"Die Welt steht kopf – Ölpreis fällt erstmals unter null“, „totaler Kollaps auf dem Ölmarkt“, „historischer Absturz“ – das sind nur drei mediale Zuschreibungen, die das, was sich zu Wochenbeginn rund um den Ölpreis abgespielt hat, verdeutlichen. An Terminbörsen sind die Preise für den Ölpreis der US-Sorte WTI tatsächlich ins Minus abgestürzt.
Preise stürzten erstmals ins Negative
Zur ohnehin fatalen Kombination aus der globalen Ölschwemme, einem drohenden Lagermangel und der Furcht vor der tiefen Rezession kam mit dem Auslaufen der Mai-Terminkontrakte ein technischer Effekt hinzu (siehe rechts). Die Preise stürzten damit erstmals in der Geschichte ins Negative – zwischenzeitlich mussten Anbieter fast 38 US-Dollar dafür bezahlen, dass ihnen ein Barrel (159 Liter) Rohöl abgenommen wird.
Und was ändert sich für Konsumenten?
Was bedeutet dieser Preisschock für Konsumenten? Zunächst weiter sinkende Preise an den Zapfsäulen. Diese sind bereits jetzt im Keller und werden in den kommenden ein, zwei Wochen weiter nachgeben – der Zeitraum, bis die Preise an den Börsen über die Raffinerien an Tankstellen und damit in den Kfz-Tanks ankommen.
„Nie zuvor war es für Fahrzeughalter günstiger, 100 Kilometer zu fahren, als heute“, sagt Jürgen Roth, der Vizepräsident der Bundeswirtschaftskammer und Obmann des Fachverbands Energiehandel. Dabei hat er den sinkenden Spritverbrauch, die höhere Kaufkraft und niedrige Treibstoffpreise auf der Rechnung.
Bis zu 90 Prozent weniger Sprit verkauft
Sichtbar wird das Aufeinandertreffen von Überangebot und einbrechender Nachfrage an Tankstellen. Diese verkaufen in Österreich derzeit um 70 bis 80 Prozent weniger Sprit als vor der Krise, im grenznahen Bereich sind es sogar über 90 Prozent, so Roth. Für die der Systemrelevanz wegen geöffneten Tankstellen, denen das Café-Geschäft fehlt und Shopumsätze einbrechen, hochdramatisch.
Zwar nimmt der innerstädtische Verkehr langsam wieder Fahrt auf, doch Überland- und internationaler Verkehr finden ebenso wenig statt wie Busreisen. Nur Schwerverkehr, Transporte und Zusteller tanken dieser Tage weiter regelmäßig auf.
50 Prozent mehr Heizöl
Dafür schlägt die Absatzkurve beim Heizöl deutlich nach oben aus. Hamsterkäufe im April sind eigentlich selten. Doch wer jetzt Platz im Tank hat, schlägt zu, sagt Roth: „Vorsichtig geschätzt ist die Nachfrage nach Heizöl um 50 Prozent gestiegen.“ Vorgezogene Käufe, die später fehlen werden. Und auch der Verkauf des Flugzeug-Treibstoffs ist abgestürzt.
Der Obmann der Energiehändler hofft, dass nun die Talsohle beim Ölpreis erreicht ist. „Mittelfristig müssen die Preise nach oben gehen.“ Die von der Opec gedrückte Förderbremse – 10 Prozent der Tagesproduktion – gegen den Preisverfall gilt erst für Mai und Juni. Parallel dazu soll durch das Hochfahren der Wirtschaft der Spritkonsum anspringen. „Außer es kommt eine zweite Viruswelle“, sagt Roth. „Dann haben wir aber eh andere Probleme.“
Frage und Antwort: Wie ist so ein Preissturz denn überhaupt möglich?
1 Der US-Ölpreis ist zu Wochenbeginn tatsächlich in den negativen Bereich gerutscht. Anleger mussten nichts bezahlen, sie erhielten sogar Geld dafür. Wie kann so etwas überhaupt passieren?
ANTWORT: Der Ölmarkt ist derzeit insgesamt in einer Ausnahmesituation. Der durch die Coronakrise ausgelöste massive Wirtschaftseinbruch lässt die Nachfrage immer stärker sinken – umgekehrt ist das Ölangebot am Markt viel zu hoch. Daher sinken die Preise schon länger. An den Börsen in New York und auch in London kam zu diesem ohnehin giftigen Mix aber noch ein spezielles Phänomen hinzu. Die Mai-Terminverträge konnten nur noch bis gestern verkauft werden, da die Erdöllager aber nahezu voll sind, gab es nahezu keine Abnehmer mehr.
2 Aber warum werden solche Terminverträge zu negativen Preisen dann überhaupt noch abgegeben?
ANTWORT: Der Finanzmarktexperte Josef Obergantschnig erklärt den Hintergrund so: „An den Terminbörsen werden Waren und Rohstoffe in Kontrakten gehandelt. Bei dem konkreten Fall handelt es sich um einen Kontrakt, der eine physische Öllieferung für den Monat Mai vorsieht. Dabei handelt es sich um einen Future, also ein unbedingtes Termingeschäft. Die Ware muss also auch wirklich geliefert werden.“ Es fand sich kein Käufer und der Verkäufer musste dem Käufer sogar Geld dafür bezahlen, dass er ihm den Kontrakt abnimmt. Die Terminmärkte werden von einem Phänomen namens „Contango“ beherrscht. Damit wird ein Marktumfeld beschrieben, in welchem die Ölpreise ansteigen, je weiter ihre physische Auslieferung in der Zukunft liegt. Ein klares Signal für eine besonders schwache Nachfrage und ein Überangebot.
3 Hat sich die Lage mittlerweile wieder etwas beruhigt?
ANTWORT: Die Situation am Ölmarkt bleibt weiterhin sehr angespannt, zu einer leichten Erholung ist es aber gekommen. Gestern sind die erwähnten Mai-Kontrakte abgelaufen. Der Preis für US-Leichtöl (der Sorte WTI) zur Auslieferung im Juni fiel aber zwischenzeitlich um mehr als 40 Prozent auf rund elf Dollar pro Fass. Auch die Nordseesorte Brent brach um rund 30 Prozent auf knapp 18 Dollar pro Fass ein. Auch die Aktienbörsen brachen ein.
4 Die großen Ölförderländer haben ja eine Drosselung der Ölproduktion beschlossen. Damit müsste das Angebot ja zurückgehen. Wirkt diese Maßnahme nicht?
ANTWORT: Die Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) hatte sich vor gut einer Woche mit ihren Partnern, u. a. Russland, auf die größte Produktionsdrosselung ihrer Geschichte geeinigt, um den Preisverfall zu stoppen. Das konnte den Absturz aber nur kurz bremsen. Im Mai und Juni sollen täglich um fast zehn Millionen Barrel Öl weniger produziert werden. Danach soll die Produktion noch über einen Zeitraum von fast zwei Jahren verringert bleiben, allerdings nicht mehr so deutlich wie zu Beginn. Quoten wurden bis zum Mai 2022 vereinbart. Doch es geht nicht nur um die Fördermengen, denn derzeit sind die Öllagerstände, vor allem in den USA, auf einem Rekordhoch. Das führt dazu, dass die Lagerkapazitäten immer knapper werden.