Vor zehn Jahren, am 15. September 2008, kollabierte die US-Bank Lehman Brothers und löste eine globale Finanzkrise aus, die binnen kürzester Zeit auch die Realwirtschaft erreichte. Es waren dramatische Stunden, Tage und Wochen - auch für heimische Banken. Weltweit liehen sich die Finanzinstitute untereinander kein Geld mehr, die Notenbanken mussten milliardenschwer intervernieren.
Wir haben heimische Top-Banker gebeten, die turbulenten Geschehnisse von damals noch einmal aus ihrer ganz persönlichen Sicht für uns nachzuzeichnen.
"Flächenbrand des Vertrauens"
Christian Jauk, Vorstandschef der Capital Bank und Grawe-Bankengruppe: "Die Nerven lagen blank. An diesem Wochenende vor 10 Jahren musste ein Hilfspaket für die angeschlagene Wall-Street-Bank Lehman her, um die Finanzwelt nicht ins Desaster zu stürzen. Die Zeitverschiebung reduzierte meine Schlafzeiten auf ein Minimum. Die US-Regierung votierte für die Insolvenz. Die Entscheidung führte zu einem Flächenbrand des Vertrauens gegenüber Banken. Geschwindigkeit und Dimension der Ausbreitung überraschten mich. Überall in der westlichen Welt sprang der Staat mit milliardenschweren Hilfspaketen für Großbanken ein, auch in Österreich. Der Imageverlust für die Branche bleibt bis heute spürbar. Die Politik verordnete ein Regulierungspaket, das Bankgeschäfte für Kunden komplizierter und teurer machte. Höhere Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen der Aufsicht erzeugten aber dafür mehr Sicherheit. Wir blieben als Privatbank stabil, aber die Turbulenzen auf den Finanzmärkten verunsicherten unsere Anleger und wir taten alles, um sie bestmöglich zu betreuen. Infolge der Bankenrettungen kamen Staaten unter Druck, die Notenbanken reagierten mit einer Nullzinspolitik, die Sparer bis heute zu Recht verärgert. Als Erinnerung bleibt die Fragilität eines scheinbar sicheren Finanzsystems und die Erfahrung, wie ein regionales Finanzereignis als Virus die ganze westliche Realwirtschaft anstecken konnte. Ich hätte mir nicht im Traum vorstellen können, dass die Verursacher von damals die Gewinner von heute sein würden.
„Spürbare Nervosität“
Gerhard Fabisch, Vorstandschef Chef der Steiermärkischen Sparkasse: "Als die Lehman-Pleite 2008 publik wurde, befand ich mich in Wien, um dort mit anderen Bankenvertretern angesichts der jüngsten Ereignisse zusammenzukommen. Die spürbare Nervosität und Verunsicherung waren für mich damals nicht nachvollziehbar. Im ersten Moment sah ich die Steiermärkische Sparkasse von diesem Kollaps nicht betroffen, denn wir hatten 2008 das beste Betriebsergebnis der Geschichte. Dazu kam, dass die unmittelbaren Folgen dieser Pleite einen massiven Verlust bei Wertpapieren verursachten. Auch wir besitzen ein Eigenportfolio an Wertpapieren, das bei uns sehr konservativ veranlagt ist und nicht von der Krise betroffen war. Die Nachwirkungen von Lehman und die deutlich abgeschwächte Konjunktur haben in der Folge auch die Wachstumsraten unseres Kreditgeschäfts beeinflusst. Erfreulicherweise erholte sich die österreichische Konjunktur ab 2010, wenn auch auf niedrigem Niveau. Die regionalen Unternehmen und ihre Eigentümer haben in dieser Zeit einen großartigen Job gemacht und viel zur Stabilisierung beigetragen. Besondere Sorgfalt, Weitblick, Mut sowie Kapitaleinschüsse der Eigentümer waren zu beobachten. Die damaligen raschen und mutigen Interventionen der EZB waren unerlässlich, um eine erste Stabilisierung zu erreichen, auch wenn das bedeutete, mit den Nebenwirkungen dieser „Rettung“ zu leben."
