Digitalisierung wird für den Handel zur Überlebensfrage. Was tut sich bei Hofer?
HORST LEITNER: Hofer ist ein Pilotland für ein riesengroßes Transformationsprojekt im Aldi-Konzern. Auch dort, wo es die Kunden nicht sehen: Wir werden zukünftig etwa auch Künstliche Intelligenz einsetzen, um zu antizipieren, was in einer Woche an Obst und Gemüse gebraucht wird – das spart Lkw-Kilometer und Warenverluste.

Was ändert Digitalisierung für Kunden in naher Zukunft?
Digitale Preisschilder werden etwa in ein paar Jahren etwas Normales sein.

Wird es dann häufiger kurzfristige Preisänderungen geben?
Nein, wenn heute eine Filiale merkt, sie hat zu viele Tomaten, dann wird auch jetzt der Preis reduziert. Allein in Österreich sind das 530 Filialführungskräfte, die unterschiedliche Entscheidungen treffen. Programme sollen diese bei der Steuerung des Mengenflusses und der Preisanpassung helfen.

Die Bezahlung der Waren – das Auschecken – wird sich ebenfalls ändern. Was erwartet uns?
Das entscheidet der Kunde. Wir gehen nicht davon aus, dass bemannte Kassen verschwinden werden, im Gegenteil: Wir schaffen mehr Platz nach der Kassa, wo wir eine Stresssituation haben, und errichten einen Nachlauf, damit Kunden mehr Zeit zum Einräumen haben.

Obst- und Gemüsebereich in den künftig überarbeiteten Hofer-Läden
Obst- und Gemüsebereich in den künftig überarbeiteten Hofer-Läden © KK

Wird es digitale Kassenkonzepte bei Hofer geben?
Große Mitbewerber in den USA bauen gerade ihre Läden um, mehr als zwei Drittel der Kassen sind dann Self-Checkout-Kassen. Ich halte das für eine untaugliche Lösung. In der Schweiz testen wir seit einigen Wochen die App „Scan & go“. Der Einkauf läuft am eigenen Handy mit. Ganz am Ende kommt ein QR-Code aufs Handy, man hält das über einen Laser und das Tor geht auf.

Wollen Sie diese App auch in Österreich einsetzen?
Hätte ich das in meiner Filiale, ich würde ich nie mehr etwas anderes machen. Ich gehe davon aus, dass der Test auch für andere freigegeben wird. Dann gibt es noch extreme Konzepte, ganz ohne bemannte Kassen. Das sehe ich für Österreich nicht. Aber auf alle diese Fälle müssen wir uns vorbereiten.

Nach rund 20 Jahren wird das Filialnetz bei Hofer angepasst – was ändert sich für Kunden?
Die Betonung der Frischebereiche, mehr Kühlfläche und eine logische Abfolge der Produktbereiche. Das Design wird moderner gestaltet, das Angebot um 200 Artikel, hauptsächlich im Frischebereich, erweitert.

Sind die gediegeneren Aldi-Läden in Italien dabei Vorbild?
Ja, die grafische Lösung übernehmen wir. Wir hatten sieben verschiedene Testvarianten und uns für eine Lösung entschieden, die wir jetzt ausrollen werden. Wir installieren diese in den nächsten zwei, drei Jahren in allen Läden.

Erneuerter Tiefkühlbereich
Erneuerter Tiefkühlbereich © KK

Wie viel Geld nehmen Sie dafür in die Hand?
Das werden rund 160 Millionen Euro sein. Aber das sind nicht alle Investitionen: Der Mehrwegpfand wird ja verpflichtend, möglicherweise auch ein Einwegpfand. Das müssen wir in jedem Laden in Österreich berücksichtigen. Wir haben in Wels eine Filiale im Test mit einer Art Drive-in für die Abgabe der Gebinde. Wir prüfen auch, wie wir möglichst viele Dächer mit PV-Anlagen versehen. Wir wollen zudem einen Partner finden, der Ladestationen für E-Autos auf unseren Parkplätzen betreiben möchte. Ich bin fast 30 Jahre in der Branche, aber so viel Umbruch wie in den nächsten Jahren habe ich noch nie gesehen.

