Kann ein international gefragter Architekt ohne eigene Handschrift überhaupt erfolgreich sein? Ja, wenn es nach Peter Eisenman geht. "Ich könnte in Santiago, Berlin oder Phoenix nicht dasselbe Gebäude machen. Deshalb habe ich keinen Stil", sagte der US-amerikanische Architekt und Theoretiker, der gerade 85 Jahre alt geworden ist, seinem Kollegen und Kurator Vladimir Belogolovsky vergangenes Jahr.
Statt einer einheitlich erkennbaren Signatur führt Eisenman seine Bauten auf Konzepte aus Philosophie und Linguistik zurück. Ein einheitlicher Stil sind in Eisenmans Holocaust-Mahnmal in Berlin, in seinem "Garten der verlorenen Schritte" in Verona und seinem Football-Stadion für die University of Phoenix tatsächlich nicht zu erkennen. "Wenn ich meine Arbeit auf meiner Website ansehe, denke ich mir, könnte jemand Peter Eisenman erkennen? Ich bin nicht sicher", sagt er. Die Bauten seiner Kollegen Frank Gehry oder Michael Graves hätten dagegen alle denselben Look. Auch sonst ist Eisenman mit harter Kritik an anderen berühmten Architekten nicht zimperlich.
Theoretische Ansätze mit Bezügen zu Jacques Derrida und Friedrich Nietzsche oder dem Linguisten Noam Chomsky beschäftigten den aus Newark im US-Staat New Jersey stammenden Eisenman lange Jahre mehr als der Bau eigener Werke. In den 60er und 70er-Jahren stand er an erstklassigen Hochschulen wie Princeton, Cambridge und der New Yorker Cooper Union als Dozent im Lehrplan. In Harvard, Yale sowie an der University of Illinois und der Ohio State University nahm er eigene Professuren wahr. Das Nachdenken, Schreiben und Diskutieren über die Kunst des Bauens schienen den Sohn aus einer deutsch-jüdischen Familie offenbar am meisten zu begeistern.
Auch als er sich ab 1980 in seinem New Yorker Büro zunehmend der praktischen Architektur widmete, ließ er sich von der Theorie leiten: Für die Kulturstadt Galicien in Santiago de Compostela führte er verschiedene Raster zusammen - darunter das Straßengitter der Innenstadt, die Topographie der Region und die Form einer Jakobsmuschel - und ließ diese am Computer zu einer Matrix verschmelzen. Er sprach dabei von "post-semiotischer Sensibilität", einer Reihe von Spuren, die sich zu einem Ganzen fügen.
Die aus seiner Sicht starre Geometrie und Rechteckigkeit der Moderne griff er in seinen von "House I" bis "House IV" durchnummerierten Häusern auf. Mehr Experiment und praktische Umsetzung seiner Theorien als möglicher Wohnort blieben die dekonstruktivistischen Würfel eine abstrakte, aber eben begehbare Spielwiese. Säulen hatten teils keine tragende Funktion, Treppen führten ins Nichts. Mit seinem Wexner Center for the Arts in Columbus (Ohio) verdrehte Eisenman das herkömmliche Verständnis von Funktion und Ordnung und irritierte so manchen Besucher. Die "New York Times" lobte das Gittergebilde als "Museum, das die Theorie baute", bevor es überhaupt fertig war.
Mit dem 2005 eröffneten Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin machte sich Eisenman auch in Deutschland einen Namen. Es gehe beim Gang durch die 2.711 Stelen um die Erfahrung, nicht darum, einen verborgenen Sinn zu entschlüsseln, sagt Eisenman. "Man bekommt merkwürdige körperliche Empfindungen wie Wellenbewegungen, Kippen, Neigen und man spürt Verwirrung, Isolation, Orientierungslosigkeit; man weiß nie, wo man sich befindet." Es gehe nicht darum, die Bedeutung zu verstehen, weder in Berlin noch in Santiago.
Und nun, mit 85 Jahren? Ganz so umtriebig ist Eisenman nicht mehr, im Gespräch sind seine Arbeiten trotzdem noch. Das American Institute of Architects (AIA) zeichnete ihn 2015 etwa für sein Wexner Center in Ohio mit dem 25-Jahres-Preis aus. Den klassischen Spielregeln der Architektur, die fast immer auf die Wahrnehmung im öffentlichen Raum und meist auch auf Schönheit abzielen, hat er sich nie verschrieben. "Ich bin nicht interessiert an Details", sagte Eisenman zu Belogolovsky. "Ich bin nicht interessiert an Schönheit. Na und?"
Johannes Schmitt-Tegge/dpa