„Jeden Tag neue Hiobsbotschaften“
Regina Ovesny-Straka, Generaldirektorin der Volksbank Steiermark: "Vor zehn Jahren leitete ich die Slovenska Sporitelna, die größte Bank der Slowakei. Wir, der Vorstand, saßen in einem Meeting mit unseren Bereichsleitern, als in Folge der Lehmann-Pleite an der Wiener Börse der Handel ausgesetzt wurde. Es begannen hektische Telefonate mit unserer Mutterbank, der Erste Group. Wir einigten uns auf Sofortmaßnahmen, wie z. B. die tägliche Überprüfung, ob Einlagen massiv abfließen. Ich erinnere mich, dass jeden Tag neue Hiobsbotschaften kamen und rasche Entscheidungen erforderten. Es gab zahlreiche Sitzungen mit dem Premierminister und dem Finanzminister, Thema war nicht nur die Liquiditätskrise, sondern auch die Einführung des Euro mit 1. 1. 2009. Die Liquidität der Bank zu sichern, war in den ersten Monaten die oberste Priorität. Die zweite war, Kunden, soweit es ging, Antworten auf ihre Fragen zu geben. Wobei wir viele Antworten selbst nicht hatten. Die dritte Priorität galt den Mitarbeitern. Ich hatte bei Gesprächen mit meinen Mitarbeitern ein sehr prägendes Erlebnis. Ich fragte sie, wie es ihnen mit der aktuellen Situation und der Krise ginge. Die Antwort war: „Welche Krise? Wir haben den Kommunismus überlebt!“ Ich möchte diese Tage nicht unbedingt wieder erleben. Allerdings habe ich sehr viel gelernt. Wir alle haben die Krise gemeistert, das sollte jedem von uns Zuversicht für die Zukunft und die Veränderungen, die sie bringt, geben."
„Das kann doch nicht wahr sein!“
Martin Gölles, Generaldirektor der Hypo Steiermark: "Das kann doch nicht wahr sein!“, war mein erster Gedanke, als ich die Nachricht über die Insolvenz des im Jahr 1850 gegründeten Investmenthauses Lehman Brothers im Radio hörte. Mit diesem Tag änderte sich nicht nur das Leben eines Bankers schlagartig und gravierend. Es folgten massive Einbrüche an den Aktienmärkten und das Vertrauen der Banken untereinander war mit einem Schlag nicht mehr vorhanden. Die Institute haben unmittelbar begonnen, die vorhandenen Bankenlinien einzufrieren, und so war Liquidität - die bis zu diesem Zeitpunkt im Überfluss vorhanden und gratis war - auf einmal ein rares und teures Gut. Die EZB hat in dieser Situation schnell reagiert und sofort Geld in den Markt gepumpt, um den drohenden Kollaps abzuwenden. Danach begann die nicht für möglich gehaltene Änderung der Zinslandschaft. Die Zinsen erlebten eine Talfahrt, dies nutzte wirtschaftlich schwächeren Staaten, um günstig an Kredite zu kommen - der Anfang der Staatsschuldenkrise. Es waren wirklich sehr turbulente Zeiten, die äußerst besonnenes Vorgehen in der Steuerung einer Regionalbank wie der Hypo Steiermark erforderten. Das langjährige Vertrauen in unsere Kunden sowie deren Vertrauen in uns waren die Basis für den wirtschaftlichen Erfolg auch in diesen Zeiten. Die immensen Regularien von heute zeugen jedoch von den gewaltigen Umbrüchen, die im September 2008 ihren Ausgang genommen haben."
„Dachte an Falschmeldung“
Herta Stockbauer, Vorstandschefin der BKS Bank AG: "Der Tag hat für mich ganz normal begonnen, bis ich in den Frühnachrichten von der Lehman-Pleite hörte. Ich dachte im ersten Moment: „Das muss eine Falschmeldung sein!“ Denn Lehman galt als „too big to fail“. In der Bank haben wir sofort einen Krisenstab einberufen, der über mehrere Wochen hinweg täglich getagt hat. Wir haben die Liquidität für die BKS Bank sichergestellt, unsere Mitarbeiter und Kunden informiert. Ein wichtiger Schritt für Privatkunden war, dass der österreichische Staat bereits Anfang Oktober eine unbegrenzte Einlagensicherung für Privatpersonen beschlossen hat. Viele Firmenkunden, die wenig Eigenkapital oder keine lang laufenden Kreditlinien hatten, kämpften mit Liquiditätsproblemen und benötigten daher eine besonders intensive Beratung. Erfreulicherweise konnten wir diese schwierigen Zeiten aber gut bewältigen. Die BKS Bank musste im Gegensatz zu vielen anderen Instituten keine Staatshilfe in Anspruch nehmen. Auch heute spüren wir noch Auswirkungen des Zusammenbruchs von Lehman. Denn der gesamte Bankenbereich in Europa hat ein völlig neues Aufsichtsmodell und viele neue Vorschriften bekommen, zudem müssen wir deutlich höhere Kapitalquoten aufweisen als vorher."