Von der "Schlüsselindustrie" ist häufig die Rede, wenn es um die deutsche Autobranche geht. Mehr als 800.000 Beschäftigte arbeiten hier, direkt und indirekt hängen geschätzt zwei Millionen Menschen von Wohl und Wehe des wichtigen Wirtschaftszweigs ab. Zu dem ohnehin schwierigen Umbruch von der alten Verbrenner-Welt in die neue Zeit der Alternativantriebe und Vernetzung kommt jetzt die tiefe Absatzkrise wegen der Pandemie, bei der noch kein Ende absehbar ist.
Dabei liefen schon vorher Sparpläne in etlichen Unternehmen. Wie sieht die aktuelle Lage aus?
Volkswagen: Eine Verschärfung laufender Einsparungen explizit infolge von Corona ist bei der Kernmarke des weltgrößten Autokonzerns bisher nicht vorgesehen. Aber es besteht ein Einstellungsstopp - und VW baut auch so schon seine Strukturen radikal um. 2016 startete ein zunächst heftig umstrittener "Zukunftspakt", mit dem bis Ende 2019 bereits fast 11.000 Stellen gestrichen und knapp 3 Mrd. Euro an Ausgabenkürzungen erreicht wurden. Im Laufe der kommenden Jahre dürften insgesamt bis zu 20.000 Jobs weggefallen sein. Kündigungen will VW dabei vermeiden, im Kern gilt eine Beschäftigungsgarantie bis 2029. Parallel dazu entstehen neue Arbeitsplätze: Für die E-Mobilität werden auch Beschäftigte umgeschult, für Digitalisierung und Vernetzung baut der Konzern unter anderem eine interne Software-Sparte mit mittelfristig mehr als 10.000 Beschäftigten auf.
Daimler: Die Coronakrise sorgt für tiefrote Zahlen und zwingt den Autobauer zur Verschärfung seines sowieso geplanten Sparkurses. Obendrein beschleunigt sie die Transformation von Verbrenner- zu E-Motoren. Standortübergreifend war zuletzt der Abbau von 10.000 bis 15.000 der weltweit rund 300. 000 Stellen kolportiert worden. Medien hatten sogar von bis zu 30.000 Stellen berichtet. Die Zahlen kommentiert Daimler nicht - man strebe möglichst sozialverträgliche Lösungen an. Nach Betriebsratsangaben sollen beispielsweise am Stammsitz in Stuttgart-Untertürkheim bis 2025 rund 4.000 von 19.000 Stellen gestrichen werden. In Berlin, wo das älteste produzierende Werk steht, sollen demnach rund 1.000 von 2.500 Jobs wegfallen.
BMW: Der bayerische Autobauer streicht 6.000 seiner 126.000 Stellen, verzichtet aber auf betriebsbedingte Kündigungen. Stattdessen bekommen freiwillig ausscheidende Mitarbeiter und Frührentner Abfindungen. Auch die Altersteilzeit-Angebote sind laut Betriebsrat "sehr attraktiv". Junge Beschäftigte, die studieren wollen, unterstützt BMW finanziell und garantiert ihnen nach dem Abschluss die Rückkehr in ein Arbeitsverhältnis. Personalchefin Ilka Horstmeier sprach von einem Paket, "das uns kurzfristig hilft, das Unternehmensergebnis zu verbessern, uns aber langfristig die Innovationskraft erhält". Die Autoverkäufe brachen im zweiten Quartal ein, BMW schrieb zum ersten Mal seit elf Jahren rote Zahlen. Der Autobauer investiert Milliarden in E-Mobilität und Digitalisierung.
Audi: Die VW-Tochter hatte schon im November 2019 beschlossen, in Ingolstadt und Neckarsulm 9.500 der 61.000 Stellen abzubauen, aber ohne Kündigungen. Die Fertigungskapazität der beiden Werke wird um ein Sechstel verkleinert. Knapp 2.000 Jobs sollen bei Elektromobilität und Digitalisierung neu entstehen. Audi will 6 Mrd. Euro einsparen, die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Standorte langfristig sichern und wieder profitabler werden. Der Hersteller ist seit der Aufdeckung des Dieselskandals 2015 deutlich hinter die Konkurrenten Daimler und BMW zurückgefallen und schreibt wegen Corona jetzt rote Zahlen. Der neue Chef Markus Duesmann sagte, der geplante Stellenabbau reiche - mehr sei nicht geplant.
Opel: Seit der Übernahme im Sommer 2017 durch den französischen PSA-Konzern hat Opel massiv Arbeitsplätze mit Abfindungsprogrammen abgebaut. Die verbleibenden Beschäftigten sind per Tarifvertrag bis Sommer 2025 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Umso größer war daher die Empörung von IG Metall, Betriebsrat und politischen Parteien in Hessen, als Arbeitsdirektor Ralph Wangemann wegen der coronabedingten Absatzkrise mit betriebsbedingten Kündigungen drohte, sollten sich für die nächste Abfindungsrunde nicht genug Freiwillige finden. In der Folge einigten sich die Beteiligten dann auf eine Verlängerung der Kurzarbeit in Rüsselsheim bis Ende 2021 und die Gründung von Transfergesellschaften, in denen Opelaner fit gemacht werden sollen für andere Jobs. Von Kündigungen ist derzeit nicht mehr die Rede.
