Sie meinten unlängst, Verkehr viel zu billig. Wie teuer müsste der Güterverkehr auf der Straße denn werden?
ANDREAS MATTHÄ: Die Bahnen sind im Güterverkehr ein ganz wichtiger Beitrag, um die Klimaziele zu schaffen. Wir sind vom Transit belastet, jeder Verkehrsträger soll die Kosten, die er verursacht, auch tragen. Das ist definitiv beim Transit-Lkw nicht gegeben.

Wie hoch wären faire Kosten?
Den Studien zufolge zahlen wir als Steuerzahler zumindest ein Drittel der Kosten, die ein Transit-Lkw verursacht. Ein Vorschlag auf dem Weg zur Kostenwahrheit, der im Rahmen des „Fit for 55“-Pakets in der EU diskutiert wird, ist, dass der Verkehr in den Emissionshandel aufgenommen wird. Die Europäische Investitionsbank sagt, dass die Tonne CO2 im Verkehr etwa 250 Euro kosten sollte, bis 2030. Das scheint mir ein vernünftiger Wert zu sein.

Würde mit diesem Aufschlag das Wettbewerbsverhältnis zwischen Lkw und Bahn tatsächlich maßgeblich beeinflusst?
Das schafft Wettbewerbsgleichheit. Dann müssen sich die Bahnen natürlich auch beweisen und ein Stück weit ihren Hausaufgaben machen. Noch immer ist der Grenzübertritt von einem Nationalstaat in den anderen eine Hürde. Noch immer sind technische Normen, etwa für die Stellung des Bremshebels, unterschiedlich – diese sukzessive europaweit zu vereinheitlichen, ist ein sehr langwieriger Prozess. Daran arbeiten wir, aber es ist wahnsinnig zäh und langsam.

Der Lkw-Verkehr ist bereits wieder über Vorkrisenniveau. Warum gelingt es nicht, verstärkt Güter auf die Bahn zu verlagern?
Es ist ein Preisthema. Auf die lange Strecke ist der Güterzug bei Geschwindigkeit und Energieverbrauch unschlagbar. Früher waren die Lkw-Lenker die Cowboys der Landstraße, heute sind sie die Sklaven der Autobahn: Es sind de facto nur mehr Lkw-Fahrer aus den ehemaligen osteuropäischen Staaten oder noch weiter weg, mit prekären Arbeitsverhältnissen. Der Verkehr ist wirklich zu billig.

Infrastrukturministerin Gewessler (Grüne) lässt Straßenbauprojekte auf Klimaverträglichkeit prüfen, etwa den Lobautunnel. Könnte bei einem Stopp mehr Geld für die ÖBB herausspringen?
Wir haben einen definierten Rahmenplan, das hat miteinander nichts zu tun. Projekte werden immer wieder evaluiert. Das tun auch wir. Wir haben mit dem Ministerium einen Rahmenplan. Aktuell haben wir ein Investitionsvolumen von 17,5 Milliarden Euro in sechs Jahren. Da kann viel an Modernisierung passieren.

Verstehen Sie, dass man, so wie Kanzler Kurz, bei der Evaluierung von Straßenprojekten vor der Rückkehr in die Steinzeit warnt?
Die Bahn hat Tradition und eine glänzende Zukunft. Die Bahn erlebt eine Renaissance. Es gibt definitiv keinen Grund, Bahnfahren als Rückkehr in die Steinzeit zu sehen – ganz im Gegenteil.

Die Koralmbahn wird Ende 2025 garantiert in Betrieb gehen?
Ja.

Kommt auch die Haltestelle am Flughafen Graz?
Es gibt einen Anschluss an den Flughafen, der ist nur 200 Meter entfernt, näher, als es die Boote am Flughafen in Venedig sind. Planerisch und baulich ist eine Haltestelle an der Koralmbahn-Trasse vorgesehen, es sind aber noch ein paar Diskussionen zu führen. Das ist auch eine finanzielle Frage – man sollte sich den Nutzen teilen.

Es wurde mit der Regierung vereinbart, dass die AUA die Flüge nach Wien einstellt, sobald Koralm- und Semmeringtunnel eröffnet werden. Wird die Bahn tatsächlich so attraktiv sein, dass man Flüge ab Graz und Klagenfurt nicht mehr benötigt?
Wenn Sie von Klagenfurt nach Wien in 2:40 Stunden und bis zum Flughafen in drei Stunden fahren, dann ist das sehr attraktiv. Wir haben ein Kooperationssystem mit der Austrian Airlines namens „Allrail“ – der Check-in der Koffer erfolgt im Zug. Das testen wir gerade auf der Weststrecke aus. Alles, was man in vier Stunden mit dem Zug erreicht, fliegt man nicht.

Von Klagenfurt nach Wien zu fliegen, ist mehr als anachronistisch, das sage ich ganz offen, und nicht, weil ich Bahnchef bin. Denn das heißt, dreieinhalb Stunden zu warten und eng zu sitzen. Jetzt ist aus Sicht der Bahn einmal der Süden dran – und der fängt an der tschechischen Grenze mit der Pottendorfer Linie an.

