Die Halbleiteraktivitäten in Europa sollen wiederbelebt werden – welche Rolle spielt hier der European Chips Act?

REINHARD PLOSS: Ich vertraue darauf, dass wir damit erfolgreich sind. Wir werden als Infineon alles tun, diesen Chips Act zu unterstützen, weil wir daran glauben, dass er wichtig und notwendig ist.

Was muss geschehen, damit dieser Wurf ein Erfolg wird?

Wir müssen ganzheitlich denken: Welche Industrien sind in Europa stark, wie können wir unsere Stärken ausbauen? Das angelegte Geld soll nicht nur der Halbleiterindustrie nutzen, sondern der gesamten Ökonomie Europas und der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit dienen. Die Reduktion der globalen CO2-Emissionen wird beispielsweise nur mit Digitalisierung gelingen.

Die Staaten sollen es künftig leichter haben Werke zu fördern, außerdem werden zusätzlich 15 Milliarden Euro bereitgestellt. Der richtige Weg, um internationale Konzerne nach Europa zu lotsen?

Wir müssen den Standort stärken – sowohl durch die ansässige Industrie und als auch durch eine Politik der Wirtschaftsansiedlung für Unternehmen, die diese Kompetenz nach Europa tragen. Entscheidend ist, dass wir eine systemische Kompetenz anstreben. Es geht also nicht nur um den Aufbau von Fertigung, sondern auch um Forschung und Entwicklung. Die Möglichkeit, Investitionen zu fördern, halte ich für essenziell. Österreich ist diesen Weg erfolgreich gegangen. Das war gewissermaßen eine erste Stufe des European Chips Acts.

Das neue Werk in Villach war eine Pioniertat für den Chips Act?

Absolut. Projekte rund um das beihilfenrechtliche Instrument IPCEI – Important Projects of Common European Interest – haben uns geholfen, den Damm zu brechen, um das zu tun.

Der weltweite Marktanteil der in Europa gefertigten Halbleiter soll bis 2030 auf ein Fünftel verdoppelt werden – realistisch?

Es ist ein äußerst anspruchsvolles Ziel. Wenn es ein bisschen weniger ist, ist es okay, und wenn es ein bisschen später erreicht wird, bin ich auch schon begeistert.

Wir erleben doch einen Paradigmenwechsel – lange Zeit sah Europa ja gar kein Problem darin, solche Kernkompetenzen nicht in seinem Einflussbereich zu haben.

Politik, Industrie und Bevölkerung erkennen, dass sie umdenken müssen. Wir wären hart aufgeschlagen, hätte man nicht auf Homeschooling und Work-from-Home umstellen können. Die Digitalisierung hat es uns ermöglicht, unser Leben in Zeiten der Pandemie weiterzuführen.

Die Pandemie als Katalysator?

Die Pandemie hat zu einem enormen Mehrbedarf an Halbleitern geführt. Damit ist allen die hohe Relevanz unserer Industrie klar geworden, auch die globalen Zusammenhänge wurden deutlich. Das war ein gewisser Weckruf. Auch die Hinwendung zu einer CO2-neutralen Umwelt wurde deutlich intensiviert. Ich glaube, die Pandemie war sehr essenziell, ein neues Denken zu etablieren. Bei allem Drama, das die Pandemie auf unsere Schultern legte, hat sie damit auch etwas Gutes bewirkt.

Wird Infineon im Zuge des Chips Acts weitere Fabriken bauen?

Infineon hat eine sehr progressive Strategie. 1999 erwirtschaftete der heutige Konzern 1,2 Milliarden Euro, mittlerweile sind es 13 Milliarden Euro. Wir prüfen, wie wir den Kapazitätsausbau beschleunigen können, um den aktuellen Marktbedarf zu decken, aber ich halte es nicht für gesund, Strategien wesentlich auf Förderungen aufzubauen.

Welchen Weg schlägt Infineon dann ein?

