Beim pleitegegangenen deutschen Zahlungsabwickler Wirecard hat der Insolvenzverwalter Michael Jaffe das Ruder übernommen. Er versucht nun, für die Gläubiger möglichst viel Wert zu erhalten. Nach einer ersten Bestandsaufnahme erklärte Jaffe, es gebe bereits eine Vielzahl an Interessenten aus aller Welt für das Kerngeschäft von Wirecard sowie für einzelne Geschäftsbereiche.
Doch was ist eigentlich das Kerngeschäft des Unternehmens aus Aschheim bei München, und was davon könnte noch werthaltig sein? Im Folgenden eine Übersicht über die öffentlich bekannten Tätigkeitsfelder des Zahlungsanbieters.
GRUNDLEGENDE DATEN UND FAKTEN
Wirecard wurde während der Hochphase der New-Economy-Zeit 1999 gegründet und war anfangs auf die Abwicklung von Zahlungen für Porno- und Glücksspiel-Webseiten fokussiert. Seit September 2018 ist das Unternehmen Mitglied im Dax. Unklar ist, wie viele Mitarbeiter für den Konzern arbeiten - laut Website sind es rund 5.800 an weltweit 26 Standorten. Einem Firmensprecher zufolge gab es zuletzt knapp 6.200 Beschäftigte. Wirecard hat unzählige Tochtergesellschaften auf der ganzen Welt verteilt. Deren Auflistung nimmt im aktuellsten verfügbaren Geschäftsbericht für 2018 zwei DIN A4-Seiten ein.
PAYMENT PROCESSING & RISK MANAGEMENT
Die größte Sparte betreibt die klassische Zahlungsabwicklung in Online-Shops oder an Ladenkassen, für die Wirecard Gebühren kassiert. Im Geschäftsbericht 2018 weist Wirecard einen Umsatz von 1,5 Milliarden Euro aus, eine Steigerung um 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zum Bilanzstichtag 31. Dezember 2018 seien 41.000 große und mittlere Geschäftskunden an die Wirecard-Plattform angebunden gewesen. Experten halten das Payment Processing für den womöglich werthaltigsten Geschäftsbereich. Für einen potenziellen Käufer könne es womöglich einfacher sein, die ganze Plattform zu übernehmen und nicht nur Kunden, da es technisch für Online-Shops leichter umzusetzen sei. Insider rechnen damit, dass sich Rivalen wie Adyen aus den Niederlanden und Worldline aus Frankreich dieses Geschäft näher anschauen werden.
ACQUIRING & ISSUING
In diesem Geschäftsbereich geht Wirecard für Händler ins Risiko. Der Konzern prüft bei Bestellvorgängen in Online-Shops, ob der Kunde vertrauenswürdig ist, nimmt den über Kreditkarten von Visa und Mastercard getätigten Kaufpreis an und leitet ihn mit Verzug und abzüglich einer Gebühr an den Händler weiter. Im Geschäftsbericht 2018 weist Wirecard für die Sparte einen Umsatz von 609 Millionen Euro aus, eine Steigerung um 25 Prozent zum Vorjahr. Wirecard hat in der Vergangenheit immer von mehreren hunderttausend Kunden gesprochen. Laut einem Bericht der "Financial Times", die sich auf interne Unterlagen bezog, war das Geschäft aber deutlich kleiner. Das Transaktionsvolumen soll 2017 demnach bei 18 Milliarden Euro gelegen haben, Wirecard selbst hatte 37,9 Milliarden Euro angegeben. Auch der Umsatz sei mit 292 Millionen Euro nur halb so hoch gewesen sein.