Mag sein, dass der Süden für die Bahn an der tschechischen Grenze beginnt, er endet jedoch offenbar in Klagenfurt. Denn der weitere Ausbau der Koralmstrecke befindet sich nicht einmal im Planungsstadium.
Klagenfurt–Villach hat eine hochperformante Strecke …

… ja, direkt am Wörthersee.
Jetzt könnte ich natürlich spitz sagen: Es hat zuerst die Eisenbahn gegeben, dann sind die Anrainer gekommen. Natürlich nehmen wir die Sorgen ernst. Wir führen die nötigen Lärmschutzmaßnahmen durch. Über Messstellen ersetzen wir Glauben durch Wissen. Die Waggons unserer Güterzüge werden bis Ende 2021 mit „leisen Sohlen“ komplett umgerüstet sein. Ab Dezember 2024 dürfen nur mehr leise Güterwägen unterwegs sein, das bringt 10 Dezibel, in der Wahrnehmung eine Halbierung des Lärms. Bei den Personenzügen gibt es schon lange keine Beschwerden mehr.

Die Planung einer eigenen Gütertrasse erübrigt sich damit?
Nein, keineswegs – wir haben im Memorandum mit dem Land aus dem Jahr 2017 Varianten, die die Bestandsstrecke, aber auch die Untersuchung alternativer Routen betreffen, vereinbart.

Das dauert noch Jahre.
Man muss leider in diesen Dimensionen rechnen. Es stellt sich die Frage, wie viel ich an Bevölkerung habe, die ich dann mit neuem Bahnlärm belaste.

Die ÖBB sind am Logistik Center Austria Süd in Fürnitz mit 50 Prozent beteiligt. Die Weichen scheinen gestellt, aber wann entsteht tatsächlich ein Logistikzentrum, das diesen Namen verdient?
Wenn Sie infrastrukturelle Baumaßnahmen meinen, werden Sie enttäuscht sein. Es genügt zunächst ein asphaltierter Platz, wo Gabelstapler die Container umladen. Fürnitz liegt an zwei Verkehrsachsen und kann eine Drehscheibe für den Hafen-Hinterlandverkehr sein, in erster Linie für Triest. Wir sind im Wettbewerb mit oberitalienischen Logistikcentern. Geht es mir schnell genug? Nein. Wir investieren aufskalierbar in den Standort. Geht das Volumen stark nach oben gehen, werden Kräne dazugebaut.

Wie hat sich die Pandemie bisher auf das Aufkommen an Fahrgästen ausgewirkt?
Wir fahren wieder das normale Programm. Bei den Passagieren sind wir um 20 Prozent unter dem Niveau von 2019 und hoffen, dass im September wieder normaler Schulbetrieb beginnt.

Das Vorkrisenniveau wäre damit hergestellt?
Nein, im Nahverkehr würden wir in den letzten Monaten knapp unter dem 2019er-Jahr zu liegen kommen, im Fernverkehr frühestens 2022. Der internationale touristische Verkehr ist nach wie vor zur Gänze weg. Auch im Businessverkehr gibt es eine deutliche Reduktion.

Sie sind 39 Jahren bei den ÖBB und seit fünf Jahren CEO. Was wollen Sie in den nächsten Jahren noch erreichen?
Den Güterverkehr – hier sind wir in Europa Nummer 2 – wollen wir weiter verstärken. Im Personenverkehr werden wir das Angebot auf nationaler Ebene verbreitern und im internationalen Verkehr neue Angebote hineinstellen. Und wir werden uns ganz stark mit dem Generationswandel beschäftigen müssen. Die Hälfte unserer Mitarbeiter wird in den nächsten Jahren das Unternehmen verlassen. Das ist ein Risiko, aber ein Stück weit auch eine Chance. Wir erleben eine technische Revolution, die Anforderungen an den Beruf wandeln sich.

Die ÖBB sind bei Nachtzügen Marktführer in Europa – welche neuen Nachtzüge sind geplant?
Wir werden unser Nachtzug-Angebot weiter ausbauen und bis Ende 2024 von jetzt eineinhalb Millionen Passagiere auf drei Millionen verdoppeln. Wir fahren im Dezember nach Paris. Von Zürich, einem unserer Nachtzug-Hubs, aus steuern wir Berlin und Amsterdam an. In weiterer Folge werden von Wien und Berlin aus Richtung Brüssel und Paris Nachtzüge unterwegs sein. Zürich–Barcelona steuern wir ebenfalls an.

Ist eine Fusion der ÖBB mit der Graz-Köflacher Bahn (GKB) geplant?
Ich höre das immer wieder. Wir haben immer gute Kooperationsdiskussionen. Letzten Endes sind das Fragestellungen, die den Eigentümer betreffen.