Und dennoch schwebt über dem stationären Handel das Damoklesschwert des Online-Einkaufs. Ihr Onlineangebot ist homöopathisch. Wann bieten Sie mehr?
In den nächsten Monaten müssen wir klare Entscheidungen treffen, wie wir uns da engagieren.

Sie wollen online bestellte Lebensmittel nach Hause zustellen?
Genau. 2020 haben wir zum ersten Mal messbar gesehen, dass uns Umsätze entgangen sind, weil wir kein Onlineangebot in der Zustellung hatten. Das ist ein Zeichen.

Sie werden also Onlinekauf und Zustellung nicht nur prüfen, sondern auch einführen?
Davon gehen wir aus.

Wie sehr hat Corona den Lebensmittelhandel verändert?
Wir sind unseren Mitarbeitern dankbar, wie großartig sie Hofer durch die Krise gebracht haben. Ich erwarte, dass heuer der Lebensmittelmarkt schrumpfen wird. Es ist sehr flau – die Leute haben das zu Hause kochen und essen satt, sie wollen raus. Auch fehlende Urlaubsgäste aus dem Ausland spürt der Lebensmittelhandel. Es ist wie ein Kater nach dem tollen Jahr 2020. Die Pandemie hat den Trend zu Vollsortimentern verstärkt. Wir werden uns in den nächsten Monaten bemühen, es den Kunden so schwer wie möglich zu machen, nicht zu uns zu kommen.

Der Handel mit seinen verbauten Flächen und Parkplätzen führte zu enormer Bodenversiegelung – wann wird umgedacht?
Die große Handelsfläche liegt an den gesetzlichen Reglementierungen: Nirgendwo sind die Filialflächen so klein wie in Österreich. Kombinieren Sie das mit den kürzesten Öffnungszeiten. Nirgendwo sonst muss man so viele Kunden in so kurzer Zeit durch relativ kleine Läden schleusen. In Zukunft wird der Lebensmittelhandel sicher nicht mehr zu starker Bodenversiegelung beitragen, die Phase der Expansion ist vorbei.

Wo steht Hofer-Reisen nach eineinhalb Jahren Pandemie?
Wir sind mit einem Minus von 55 Prozent im Jahr 2020 verhältnismäßig gut durch die Krise gekommen. Heuer hoffen wir auf 60, 70 Prozent von 2019 zu kommen. Einzelne Monate wie der Juni waren sogar stärker als 2019. Es sind Urlaube in jenen Gebieten gefragt, in denen wir stark sind.

Sie kündigten das Aus für Billigfleisch bis 2030 an – warum dauert das so lange?
Der Begriff stammt nicht von uns. Es geht hier um eine visionäre Entscheidung von Aldi Nord und Süd in Deutschland, die europaweit ausstrahlt. Wir müssen in den nächsten Jahren den Markt verändern und führen dazu Gespräche mit der AMA, den Produzenten, den Verarbeitern und den anderen Ketten. Es ist ein Riesenschritt, aber Tierwohl kommt nicht kostenlos, das muss man sagen.

Auch Produzenten von Milch, Brot und Kaffee wollen mehr Geld. Wird es für Konsumenten bald spürbar teurer?
Wenn die Kosten für Produzenten zu hoch werden, muss man das abgelten. Ich sehe trotz steigender Rohstoff- und Einkaufspreise einen extrem heißen Herbst vor uns, was den Wettbewerb betrifft.

Auf Kosten Ihrer Margen?
Vermutlich.

Sie steuern von Sattledt aus fünf Länder mit 1100 Filialen. Wo sehen Sie Expansionschancen?
In Ungarn, Schweiz und Italien wollen wir stark weiterexpandieren und jedes Jahr zwischen 50 und 70 Filialen eröffnen. Österreich und Slowenien sind ausexpandiert.