WIRECARD BANK
Über das Institut, das eine Vollbanklizenz hat und damit alle Bankdienstleistungen anbieten darf, wickelt Wirecard das europäische Acquiring-Geschäft ab. Laut dem im Bundesanzeiger veröffentlichten Geschäftsbericht 2018 der Wirecard Bank lag die Bilanzsumme bei 1,6 Milliarden Euro - damit ist sie so groß wie eine mittelgroße deutsche Sparkasse. Ende 2018 lagen demnach Spareinlagen von 1,4 knapp Milliarden Euro bei der Bank. Nach der Pleite der Wirecard AG setzte die deutsche Finanzaufsicht BaFin die Deutsche Bundesbank als Sonderbeauftragten bei der Bank ein, damit von dort keine Gelder an die AG abließen. Kunden ziehen sich schon zurück: So stellte die Allianz ihre Kooperation ein, der Discounter Aldi Süd wickelt seine Kreditkartenzahlungen künftig über den Konkurrenten Payone ab. Die Solarisbank äußerte Interesse an der Übernahme von Kunden.
WIRECARD CARD SOLUTIONS
Über die britische Tochter bietet Wirecard unter anderem Kreditkarten für Privat- und Geschäftskunden an. Zudem werden über ihre Plattformen Processing- und Aquiringgeschäfte abgewickelt und sie arbeitet mit FinTechs zusammen, wie es auf der Website heißt. Die britische Aufsichtsbehörde FCA hatte der Card Solutions nach der Insolvenz der Mutter zwischenzeitlich den Geschäftsbetrieb untersagt. Kunden können aber inzwischen wieder auf ihr Geld zugreifen. Für Rivalen von Wirecard könnte die britische Tochter wegen ihrer Lizenzen interessant sein.
BOON PLANET
Die Wirecard Bank startete die App Boon Planet im Oktober 2019. Sie solle eine Art mobile Direktbank sein, die eine virtuelle Kreditkarte und ein Girokonto anbietet. Auch US-TEch-Konzerne wie Google und Apple bieten die App an. Boon wirbt bis heute mit einem Zins von 0,75 Prozent für Giro-Guthaben, während andere Institute selbst bei Festgeld kaum noch Zinsen zahlen oder sogar Strafgebühren verlangen. Insider rechnen damit, dass Boon demnächst eingestellt wird. Die App komme nicht an Angebote von Direktbanken wie N26 heran, sagt etwa Payment-Experte Markus Mosen.
WIRECARD NORTH AMERICA
Die US-Tochter - früher Citi Prepaid Card Services - stellte sich bereits selbst zum Verkauf. Die Gesellschaft sei eine separate rechtliche und geschäftliche Einheit, trage sich selbst und sei "im Wesentlichen unabhängig" von der Mutter. Laut einer Präsentation auf der Wirecard-Website wurde die Tochter im März 2017 erstmals voll konsolidiert und lieferte in dem Jahr einen Umsatz von 109 Millionen Euro und einen operativen Gewinn von 21 Millionen Euro.
ASIEN
In dieser Region gründete Wirecard in den vergangenen Jahren zahlreiche Tochtergesellschaften oder übernahm Firmen unter anderem in Indien. Die in der Wirecard-Bilanz verschwundenen 1,9 Milliarden Euro sollten eigentlich bei zwei Banken auf den Philippinen liegen - dort sind sie aber nicht zu finden. Wie viel von dem Geschäft in Asien werthaltig ist, was dort tatsächlich gemacht wurde und wie viel Vermögen dort existiert, ist völlig unklar und dürfte nicht nur die Strafverfolger noch lange beschäftigten.
Börsenaufsicht: "Enorme kriminelle Energie"
BaFin-Chef Felix Hufeld hat den Wirecard-Bilanzskandal unetrdessen als eine massive Straftat bezeichnet. Mit einer enormen kriminellen Energie seien Unterlagen gefälscht worden, sagte Hufeld am Donnerstag bei einer Konferenz zu nachhaltiger Finanzierung, als er auf Wirecard angesprochen wurde. Jetzt müsse man aufklären, wer wen hinters Licht geführt habe.