MAN: Der Lkw-Hersteller will in Deutschland und Österreich rasch 9.500 Stellen abbauen, die Werke Steyr, Plauen sowie Wittlich schließen und Produktion nach Polen und in die Türkei verlagern. Allein im Stammwerk München und im Dieselmotorenwerk Nürnberg sollen 4.000 Jobs wegfallen. Der Vertrag zur Beschäftigungs- und Standortsicherung wurde gekündigt, der Betriebsrat läuft Sturm dagegen. VW-Konzernchef Herbert Diess sagte, die wirtschaftliche Basis von MAN habe schon vor Corona nicht gereicht, um Investitionen zu finanzieren. Nun schreibt die VW-Tochter rote Zahlen. MAN erklärte, man müsse weiter investieren, um 2025 "zu den führenden Nutzfahrzeugherstellern im Bereich Elektro- und Wasserstoffantriebe" zu zählen.
Zulieferindustrie unter Druck
Bosch: Bei dem Technologiekonzern und Autozulieferer greifen verschiedenste Sparmaßnahmen. Bosch hatte schon vor der Coronakrise angesichts der Transformation zu Elektromotoren angekündigt, Tausende Stellen an zahlreichen Standorten abbauen zu wollen. Inzwischen ist klar, dass die Werke in Bremen und Bietigheim ganz geschlossen werden. Anderswo sind Tausende Mitarbeiter in Kurzarbeit. Zudem wurde die wöchentliche Arbeitszeit von 35.000 Mitarbeitern in Entwicklung, Forschung, Vertrieb und Verwaltung an verschiedenen Standorten verringert. Es gibt entsprechende Gehaltskürzungen. Für Tarifbeschäftigte aus diesen Bereichen mit einer Arbeitszeit von mehr als 35 Stunden verkürzt sich die Wochenarbeitszeit um 10 Prozent.
Continental: Viele Kunden haben Bestellungen zurückgestellt oder könnten dies noch tun. Bereits vor der Pandemie hatte ein von der Belegschaft als schmerzhaft empfundenes Umbauprogramm begonnen, das nun verschärft wurde. Zuletzt nahm die Conti-Führung an, dass im Rahmen der Strategie "Transformation 2019-2029" weltweit 30.000 Jobs "verändert" werden, davon 13.000 in Deutschland - das schließt auch Streichungen oder Verlagerungen ein. Während es bei Technik für Verbrennungsmotoren oder Hydraulik spürbare Einschnitte gibt, werden bei Elektronik und Software neue Stellen geschaffen. Für Irritationen sorgt aber besonders, dass auch im insgesamt noch profitablen Reifengeschäft massiv gespart wird. So wird das Reifenwerk in Aachen mit 1.800 Mitarbeitern bis Ende 2021 aufgegeben. Auch weitere Standorte werden verkleinert, umgebaut oder ganz geschlossen.
ZF: Der Zulieferer vom Bodensee hatte im Mai intern angekündigt, in den nächsten Jahren bis zu 15.000 Stellen weltweit streichen zu wollen, die Hälfte davon in Deutschland. Die rund 50.000 deutschen Tarifbeschäftigten sind zwar bis Ende 2022 vor betriebsbedingten Kündigungen geschützt - darauf hatte sich der Konzern mit Arbeitnehmervertretern geeinigt. Jobs können aber trotzdem gestrichen werden, etwa über Abfindungen oder Altersteilzeitregelungen. Zugleich verzichten die Beschäftigten im laufenden Jahr auf eine Sonderzahlung in Höhe von 400 Euro.
Schaeffler: Das fränkische Familienunternehmen hat eigentlich immer betont, recht gut mit der Krise klar zu kommen. Die Autoindustrie ist nicht der einzige Abnehmer der Produkte, aus Herzogenaurach kommen etwa auch Antriebskomponenten für Windräder und andere Teile, die in der Industrie gebraucht werden. Doch im September packte Schaeffler überraschend die Personal-Keule aus. Zusätzlich zu einem bereits laufenden Freiwilligen-Programm sollen bis Ende 2022 rund 4,400 der weltweit mehr als 80.000 Stellen wegfallen, fast ausschließlich in Deutschland. Schaeffler will sich nach den Worten von Vorstandschef Klaus Rosenfeld neu aufstellen - vor allem in Richtung Umwelttechnologie und Elektromobilität. Für etwaige Übernahmen in diese Richtung wird auch eine Kapitalerhöhung vorbereitet.