Im Skandal um die Commerzialbank Mattersburg soll die bereits Anfang Februar an Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Finanzmarktaufsicht und Nationalbank ergangene anonyme Anzeige sehr detailliert gewesen sein, berichtete der ORF Burgenland am Montag. So detailliert, dass sich die Frage stelle, warum der Betrug im großen Stil nicht früher aufgefallen sei.
Seit Anfang Februar habe es detaillierte Hinweise gegeben, wonach Geld von Ex-Bankchef Martin Pucher aus der Bank genommen und an notleidende Firmen - darunter auch die Firma eines Aufsichtsrates - übergeben werde. Zum Teil fließe das Geld als Sponsoring an den Fußballverein SV Mattersburg (SVM).
Ausgeglichen würden die Abgänge mittels Hunderter gefälschter Kreditkonten im Volumen von insgesamt bis zu 150 Millionen Euro. Dem Schreiben eines Hinweisgebers beigefügt waren laut ORF Daten zu mehr als 50 Krediten. Viele Kreditnehmer seien demnach Ärzte oder Unternehmer aus dem Großraum Wien. Kreditsummen bis zu zwei Millionen Euro seien bar ausbezahlt worden, die Tilgung sei per Erlagschein erfolgt, was "absolut unüblich" sei.
Der Hinweisgeber bat in dem Schreiben auch zu untersuchen, ob die in der Beilage angeführten Kundenaktivposten real seien, "da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Commerzialbank künstlich Kreditgeschäfte eröffnet, wobei die betreffenden Kreditnehmer keine Kenntnis über diese Positionen haben". Das sei allerdings nicht passiert.
"Es wäre mit relativ einfachen Mitteln und relativ wenig Aufwand möglich gewesen, schon zum damaligen Zeitpunkt einzuschreiten und diese Schäden, die danach entstanden sind, einfach zu verhindern", zitierte der ORF Burgenland den Rechtsanwalt Johannes Wutzlhofer. Die angeblichen Kreditnehmer seien von Februar bis Juli von keiner Behörde kontaktiert oder befragt worden. Erst nach der Schließung der Bank habe das Landeskriminalamt festgestellt, dass alle angeführten Kredite gefälscht seien.
Anwalt Wutzlhofer zeigte sich gegenüber dem ORF zuversichtlich, dass zumindest für Schäden ab Mitte Februar die Republik aufkommen müsse: "Das ist eine Kategorie, wo die Geschädigten einfach auch darauf bestehen werden, die Schäden auch von den Behörden zu bekommen für die Teile, die sie nicht von den Tatsachenverursachern, den Organen der Bank, bekommen können. Und die Chancen sehen wir auch in diesem Zusammenhang sehr, sehr gut."
Die Nationalbank habe zwar laut ORF einige Wochen nach der anonymen Anzeige eine Untersuchung eingeleitet. Diese sei dann aber wegen der Coronakrise unterbrochen worden.
"So wenig Wissen habe ich noch nie gesehen"
Gegenüber dem "Standard" (Montagsausgabe) schilderte ein Ex-Mitarbeiter des Geldinstituts die Eindrücke aus seiner Zeit bei der Commerzialbank. "So viel Angst auf einem Haufen, so wenig Wissen und so wenig Strukturen habe ich noch nie gesehen, fast alle Mitarbeiter haben ihren Kopf in den Sand gesteckt", zitiert die Tageszeitung den Insider.
Laut dem Mann, der im Bereich Risikomanagement in der Bank tätig gewesen sei, sei die IT darniedergelegen. "Jeder hat sich geduckt, bloß nicht auffallen", sei die Devise gewesen. Er selbst habe mit seinen Verbesserungsvorschlägen auf Granit gebissen.
Schon als er seinen Job antrat, sei er "aus allen Wolken gefallen", schilderte der Ex-Bankmitarbeiter dem "Standard": "So wenig Wissen wie in der Kreditabteilung der Commerzialbank habe ich noch nie gesehen." Bis auf eine Handvoll Mitarbeiter hätten alle zumindest geahnt, dass in der Bank nicht alles mit rechten Dingen zuging. Die (Fake-) Kreditakten hätten vor Seltsamkeiten gestrotzt: Ein Kreditnehmer - Unternehmer aus der Gegend und in einer Gesellschaft des Fußballvereins SVM aktiv -, der über ein Vermögen von rund zwei Mio. Euro verfügte, habe es auf einen Kredit von 23 Mio. Euro gebracht - ohne Sicherheiten.
Ein Angehöriger eines Sponsors des SVM, dessen Präsident Pucher war, habe 650.000 Euro für den Hausbau bekommen. Auf die Eintragung ins Grundbuch habe die Bank verzichtet. Auch bei frei erfundenen Krediten für Ärzte habe es keine Absicherung im Grundbuch gegeben, berichtete der "Standard".
Auffallen müssen hätte Mitarbeitern nach Ansicht des Informanten, dass Saldenverläufe nicht passten, Kunden beste Bonität bescheinigt war, die Einkommensnachweise dafür aber fehlten und dass Unterschriften unter Verträgen fehlten oder immer gleich aussahen. Auch seltsame Kreditraten hätten auffallen müssen. Recht leger soll auch jenes Bargeld, das Pucher abzuheben bzw. einzuzahlen pflegte, gelagert worden sein: Hunderttausende Euro seien in Schuhschachteln im Tresor gelegen.
Nach Meinung des Hinweisgebers hätten die Malversationen auch bei Prüfungen auffallen können: "Wenn man etwas hätte finden wollen, wäre es leicht gewesen." Der Ex-Bankmitarbeiter selbst habe zwei Kollegen darauf hingewiesen, welche Kredite und Kunden sie sich genau anschauen sollten. Ob sie das taten, das wisse er freilich nicht, sagte er dem "Standard".