„Wir essen die Erde buchstäblich krank“, fasst Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Jens Krag zusammen. Dabei bezieht er sich auf den Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC). Demzufolge hat auch die globale Nahrungsmittelproduktion immense Auswirkungen auf den Klimawandel. 23 Prozent der Treibhausgasemissionen werden durch Entwaldung, landwirtschaftliche Nutzung und Tierhaltung verursacht. Inklusive Transport und andere Bereiche der Lebensmittelproduktion sind es sogar bis zu 37 Prozent.
Vor allem die weltweite Fleischproduktion und die damit einhergehende Waldrodung für den Futtermittelanbau belasten das Klima. Gefordert wird ein Wandel unseres Ernährungssystems: weniger Fleischkonsum, weniger Lebensmittelverschwendung. Dafür mehr Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein.
Lebensmittelriesen kaufen Start-ups
Der Beginn einer solchen Bewusstseinsänderung in der Gesellschaft ist bereits erkennbar. Mehr Bio und Regionalität sowie vegane und vegetarische Fleischalternativen finden sich vermehrt in den Regalen von Supermärkten. Die Nachfrage der Konsumenten nach Produkten ohne „schlechtem Gewissen“ steigt. Bernadette Kamleitner, Leiterin des Instituts für Marketing und Konsumentenforschung an der Wirtschaftsuniversität Wien, erkennt ein neues Weltbild. Nicht nachhaltig zu handeln, werde künftig als moralisch verwerflich empfunden. „Zunehmend fühlen Menschen, dass es falsch wäre, eine nachhaltige Alternative nicht zu wählen, wenn diese angeboten wird“, sagt die Expertin.
Viele Lebensmittelgroßkonzerne reagieren darauf und versuchen den Imagewandel: Sie kaufen Unternehmen oder Start-ups aus der Lebensmittel- und Agrarindustrie oder bauen aus eigener Kraft das Geschäft mit veganen Produkten aus.
Nestlé wächst mit Fleischlos-Linie
So übernahm beispielsweise der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé das südamerikanische Unternehmen Terrafertil, das sich auf gesunde Snacks spezialisiert hat. Mit seiner Eigenmarke Garden Gourmet will Nestlé den fleischlosen Geschmack der Konsumenten treffen. Dies trug dazu bei, dass Nestlé in der ersten Jahreshälfte seinen Umsatz um 3,5 Prozent auf 41,2 Milliarden Euro steigern konnte.
Um wirklich nachhaltig etwas zu bewirken, müsse ein Unternehmen allerdings sein Kerngeschäft verändern, und das täten die wenigsten, kritisiert Nunu Kaller, Greenpeace-Expertin für Konsum. Nestlés Kerngeschäft etwa basiere nach wie vor auf einer Wegwerfphilosophie und sei somit auch nicht glaubwürdig nachhaltig.
Nestlés Aktivitäten sind dennoch ein klarer Beweis: Fleischersatz spricht inzwischen ein großes Publikum an. Darauf reagieren Supermärkte wie Konzerne. So versucht Nestlés Eigenmarke Garden Gourmet mit ihrem „Incredible Burger“ am aktuellen Hype um „Beyond Meat“ mitzunaschen. Der US-Fleischersatz aus Erbsenprotein zeigt mit seinem fulminanten Börsengang, was in der veganen Nische möglich ist. Auch österreichischen Supermarktketten ist der Trend nicht fremd. So punkten Spar (Spar Veggie), Rewe (Vegavita) oder der Diskonter Hofer (Just Veg) mit vegetarischen oder veganen Eigenmarken.
Kommt höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch?
Klaus Dürrschmid von der Wiener Universität für Bodenkultur sieht zwei Gründe, warum Konsumenten zu Fleischalternativen greifen. Einerseits aufgrund von Moralvorstellungen, wie der Vermeidung von Tierleid, und andererseits aus gesundheitlichen Gründen, etwa um den eigenen Fleischkonsum zu reduzieren. Ein dritter Grund dürfte in nächster Zeit zunehmend eine Rolle spielen: Nachhaltig bedeutet auch, das Klima zu schützen. Übermäßiger Fleischkonsum tut das nicht, wie der IPCC-Bericht zeigt.
Helene Glatter-Götz, WWF-Expertin für Ernährung, sieht einen guten Anfang, wenn Konsumenten vermehrt zu Fleischalternativen greifen. Dennoch sei hier die Politik in der Pflicht, die Fleischproduktion und deren klimaschädlichen Auswirkungen einzudämmen. Derzeit wälze diese ihre Verantwortung aber ausschließlich auf die Konsumenten ab.
In Deutschland hat sich deshalb in den letzten Tagen eine politische Diskussion rund um höhere Steuern für Fleischprodukte entfacht.
Aktuell beträgt die Mehrwertsteuer auf tierische Produkte in Deutschland sieben Prozent, für Fleisch soll sie auf 19 Prozent erhöht werden, fordert der Deutsche Tierschutzbund. In Österreich hat ein solcher Vorschlag nur wenige Befürworter. Der Handelsverband etwa sprach sich klar gegen eine solche Regelung aus: Die Preise für Fleisch zu erhöhen, hätte keinen Sinn, und würde einkommensschwächere Konsumenten – statt zu regional und nachhaltig erzeugtem Fleisch – erst recht zu Billigfleisch treiben.
Eva Sappl