Es war einer der größten Projektaufträge überhaupt, den der in Hart bei Graz ansässige Anlagenbauer SMB je abgewickelt hat: In England wurde eine riesige sogenannte Luftzerlegeanlage installiert. Auch wenn der geografische Fokus des Unternehmens primär auf Österreich, Deutschland und die Schweiz gerichtet ist und der letzte Großauftrag von der Insel schon einige Jahre zurückliegt, „war, ist und bleibt Großbritannien ein spannender Markt für uns“, wie Geschäftsführer Thomas Pein betont. Das ist auch der Hauptgrund, warum er sich der steirischen Wirtschaftsdelegationsreise in den Großraum London angeschlossen hat. Insgesamt habe man dort gute Erfahrungen gemacht.
Thomas Pein ist einer von mehr als 40 Teilnehmern bei der – von Wirtschaftslandesrätin Barbara Eibinger-Miedl – angeführten Delegation aus steirischen Unternehmern und Wirtschaftsvertretern. „Großbritannien ist der viertwichtigste Handelspartner für die Steiermark, im vergangenen Jahr wurden erstmals steirische Waren im Wert von mehr als einer Milliarde Euro ins Vereinigte Königreich exportiert“, so Eibinger-Miedl. „Gerade jetzt müssen wir unsere Kontakte intensivieren und auch neue knüpfen“, nimmt die Landesrätin auf die vielen Unwägbarkeiten rund um den Brexit Bezug. „Denn Großbritannien wird auch nach einem Brexit ein wichtiger Partner für die steirische Wirtschaft bleiben.“
Verknüpfungen bestehen insbesondere im Automobilsektor, „aber auch zahlreiche Forschungseinrichtungen sind mit Großbritannien eng verbunden“. Der steirische Exportrekord ist auch, aber nicht nur auf Magna zurückzuführen. In Graz werden bekanntlich gleich zwei Modelle für Jaguar gefertigt. Seit September 2017 läuft der Kompakt-SUV E-Pace sowie seit April 2018 das Elektroauto I-Pace vom Band. Erst Ende August wurde der 100.000. in Graz gebaute Jaguar gefeiert.
Ein Ausrufungszeichen in England setzte im Herbst 2017 auch der weltgrößte unabhängige Antriebssystem-Spezialist AVL List: In Coventry, dem Herzen der britischen Autoindustrie, wurde auf 16.000 Quadratmetern ein Techcenter eröffnet. Dort werden Kunden mit modernster Mess- und Simulationstechnik dabei unterstützt, Zeiten und Kosten bei der Entwicklung verschiedener Antriebssysteme zu reduzieren.
"Gerade österreichische Unternehmen gut aufgestellt"
Insgesamt sind österreichische Unternehmen mit 250 eigenen Niederlassungen im Vereinigten Königreich vertreten, wie Christian Kesberg, Österreichs Wirtschaftsdelegierter in London, betont. Dass der Brexit insgesamt ein wirtschaftliches Verlustgeschäft sei, verhehlt er nicht, „katastrophale Auswirkungen“ seien indes nicht zu erwarten. Selbst im Falle eines harten Brexits werde „es nicht nur Verlierer geben“, gerade österreichische Unternehmen seien – vielfach als „Hidden Champions“ – gut aufgestellt, so seine optimistische Prognose in komplexen Zeiten. England-Experte Kesberg verweist auch darauf, dass Großbritannien „einen Investitionsstau aufzuholen“ habe, und hält daher in weiterer Folge auch dieses Szenario für denkbar: „Es kann sein, dass es danach zu einem Investitionsschub kommt, genauso wie es jetzt einen Investitionsstau gibt.“
Steirische Start-ups sondieren britischen Markt
An der Delegationsreise, die vom Internationalisierungscenter Steiermark rund um Geschäftsführer Robert Brugger organisiert wird, werden mit Volterio und Telbiomed übrigens auch zwei steirische Start-ups teilnehmen. Volterio, das ein konduktives, vollautomatisches Ladesystem für E-Fahrzeuge entwickelt hat, arbeitet in der Entwicklung bereits eng mit Rolls-Royce, Mini und BMW zusammen. Telbiomed, spezialisiert auf smarte Medizintechnik und IT-Services, verbindet ebenfalls bereits eine Geschäftsbeziehung mit einer Zulieferfirma in Großbritannien.
Auf dem Programm der Reise stehen u. a. auch Gespräche an der Universität in Oxford, wo der gebürtige Salzburger und Bestsellerautor Viktor Mayer-Schönberger als Professor am Oxford Internet Institute lehrt.
Die Delegationsreise, die auch von WKO-Vizepräsident Jürgen Roth begleitet wird, fällt freilich in eine politisch besonders heiße Phase des Brexit-Dramas. So geht heute der Parteitag der britischen Konservativen zu Ende. Abschluss und Höhepunkt: die Rede von Premierminister Boris Johnson, der wohl seine neuen Vorschläge für den Brexit vorlegen dürfte.