Wir werden weiter investieren und aktuell deutlich mehr als um neun Prozent wachsen. Chip-Fertigungen sind produktiver und kostengünstiger, wenn sie größer sind. Damit liegt es nahe, dass wir an den Standorten von heute weiterwachsen. In Villach haben wir im vergangenen Jahr ein neues Werk eröffnet. Das wird in den kommenden Jahren hochgefahren. Aber wir überlegen durchaus, weiter in Technologien und Innovationen zu investieren. Da wird uns der Chips Act sicher weiterhelfen.

Dabei geht es um Investitionen in alternative Materialien?

Das Hochlaufen der 300-mm-Dünnscheibenfertigung steht in Villach momentan im Vordergrund. Es geht uns aber auch darum, die technologische Weiterentwicklung bei den Materialien Siliziumkarbid und Galliumnitrid voranzutreiben, die wesentlich zur Energiewende beitragen können. Wo die Produktion dieser Scheiben stattfindet, wird im Rahmen der Konzerngesamtstrategie geklärt. Das werden wir uns noch anschauen. Ich sage immer: Wenn der Standort Villach gut unterwegs ist, wird er weiterwachsen. Und er ist gut unterwegs.

Können Sie schon Angaben zu Dimension und Zeitpunkt der Investitionen machen?

Wir sind aktuell noch in unserer 5-Jahres-Planung. Wir überlegen beispielsweise, wie wir an den Standorten Villach, Graz und Linz Forschung und Entwicklung weiter stärken. Zu Details kann ich aber nichts sagen.

Sie erwarten, dass der Mikrochipmangel zu Jahresende überwunden sein wird – folgen Überangebot und sinkende Preise?

Ein Überangebot wird es allenfalls temporär geben. Das sorgt mich nicht sehr. Eine Überkapazität von zehn Prozent ist mit unserem Wachstum von rund neun Prozent nach einem Jahr fast schon wieder aufgefüllt. Ein bisschen mehr Lieferfähigkeit ist grundsätzlich auch eine gute Entwicklung. Die aktuellen Preise reflektieren die höheren Kosten, die wir tragen. Sinkende Preise sehe ich deswegen nicht.

Wird es weitere Zukäufe geben?

Wir müssen erst die Akquisition von Cypress verdauen. Wenn sich danach wieder einmal etwas ergibt: warum nicht?

Der Börsenkurs hat sich in der Zeit Ihrer Führung versiebenfacht. Was ist Ihr Rezept?

2000 war der Konzern ein komplett anderer. Wir sind aus dem Nichts gekommen, waren Nummer 20 in der Leistungselektronik, sind jetzt klare Nummer 1. Wenn du nichts darstellst, ist es leicht, mutig zu sein. Aber man darf sich auch als Nummer 1 vor Veränderungen nicht scheuen.

Sie treten im März in den Ruhestand, wie klingt das Wort für Sie?

Ich denke immer darüber nach, was als nächstes Spannendes kommt. Ich denke daher nicht über den Ruhestand nach, sondern darüber, was mich faszinieren und begeistern wird. Natürlich löse ich als Erstes gerne das Versprechen an meine Frau ein, zu reisen. Ich bin in vielen Themen engagiert.

Ihre Frau ist Villacherin, Sie haben jahrelang hier gearbeitet. Wie erlebten Sie Österreich?

Villach ist ein Teil der Erfolgsgeschichte von Infineon und ein Teil meiner Geschichte. Ich kam in den 1990er-Jahren nach Villach, wurde Leiter der Technik im Produktionswerk. Villacher können sehr umarmend und auch sehr speziell sein. In Villach ging es schon damals darum zu zeigen, welchen Mehrwert man bringt und Dinge in die Hand zu nehmen. Das Erfolgskonzept, Verantwortung für die eigene Zukunft zu übernehmen, hat sich der Standort bis heute bewahrt.