie nun – mit Aussicht unter anderem auf Ort und Schloß Kapfenstein – in der Südweststeiermark. In einer ehemaligen Buschenschank, den sie in einen ganz speziellen Kosmos verwandelt haben.
Der Besucher betritt das auf einer Anhöhe gelegene Haus direkt durch die Küche. Eigentlich durch die Hintertür, was mit der logistischen Organisation der Buschenschank zu tun hat. Die Küche ist für die Köchin ein nach wie vor wichtiger Ort. Bei Ingrid Wiener hat Stieftochter Sarah Wiener ihr Handwerk gelernt. Derzeit, so bedauert man, hat die grüne EU-Abgeordnete aber kaum Zeit für Besuche in der Steiermark.
Bücherregale und Webstühle
Das geräumige Erdgeschoss ist Lebens- und Arbeitsraum sowie Bibliothek. Die allgegenwärtigen Bücherregale sind Spiegelbild der vielfältigen Interessen der Wieners: Literatur, Psychologie, Physik, Kunst, . . .
Ein ganzes Regal ist mit Literatur zum Thema Träume gefüllt. Ein Stoff, den Ingrid Wiener auch in ihrer Kunst (speziell in „Traumaquarellen“) zu fassen versucht. Zwischen den Büchern ein Schwarzweiß-Foto: Günter Brus, Otto Mühl und Oswald Wiener 1968 in Wien, von Polizisten bewacht.
Ingrid Wieners Kunst entsteht im geräumigen, lichtdurchfluteten ersten Stock, wo der Blick des Treppaufsteigenden zunächst auf ein wunderbares Doppelporträt der Bewohner fällt, unverkennbar gemalt von Maria Lassnig.
Mehrere Webstühle gibt es hier, auf dem größten entsteht soeben eine entsprechend große Arbeit. Das Motiv ist dem Alltagsleben entnommen, die Webvorlage ist eine Collage aus Fotos von einem wegen eines Rohrbruchs offengelegten Rohrsystem im Haus. Diese Bilder vermeintlich banaler Wirklichkeiten verwandelt Ingrid Wiener webend in faszinierend vielschichtige Tableaus.
Im Arbeitszimmer von Oswald Wiener, des emeritierten Professors für Ästhetik an der Kunstuniversität Düsseldorf, entsteht unter dem Titel „Sinn ist ein Behelf, den Mangel an formaler Kapazität auszugleichen“ gerade „ein Vortrag über meine Arbeit“. Für einen Abend im Literaturhaus Graz.
Bei klarem Wetter sieht der Autor vom Schreibtisch aus den Schöckl, „auf dem ich aber noch nie war.“ Das sollte nachgeholt werden. Bei entsprechendem Wetter bietet sich auf dem Grazer Hausberg durchaus „kanadischer“ Weitblick.
Walter Titz