Die Europäische Zentralbank (EZB) hält auch zum Ende der achtjährigen Amtszeit von Mario Draghi an ihrem ultralockeren Kurs fest und gibt damit die Richtung für die neue Chefin Christine Lagarde vor. Der EZB-Rat beschloss am Donnerstag in Frankfurt, die Zinsen dauerhaft niedrig zu halten, um die Wirtschaft der Eurozone weiter zu stimulieren.
Draghi zog nach seiner letzten Zinssitzung ein positives Fazit seiner Zeit an der Spitze der Euro-Notenbank. Es gebe etwas, worauf der EZB-Rat sehr stolz sein könne: "Das ist in gewisser Weise Teil unseres Vermächtnisses: Niemals aufgeben." Lagarde, vorher Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), übernimmt das Ruder bei der EZB im November.
Fachleute bewerten das Erbe Draghis unterschiedlich."Ohne Draghi gäbe es den Euro vermutlich nicht mehr. Damit ist eigentlich schon fast alles gesagt", sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Gerade in Deutschland werde gerne vergessen, dass Draghi seine schützende Hand über den Währungsraum gehalten habe. ZEW-Präsident Achim Wambach richtet den Blick auf Draghis-Entscheidungen während der Euro-Krise. "Das gelungene Krisenmanagement und die Strategie, die Finanzmärkte durch wohlüberlegte Rhetorik zu beruhigen, sind ihm zuzuschreiben." Draghi hatte im Juli 2012 in London in einer mittlerweile berühmt gewordenen Rede erklärt, die Zentralbank werde alles tun im Rahmen ihres Mandats, was nötig ist ("whatever it takes"), um den Euro zu retten. Dies gilt bis heute vielen Experten als Wendepunkt in der Euro-Schuldenkrise.
Aus Sicht des deutschen Sparkassen-Präsidenten Helmut Schleweis überwiegen aber inzwischen die schädlichen Nebenwirkungen der expansiven Geldpolitik. "Negative Auswirkungen treffen besonders die Altersvorsorge und die Sparkultur in Deutschland", sagte er. Außerdem bestehe die Sorge, dass die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik immer weiter verwische. "Wir halten es deshalb für wichtig, dass die Geldpolitik wieder auf einen soliden und nachhaltigen Pfad zurückfindet", forderte er.
Dazu wird es aber vorerst nicht kommen. Am Zinsniveau änderten die Währungshüter am Donnerstag nichts. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld liegt bereits seit März 2016 bei 0,0 Prozent. Zudem müssen Banken Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der EZB überschüssige Gelder parken. Aktuell liegt der sogenannte Einlagensatz bei minus 0,5 Prozent. Die Euro-Wächter wollen ihre Schlüsselzinsen noch solange auf dem derzeitigen oder einem tieferen Niveau halten, bis sich die Inflationsaussichten wieder deutlich der Marke von knapp zwei Prozent annähern. "Der EZB-Rat steht weiter bereit, alle seine Instrumente nötigenfalls anzupassen", sagte Draghi.
Eingetrübte Konjunktur
Die Konjunkturaussichten für den Euroraum haben sich in den vergangen Monaten merklich eingetrübt. Vor allem die exportabhängige deutsche Industrie schwächelt. Die seit der vorigen Zinssitzung hereingekommenen Daten bestätigten das Bild einer "sich hinziehenden Schwäche" der Eurozone beim Wachstum, sagte Draghi. Die Inflationsrate war in der Währungsgemeinschaft zuletzt auf 0,8 Prozent gesunken. Damit liegt das Inflationsziel der EZB von knapp unter zwei Prozent weit entfernt. Die EZB hatte letztmalig im Jahr 2011 ihre Zinsen erhöht. Draghi ist damit der bisher einzige Präsident, in dessen Amtszeit die Notenbank kein einziges Mal ihre Zinsen angehoben hat.
Draghi bekräftigte außerdem, dass die EZB ihre Anleihenkäufe ab November wieder aufnehmen werde. Je Monat sollen Wertpapiere im Umfang von 20 Milliarden Euro erworben werden. Ein konkretes Enddatum für die Transaktionen nannte er nicht. Sie sollen erst dann beendet werden, wenn die EZB kurz vor einer Zinserhöhung steht. Bis Ende 2018 wurden bereits Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Volumen von 2,6 Billionen Euro erworben. Die Käufe sind insbesondere in Deutschland umstritten. Die Einnahmen aus fällig werdenden Titeln wollen die Euro-Wächter auch nach einer Erhöhung der Leitzinsen noch für längere Zeit in Anleihen reinvestieren.
"Sie weiß sehr gut, was zu tun ist"
Seiner Nachfolgerin Lagarde will Draghi öffentlich keine Ratschläge erteilen. "Sie weiß sehr gut, was zu tun ist", sagte er. "Ratschläge sind nicht notwendig." Sie habe viel Zeit bekommen, um sich ihre eigene Meinung zum EZB-Rat zu bilden, und an der Ratssitzung am Donnerstag teilgenommen. Die Französin hat bereits in Aussicht gestellt, die ultralockere Geldpolitik Draghis fortzusetzen. Allerdings sprach sie sich auch dafür aus, deren möglichen negativen Effekte im Blick zu haben. Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer erklärte, mittelfristig werde die EZB ihre Wachstumsprognosen weiter senken müssen. "Wir rechnen deshalb für das Ende des ersten Quartals mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik."
Positiv äußerte sich Draghi zur Nominierung der deutschen Wirtschaftsweisen Isabel Schnabel für das Direktorium der EZB. "Isabel ist eine ausgezeichnete Ökonomin. Sie wird es gut machen." Schnabel habe das Zeug dazu, die Diskussion innerhalb und außerhalb der EZB zu bereichern. "Wir sollten ihre Nominierung wärmstens begrüßen." Die deutsche Regierung hat die Professorin für Finanzmarktökonomie an der Universität Bonn als Nachfolgerin der deutschen Direktorin Sabine Lautenschläger vorgeschlagen, die Ende Oktober vorzeitig zurücktreten wird. Lautenschläger hatte die den EZB-Kurs wiederholt kritisiert. Experten gehen davon aus, dass mit Schnabel die starke Kritik Deutschlands innerhalb der EZB etwas abnehmen wird.