"Wer sind die Bösen und wer sind die Guten, die der Herausforderung einfach nicht gewachsen waren", fragte Hufeld. Bisher wisse niemand darauf die Antwort. Eine der Lehren aus dem Skandal sei, die Bilanzkontrolle zu verbessern. Die BaFin, die Hufeld seit 2015 leitet, ist wegen des Wirecard-Skandals selbst massiv in die Kritik geraten.
Wichtigster Partner wendet sich ab
Wirecard verliert wegen seines Bilanzskandals den wichtigsten Partner für große Zukunftsprojekte. Der japanische Softbank-Konzern beendet die Kooperation mit dem am Abgrund stehenden Bezahldienstleister aus dem Münchner Vorort Aschheim, wie es am Donnerstag in informierten Kreisen hieß. Die im April 2019 verkündete Partnerschaft hatte zwei wesentliche Bestandteile: Ein dreistellige Millioneninvestition der Japaner, und die Vermittlung neuer Geschäftsmöglichkeiten, -partner und Kunden an Wirecard. Eine offizielle Stellungnahme von Softbank gab es nicht.
Anders als der Name vermuten lässt, ist Softbank keine Bank, sondern eine Holding, die sich unter Regie ihres Chefs Matayoshi Son rund um den Globus an Start-ups und Zukunftstechnologien beteiligt. Softbank wollte Wirecard unter anderem beim Markteinstieg in Japan und Südkorea behilflich sein.
Darüber hinaus waren Geschäftspartnerschaften von Wirecard mit mindestens sechs Firmen angedacht, in die Softbank investiert hat: der südostasiatische Fahrdienst Grab, der US-Mobilfunkanbieter Sprint, der ebenfalls in den USA ansässige Mobilfunkdienstleister Brightstar, die Autohandelsplattform Auto1 und die Tourismusplattform GetYourGuide, beide in Deutschland ansässig, sowie die indische Hotelkette Oyo. Grab, Auto1 und GetYourGuide bestätigen auf Anfrage, dass keine Zusammenarbeit mit Wirecard mehr geplant ist, die drei anderen Unternehmen ließen Anfragen unbeantwortet.
Softbank wollte außerdem 900 Millionen Euro in Wirecard investieren, mit der Option, in fünf Jahren wichtiger Aktionär zu werden. In dem japanischen Unternehmen wurden jedoch kurze Zeit später Bedenken wach, nachdem die britische "Financial Times" mehrfach über Bilanzfälschungsverdacht bei Wirecard berichtet hatte. Softbank hatte die angekündigten 900 Millionen Investition in Wirecard daher nicht mehr mit Geld des hauseigenen Vision Fund finanziert, sondern mit Hilfe externer Geldgeber. Von daher drohen Softbank nach den Angaben auch keine finanziellen Verluste.
Mutmaßliche Luftbuchungen
Wirecard hatte Anfang vergangener Woche mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt, wenige Tage später folgte der Insolvenzantrag. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den zunächst zurückgetretenen und später vom Aufsichtsrat nachträglich fristlos gefeuerten Vorstandschef Markus Braun und andere Manager.
Die Deutsche Bank will der Wirecard Bank womöglich unter die Arme greifen. Das Geldhaus prüfe in Abstimmung mit der Finanzaufsicht BaFin, dem vorläufigen Insolvenzverwalter der Wirecard AG sowie dem Vorstand der Wirecard Bank eine mögliche finanzielle Hilfe, erklärte die Deutsche Bank am Donnerstag. "Wir können uns grundsätzlich vorstellen, im Rahmen der Fortführung der Geschäftsaktivitäten diese Unterstützung zu gewähren, sofern es erforderlich werden sollte."
Die Wirecard Bank ist bisher im Gegensatz zu ihrer Mutter nicht insolvent. Die BaFin hat einen Sonderbeauftragten dorthin abgesellt, der dafür sorgen soll, dass keine Gelder an die Wirecard AG abfließen und dass die Geschäfte weiterhin laufen.